Strategie & Management

Unternehmensführung

Erfolgreich führen inmitten von Komplexität und Wandel

Die Rahmenbedingungen, in denen Führungskräfte Entscheidungen treffen müssen, haben sich stark verändert. Veränderungen passieren in kürzeren Zeitabständen, die Komplexität von Aufgaben und Projekten hat zugenommen, die Stabilität in ihrem Umfeld wird geringer. Der Beitrag gibt Hinweise, wie Führungskräfte diesen Herausforderungen begegnen können.
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Das rasante Tempo technologischer In­novationen, gesellschaftlicher Veränderungen, politischer Gegensätze, globaler Abhängigkeiten und Umweltkrisen hat eine Landschaft geschaffen, die durch VUCA geprägt ist. Das Akronym steht für Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Ambiguität (Ambiguity). Diese sich ständig weiterentwickelnde Rea­lität, manchmal als «Polykrise» bezeichnet, stellt Führungskräfte vor einzigartige Herausforderungen, die sie mit Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Weitblick meistern müssen.

Das Phänomen der Polykrise 

Eine Polykrise entsteht, wenn mehrere miteinander verbundene Krisen gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken. Im Gegensatz zu einzelnen Störungen interagieren diese Krisen – von Klimawandel und geopolitischer Instabilität bis hin zu wirtschaftlicher Ungleichheit und technologischen Disruptionen – auf unvorhersehbare Weise. Die unmittelbare Verbreitung durch soziale Medien verstärkt diesen Effekt und lässt globale Probleme näher erscheinen als je zuvor.

Sowohl VUCA als auch Polykrisen verdeutlichen die Komplexität, wechselseitige Abhängigkeit und kaskadierenden Auswirkungen der heutigen globalen ­Herausforderungen. Erfolgreiches Navigieren in diesem Umfeld erfordert sys­temisches Denken, adaptive Führung und eine weiterentwickelte Herangehensweise an Problemlösungen, die über konventionelle Strategien hinausgeht.

Neurowissenschaft des Wandels 

Veränderung ist von Natur aus herausfordernd, weil unser Gehirn auf Energie­einsparung und Vorhersehbarkeit ausgerichtet ist. Bei Veränderungen nimmt die Amygdala – der Teil des Gehirns, der für die Kampf- oder Fluchtreaktion zuständig ist – diese als Bedrohung wahr und löst Stressreaktionen aus, die Kreativität und Problemlösung beeinträchtigen.

Führungskräfte können diesem Widerstand entgegenwirken, indem sie das Belohnungssystem des Gehirns aktivieren. Positive Emotionen wie Freude, Neugier und Dankbarkeit setzen Dopamin frei, was Motivation und Engagement fördert. Indem Veränderung als Chance für Wachstum dargestellt und kleine Erfolge gefeiert werden, können Führungskräfte eine widerstandsfähigere und veränderungsbereite Unternehmenskultur schaffen.

Achtsamkeit spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle im Umgang mit Unsicherheit. Forschungen zeigen, dass Achtsamkeit hilft, Emotionen zu regulieren, Stress zu reduzieren und Resilienz auf­zubauen – essenzielle Fähigkeiten für das Navigieren in einer VUCA-Welt. Führungskräfte, die Achtsamkeit kultivieren, können ihre Fähigkeit verbessern, in­mitten des Chaos ruhig und fokussiert zu bleiben, und damit ein positives Vorbild für ihre Teams sein.

Im «permanenten Wildwasser»

Der einflussreiche Führungstheoretiker Peter Vaill verglich die Turbulenzen moderner Organisationen mit «permanentem Wildwasser». So wie das Meistern reissender Wildwasserströmungen der höchsten Schwierigkeitsstufe Geschick, Bewusstsein und schnelle Entscheidungen erfordert, gilt dies auch für das Führen in der heutigen volatilen Umgebung. Zögern oder Fehltritte können weitreichende Konsequenzen haben, weshalb Agilität und strategische Weitsicht es­senzielle Eigenschaften für Führungskräfte sind.

Die Herausforderung ist nicht nur externer Natur; Veränderungen rufen auch internen Widerstand hervor. Die Neurowissenschaft bestätigt, dass das menschliche Gehirn auf Stabilität und Vorher­sagbarkeit ausgerichtet ist. Rasche und kontinuierliche Veränderungen können Stressreaktionen auslösen, die Anpassung erschweren. Führungskräfte müssen dies erkennen und Empathie, Verständnis und Mitgefühl sowohl für sich selbst als auch für ihre Teams entwickeln.

Essenzielle Führungsqualitäten 

Das erfolgreiche Navigieren in diesem sich entfaltenden Kontext erfordert, dass Führungskräfte über das gewohnte «Bu­siness as usual» hinausgehen – nicht nur strategisch, sondern auch in ihrer inneren Entwicklung. Dieser Wandel ist keine Option, sondern eine dringende Anfor­derung an eine neue Art von Führung.

1. Empathische und ­menschenzentrierte Führung

  • Führung durch Coaching anhand eines 5-stufigen Prozesses: 
    • Empathie: Ich sehe dich
    • Verständnis: Ich höre dich
    • Mitgefühl: Ich kümmere mich um dich
    • Inspiration: Vorbild sein und Geschichten erzählen
    • Empowerment: Ich glaube an dich
  • Die emotionalen und psychologischen Auswirkungen von Veränderung auf Einzelpersonen und Teams erkennen.
  • Eine Kultur der psychologischen Sicherheit schaffen, in der sich Mitar­beitende wertgeschätzt und gehört fühlen.

Reflexionsfragen:

  • Wie können wir Empathie und Verständnis in unserer Führung stärken, um unsere Teams besser durch Veränderungen zu begleiten?
  • In welchen Bereichen können wir unsere Mitarbeitenden ermächtigen, Initiative zu ergreifen und zur Anpassungsfähigkeit der Organisation bei­zutragen?

2. Die Veränderungskurve ­meistern

  • VUCA bedeutet ständige Veränderung. Daher kann die Kübler-Ross-Veränderungskurve – Schock, Verleugnung, Frustration, Depression, Experimentieren, Entscheidung, Integration – Führungskräften helfen, sich bewusst zu machen, wo sie selbst und ihre Mit­arbeitenden sich gerade auf dieser emotionalen Reise befinden.
  • Sie verdeutlicht, dass Veränderung kein linearer Prozess ist, sondern dass sich Menschen während des Wandels vor- und zurückbewegen. Rückschritte gehören dazu und bieten wertvolle Lernmöglichkeiten. Eine offene Kommunikation darüber, wo sich jeder auf der Kurve befindet, fördert das Verständnis für Emotionen, stärkt die Empathie und ermöglicht eine gegenseitige Unterstützung im Veränderungsprozess.
  • Emotionen anerkennen und durch Coaching, kritisches Hinterfragen und Ermutigung begleiten.

Reflexionsfragen:

  • Wie oft nehmen Sie bewusst Ihre Emotionen wahr und wie oft tauschen Sie sich mit Ihren Mitarbeitenden über die emotionalen Herausforderung der Transformation aus?
  • Wie können wir unsere Mitarbeitenden in jeder Phase der Veränderungskurve effektiv unterstützen, um reibungslosere Übergänge zu ermöglichen?

3. Die drei Cs der effektiven ­Veränderungsführung

  • Eine erfolgreiche Führung in Zeiten des Wandels erfordert klare Strategien, um Unsicherheiten zu reduzieren und Mitarbeitende aktiv in den Veränderungsprozess einzubinden. Die drei Cs – Communicate (Kommunizieren), Cooperate (Kooperieren) und Commit (Committen) – helfen Führungskräften, Wandel nicht nur anzustossen, sondern auch erfolgreich zu gestalten. Durch offene Kommunikation, gezielte Zusammenarbeit und eine entschlossene, aber flexible Haltung wird Ver­änderung von einer Herausforderung zu einer Chance für Wachstum und ­Innovation.
  • Communicate (Kommunizieren)
    Klare, transparente und kontinuierliche Kommunikation ist der Schlüssel, um Orientierung zu geben und Vertrauen in unsicheren Zeiten zu schaffen. Führungskräfte sollten:

    • Regelmässig über Ziele, Fortschritte und Herausforderungen informieren.
    • Klare und verständliche Sprache nutzen, um Verwirrung zu vermeiden.
    • Einen offenen Dialog fördern, um Fragen und Bedenken aufzunehmen.
  • Cooperate (Kooperieren)
    Erfolgreicher Wandel entsteht nicht in Silos, sondern durch Zusammen­arbeit auf allen Ebenen. Führungskräfte sollten:
    • Teamwork und bereichsübergreifende Kooperation aktiv fördern.
    • Mitarbeitende einbinden, um Engagement und Eigeninitiative zu stärken.
    • Psychologische Sicherheit schaffen, damit Ideen und Fehler als Lernchancen gesehen werden.
  • Commit (Committen)
    Veränderung erfordert eine klare Vision, kombiniert mit Anpassungsfä­higkeit. Führungskräfte sollten:
    • Ein inspirierendes Zielbild vermitteln, das Orientierung gibt.
    • Den langfristigen Kurs halten, aber flexibel auf Herausforderungen reagieren.
    • Als Vorbild agieren und mit Über­zeugung den Wandel vorantreiben.

Reflexionsfragen: 

  • Communicate: Wie können wir si­cherstellen, dass unsere Kommunikation Klarheit schafft und alle relevanten Stakeholder erreicht?
  • Cooperate: Wie können wir eine Kultur der Zusammenarbeit und des Vertrauens aufbauen, um Veränderungen gemeinsam erfolgreich zu meistern?
  • Commit: Wie können wir unsere Vision konsequent verfolgen und gleichzeitig agil auf Veränderungen reagieren?

4. Resilienz durch ­Neuro­wissenschaft aufbauen

  • Resilienz ist nicht angeboren – sie wird über die Zeit entwickelt. Führungskräfte können Resilienz aufbauen, indem sie sieben zentrale «Resilienz-Muskeln» stärken, darunter Selbstwahrnehmung, emotionale Regulation, Optimismus und Anpassungsfähigkeit.
  • Einen «Amygdala-Hijack» verhindern, indem stressreduzierende Techniken wie Achtsamkeit, tiefes Atmen und das Umdeuten von Herausforderungen als Lerngelegenheiten genutzt ­werden.

Reflexionsfrage:

Welche Praktiken können wir implementieren, um Resilienz in unseren Teams zu fördern und sie auf zukünftige He­rausforderungen vorzubereiten?

5. Das SCARF-Modell nutzen, um Verhalten zu beeinflussen

  • Das SCARF-Modell von David Rock ­beschreibt fünf zentrale soziale Fak­toren, die menschliches Verhalten beeinflussen:
    • 1. Status – Anerkennung und Wertschätzung steigern Motivation. 
      Massnahmen: Leistungen anerkennen, Verantwortung übertragen.
    • 2. Sicherheit – Vorhersehbarkeit reduziert Stress. 
      Massnahmen: Klare Ziele, regelmässige Kommunikation, stabile Strukturen.
    • 3. Autonomie – Selbstbestimmung erhöht Engagement. 
      Massnahmen: Entscheidungsspielräume erweitern, Vertrauen stärken.
    • 4. Zugehörigkeit – Soziale Verbundenheit fördert Teamgeist. 
      Massnahmen: Zusammenarbeit, offene Kommunikation, Inklusion fördern.
    • 5. Fairness – Gerechtigkeit stärkt Vertrauen. 
      Massnahmen: Transparente Entscheidungsprozesse, gleiche Chancen.
  • Führungskräfte können das Modell nutzen, um ein motivierendes, vertrauensvolles Umfeld zu schaffen. Klare Kommunikation, Autonomie und so­ziale Unterstützung helfen, Veränderungen erfolgreich zu gestalten und Mit­arbeitende langfristig zu binden.

Reflexionsfrage:

  • Wie können wir die fünf SCARF-Fak­toren gezielt in unsere Führung integrieren, um Motivation, Vertrauen und psychologische Sicherheit im Team zu stärken?

Strategische Antworten 

Um in einer VUCA-Welt erfolgreich zu sein, müssen Führungskräfte aktiv gegen ihre Auswirkungen steuern:

  • Volatilität mit Vision begegnen: Eine klare Vision gibt Stabilität in turbu­lenten Zeiten. Definierte Werte und Ziele bieten Orientierung und Moti­vation.
  • Unsicherheit mit Verständnis begegnen: Über Branchentrends, Wettbewerber und neue Risiken informiert bleiben. Veränderung antizipieren und als Chance nutzen.
  • Komplexität mit Klarheit begegnen: Klare Kommunikation und Zusammenarbeit fördern. Versteht jeder seine Rolle und die übergeordneten Ziele, kann Komplexität bewältigt werden.
  • Ambiguität mit Agilität begegnen: Eine anpassungsfähige Denkweise entwickeln. Kontinuierliches Lernen, Innovation und Flexibilität ermöglichen schnelle Reaktionen auf Veränderungen.
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