Strategie & Management

Human Resources (Teil 5 von 6)

Führungskompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung

Digitalisierung heisst Beschleunigung. Virtuelle Teams rücken stärker in den Fokus, da mit digitalen Tools organisations-, standort- oder länderübergreifend komplementäre und leistungsstarke Teams zusammengestellt und komplexe Aufgabenstellungen gemeinsam gelöst werden können. Neue Führungskräftekompetenzen sind gefragt.
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Wann haben Sie zuletzt jemanden sagen hören: «Ich habe Leute unter mir.» Es muss die Aussage einer Führungskraft gewesen sein, die einen hierarchischen Führungsstil lebt. Wagen wir folgende Prognose: Diese Führungskraft muss sich verändern oder sie wird – ausser sie ist selbst Inhaber des Unternehmens – innerhalb der nächsten fünf Jahre ersetzt werden. 

Digitaler Wandel

Sie fragen sich warum? Dieses veraltete, autoritäre Führungsmodell ist nicht mehr gefragt. Es kann weder den Ansprüchen der neuen Generation nach mehr Freiheitsgraden und Selbstbestimmung gerecht werden, noch ist es kompatibel mit der immer volatiler und komplexer werdenden Unternehmensumwelt, deren Herausforderungen nach raschen Entscheidungen und Lösungen verlangen. Die Vuca-Welt und mit ihr der Generationenwechsel sind Veränderungstreiber, stossen eine Kulturrevolution an und verlangen ein neues Führungs-Mindset.

Die Schlagwörter New Work, Smart Working oder Arbeit 4.0 beschreiben neue Arbeitswelten und damit einhergehend Konzepte, welche die Agilität von Or­ganisationen erhöhen. Sie verfolgen das Ziel, einerseits die Produktivität und Attraktivität des Arbeitgebers zu erhöhen (vgl. Human Resources, Teil 2/6 in «KMU-Magazin», Ausgabe 7/8, Seite 28) und andererseits den Erfordernissen der Veränderungstreiber zu entsprechen. 

Die Basistechnologie für den digitalen Wandel ist das Internet. Es schafft eine höhere Flexibilität in den Beschäftigungsverhältnissen, die sich vor allem in grösseren Freiheiten bezüglich Arbeitszeiten und Arbeitsort ausdrückt. Technologien wie beispielsweise Cloud-Computing, mobile Endgeräte und Internettelefonie unterstützen das Teilen von Informationen und helfen bei der ortsunabhängigen Kommunikation. Restriktionen im Hinblick auf Reisebudgets in Organisationen oder erschwerte nationale oder globale Rahmenbedingungen, wie aktuell durch Covid-19 verursacht, fördern die Entstehung von virtuellen Teams, die an Projekten arbeiten.

Neue Führungsmodelle

«Die Arbeit muss gemacht werden. Wann und wo ist egal.» – Mit den grösseren Freiheitsgraden für die Mitarbeitenden, die dieser Satz impliziert, sind neue, dezentrale Führungsmodelle gefragt, welche die projektgetriebene Organisation unterstützen. In der «neuen Arbeitswelt» spielen Netzwerke eine zentrale Rolle und insbesondere die Selbstorganisation von Teams oder Projektgruppen. Doch wie führt man virtuelle Teams? Wie genügt man diesen neuen Anforderungen als Organisation im War for Talent und als Führungskraft im Alltag? Wie können vertrauensvolle Beziehungen etabliert werden ohne persönlichen Kontakt?

Leadership-Kompetenzen

Damit Führungskräfte Organisationen steuern können, müssen sie ausgeprägte Selbstmanagementkompetenzen und damit ein tiefes Verständnis ihrer eigenen Werte, Motivation und Antriebsstruktur mitbringen. Dies war schon vorher so, die neuen Rahmenbedingungen fordern nun jedoch stärker zusätzliche weiche Faktoren wie beispielsweise die Fähigkeit zum Beziehungsaufbau oder die Fähigkeit, Mitarbeitende zu inspirieren.
 
Diese Kompetenzen der Führungskraft lassen sich nur schwer beurteilen und messen, können aber unter dem Begriff «Leadership-Kompetenz» zusammengefasst werden. Eine Führungskraft sollte heute mehrere Rollen erfüllen können, die nachstehend beschrieben werden. 

Beziehungsmanager

Menschliche Beziehungen werden durch Interaktion und Nähe geprägt; Vertrauen entsteht durch Transparenz, Wert­schätzung und Zuverlässigkeit im täg­lichen Umgang. Vertrauen kann sich in Bindung und Zugeständnis wandeln, wenn von beiden Seiten der Wille dazu da ist, und sich in Commitment und Leistung äussern. Dem voraus geht aber ein gewisses Investment, das Führungskräfte – in Zukunft stärker als früher – verstehen und tätigen müssen. 

Ein Leader geht auf seine Mitarbeitenden ein und gibt ihnen – auch aus der Ferne und virtuell – Orientierung und bestmögliche Sicherheit. Er baut vertrauensvolle Beziehungen auf und ist spürbar «menschlich». Dafür braucht es Authentizität im täglichen Umgang, Emotionalität, eine gewisse Verwundbarkeit und das Offenlegen höchst persönlicher Eigenschaften. Besonders in der virtuellen Welt hilft es, wenn Führungskräfte «mehr Profil» zeigen und beispielsweise auch einmal ein passendes privates Erlebnis mit dem Team teilen oder Humor zeigen. Diese persönliche Verbindung stärkt das Team und hilft beim Erreichen der gemeinsamen Ziele, die klar im Fokus stehen. 

Coach und Befähiger

Die progressive Führungskraft kommuniziert Erwartungen, schafft klare Rahmenbedingungen und Verbindlichkeit. Sie hört zu, schenkt Wertschätzung und Vertrauen, überträgt gleichzeitig Verantwortung. Sie versteht sich heute stärker als ein Coach und Befähiger denn als Vorgesetzte. Statt auf Kontrolle zählt sie heute auf Unterstützung, statt auf Anweisungen auf gemeinsame Zielvorgaben. Die Abgabe von Kontrolle und Macht sowie das Ermöglichen von Selbstführung sind Kernfaktoren virtueller Führung. Der Coach von heute führt partizipativ, fragt aufrichtig: «Was hältst du davon …?», und schätzt konstruktives Feedback.

Nicht selten erklingt der Einwand: «Aber die Leute wollen geführt werden!» Das ist nicht unwahr. Mitarbeitende wünschen sich tatsächlich weiterhin Orientierung, aber noch viel mehr streben sie nach maximaler Selbstwirksamkeit und dem Erzielen von Impact.

Kreativer Vernetzer

Der Leader kennt die Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten seiner Teammitglieder. Darüber hinaus weiss er auch um die Interessen und Neigungen seiner Mitarbeitenden. Mit diesem Wissen setzt er sie optimal für Aufgaben ein, die ihnen Spass machen und in denen sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können. Er muss seine Ressourcen untereinander vernetzen können, um das bestmögliche Resultat zu erreichen. Seine Aufgabe beinhaltet es, zu wissen, wo die Zusammenarbeit gut funktioniert und wo aufgrund von verschiedenen Persönlichkeiten Reibung vorprogrammiert ist. Die Fähigkeit, Netzwerke zu etablieren und kollaborativ zusammenzuarbeiten, wird wichtiger, da die Aufgabenstellungen in Zukunft komplexer und in noch kürzerer Zeit zu lösen sein werden. 

Inspirierender Dienstleister

Die Führungskraft ist heute Ansprechpartner auf Augenhöhe, fungiert als Visionär, vermittelt Sinn. Sie ermutigt zu eigenverantwortlichen Entscheidungen und stellt die dazu benötigten Ressourcen zur Verfügung. Mehr noch versteht sie sich als Dienstleister gegenüber dem Team. Sie ist rasch und einfach erreichbar und kann über verschiedene Kanäle angesprochen werden. Sie zeichnet sich durch eine kurze Reaktionszeit aus und gibt verlässlich eine qualifizierte Rückmeldung. Der Leader kommuniziert seine Priorisierungen, Überlegungen und Entscheide transparent. Er agiert kreativ und inspiriert Mitarbeitende immer wieder dazu, ihre Komfortzonen zu verlassen und zu Mitgestaltern zu werden. 

Lebenslang Lernender

Der Leader zeichnet sich durch eine gros­se Offenheit für Neues und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen aus. Geschwindigkeit wird wichtiger als Perfektion und das Loslassen von alten Erfolgsmechanismen ist entscheidend. Veränderung wird begrüsst und eine gewisse Experimentierfreude ist ihm eigen. 

Fehler werden als Lernchancen interpretiert und konstruktive Feedbackloops zum Teil der Kultur erklärt. Der Leader verfolgt die Maxime, dass die besten Resultate im Team entstehen und eine Idee bis zur erfolgreichen Realisation verschiedene Iterationen durchlaufen soll.

Abschied vom Alter Ego

Heute gibt es viele Anforderungen und Erwartungen an den «modernen Unternehmenslenker». Die Herausforderung ist, dass dieses Verhalten nicht immer Teil seines Naturells ist und entwickelt werden muss. Der Weg dorthin besteht vorwiegend aus Reflexion und bedingt bei älteren Führungskräften, die sich über Jahrzehnte einem stark andersartigen Führungsstil verschrieben haben, idealerweise die Unterstützung eines externen Coachs. 

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Führungsstil ist eine intensive und langwierige Angelegenheit und erfolgt nicht ganz «schmerzfrei» und ohne Nebenwirkungen. Dies, weil ein Stück weit das «Alpha» infrage gestellt wird – eine Errungenschaft, die sich manche Führungskräfte über Jahre aufgebaut haben. Es ist dieser Prestigeverlust, das Abschiednehmen vom Alter Ego, der für das Leader-Mindset notwendig wird. Nicht wenige werden sich mit dieser neu geforderten Rolle nicht identifizierten können und konstatieren müssen, dass sie hier lieber jüngeren Kollegen der neuen Generationen das Feld überlassen. 

Die Weichen stellen

Damit Führungskräfte erfolgreich auf der Welle der Digitalisierung reiten können, wird ein Skillset erforderlich, das zusammengefasst aus diesen fünf Schlüsselkompetenzen besteht: Selbstmanagement, soziale Intelligenz, virtuelle Führung, Kreativität und lebenslanges Lernen. 

Doch auch organisational müssen die Weichen gestellt werden. Die grössten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung sind erstens das Managen der zunehmenden Komplexität in der Zusammenarbeit, zweitens die Anpassung der Führungskultur an flexible Arbeitsmodelle und drittens die Entwicklung neuer Formen der Kooperation und Vernetzung zwischen Auftragnehmern, Lieferanten, Kunden und Partnern. Bei diesen Punkten müssen KMU aktiv werden. 

Wettbewerbsvorteile

Die Frage, die sich allen Unternehmen stellen dürfte, ist, inwiefern eine Neuausrichtung zu einer agilen Organisation überhaupt möglich ist. Es liegt auf der Hand, dass Produktionsbetriebe anders funktionieren als Dienstleistungsunternehmen. Virtuelles und projektbasiertes Arbeiten sind längst nicht für jedes Unternehmen möglich und über digitale Kollaborationsplattformen abbildbar. 

Dennoch steht fest, dass Firmen entscheidende Wettbewerbsvorteile erlangen können, wenn es ihnen gelingt, verschiedene Spezialisten «an einen Tisch zu bringen» und herausfordernde Problemstellungen in Kollaboration zu lösen. Ausserdem – und davon handelt diese Serie – benötigt jede Organisation eine gewisse Flexibilität hinsichtlich neuer Arbeitsmodelle, auch, um sich als attraktiver Arbeitgeber aufzustellen und Talente weiterhin rekrutieren zu können. 

Führung neu denken

Die organisationale Führung muss in dem  digitalen Zeitalter und der Transformation zu New Work anderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Führung muss neu gedacht werden. 

Das grundlegende Ziel der Führungs­aufgabe allerdings bleibt unverändert: Es ist die Verantwortung der Füh­rungskraft, das Potenzial der Mitarbeitenden abzu­rufen, um die ambitionierten Unter­nehmensziele effektiv und effizient zu erreichen.

Porträt