Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Entscheidungen treffen – auch im Erfolg

Insbesondere Familienunternehmen betonen oft, dass es sie schon seit 75, 100, 150 Jahren oder gar noch länger gebe. Zwar zeugt dies von einem gewissen Erfolg in der Vergangenheit, für die Zukunft ist diese Aussage über die eigene lange Existenz aber wenig hilfreich.
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Der heutige Erfolg eines Unternehmens ist der Vergangenheit geschuldet. Wenn ein Unternehmen heute gesundes profitables Wachstum verzeichnet, hat dies mit richtigen Entscheidungen in der Vergangenheit zu tun, die in richtige Aktivitäten gemündet sind, die wiederum richtig in die Tat umgesetzt wurden. Mit der Gegenwart hat dieser Erfolg nichts zu tun, abgesehen von einer gewissen Freude zum Beobachtungsmoment. Unsere gegenwärtige Situation ist stets auf vergangene Entscheidungen zurückzuführen.

Die Gegenwart im Fokus

Das gilt selbstverständlich auch für die Zukunft. Sollen unsere Unternehmen in der Zukunft erfolgreich sein, ist es unumgänglich, heute, in der Gegenwart, die richtigen Themen auf den Tisch zu bringen und die richtigen Entscheidungen daraus abzuleiten.

Jetzt bekommt die Situation die Würze, denn natürlich ist es einfach, nach Eintritt von Erfolg und Misserfolg gleichermassen brillant wie eloquent zu erklären, warum eben genau jener Erfolg oder Misserfolg eingetreten ist – ja, buchstäblich eintreten musste. Im Übrigen darf ich selbstkritisch anmerken, dass unsere Branche, die Branche der Berater, in dieser Disziplin eine durchaus unlöbliche Fähigkeit besitzt, derenthalben wir uns in meinem Beratungsunternehmen mit dergleichen Einlassungen zurückzuhalten pflegen. Aber weitaus schwieriger ist es für die Unternehmenslenker, in der Gegenwart eben jene richtigen Entscheidungen zu treffen, die in der Zukunft zum Erfolg führen sollen.

Noch schwieriger ist es, in der Gegenwart auf Basis der getroffenen Entscheidungen die richtigen Aktivitäten in Angriff zu nehmen und diese Aktivitäten konsequent zu verfolgen, zu justieren, zu Resultaten zu führen. Genau vor dieser Herausforderung stehen Unternehmenslenker, stehen mittelständische Unternehmen jeden Tag, und es ist eben nicht einfach, diese Entscheidungen zu treffen.

Nun kann eine Entscheidung in der Gegenwart natürlich trotz des intensiven Durchdenkens zu einem Fehler in der Zukunft führen. Da wir valide davon ausgehen dürfen, dass die Anzahl der wirklich existenziell bedeutsamen Entscheidungen, die tatsächlich einer eingehenden Vorab-Analyse bedürfen, gegenüber den normalen geschäftstaktischen und geschäftsstrategischen Entscheidungen, die auch unter höherer Unsicherheit getroffen werden können, geringer ist, dürfen wir in den meisten Fällen fordern, dass eine höhere Geschwindigkeit in der Entscheidungsfindung geboten erscheint, als sie gemeinhin beobachtbar ist. Dies gilt auch und vor allem in Phasen des unternehmerischen Erfolgs.

Es ist besser, eine falsche Entscheidung zu treffen als keine Entscheidungen zu treffen

Warum kann man immer wieder beobachten, dass Unternehmen, die für sich mit Recht reklamieren, dass ihre Historie, eben jene 75, 100 oder 150 Jahre, der bisherigen erfolgreichen Existenz ein Qualitätskriterium darstellt, irgendwann zögerlicher in ihren Entscheidungen werden und damit doch irgendwann in eine weniger erfolgreiche Phase gleiten? Warum sieht man so häufig Unternehmen, die in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser geraten, obwohl sie gestern noch mit einem Preis, einem Award geehrt wurden? Warum hält sich der Erfolg nicht einfach?

Wir beobachten dies häufig, weil die Anzahl der richtigen Entscheidungen und oftmals sogar die generelle Anzahl der Entscheidungen sinkt. Auch wenn es nun zynisch klingen mag: Es ist besser, eine falsche Entscheidung zu treffen, deren Auswirkungen man fast immer korrigieren kann, als keine Entscheidungen zu treffen, deswegen ständig ein schlechtes Gewissen zu haben und immer wieder die gleichen Themen aufzugreifen.

Es gibt einen vielleicht nicht wissenschaftlich belegbaren, aber durchaus beobachtbaren Zusammenhang zwischen Entscheidungsfreude und gesundem profitablem Wachstum. Ein Erklärungsansatz sei erlaubt: Erstens führen viele und vor allem schnelle Entscheidungen zu schnellen Erkenntnissen. Selbst dann, wenn eine Entscheidung also zu einem Fehler führen sollte, wird es möglich, daraus eine Lehre zu ziehen und die Entscheidung zu korrigieren. Und mehr noch: Durch die Vermehrung des Wissens im Unternehmen wird die Basis für künftige Entscheidungen verstärkt. Hinzu kommt, dass bei schnellen und vielen Entscheidungen die Agilität des Unternehmens erhalten bleibt. Es besteht eine kontinuierliche Bewegungsenergie und man muss nicht jedes Mal neu Schwung holen.

Geschwindigkeit und Dynamik beibehalten – auch in Phasen des Erfolgs

Ich möchte richtig verstanden werden: Es geht nicht um das Treffen von Entscheidungen der reinen Aktivität halber. Natürlich müssen Entscheidungen fundiert getroffen werden, aber wir beobachten eben in vielen Unternehmen und hier vor allem in Familienunternehmen mit einer gewissen Tradition eine gewisse Entscheidungslethargie, die dann entsteht, wenn etwas Erreichtes verteidigt werden muss oder soll, statt weiter in den Eroberungsmodus zu gehen. Angst vor Verlust, Sorge vor hoher Eruption, Unsicherheit vor der Auswirkung einer Entscheidung sind oft deren grösste Feinde.

Wenn wir aber davon ausgehen – und das dürfen wir valide tun –, dass Wachstum nicht aus Verteidigung entsteht, sondern aus Innovation, wenn wir davon ausgehen, dass sich Innovationen nicht nur in neuen Produkten und Dienstleistungen erschöpfen, sondern auch in der Art und Weise des Herangehens an den Markt, in der Art und Weise der Führung, in der Art und Weise der internen Leistungserstellung, dann dürfen wir ebenso valide daraus schliessen, dass Unternehmen gut beraten sind, eine hohe Entscheidungsdynamik beizubehalten oder sich anzueignen.

Zurück zum Zusammenhang zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft: Es ist ein für die Existenz eines Unternehmens hochgradig gefährlicher Fehler, anzunehmen, dass der heutige Erfolg sich einfach fortschreiben liesse. Das Gegenteil ist der Fall. Der Erfolg heute ist dann in Gefahr sowie unter Druck, wenn die Entscheidungsgeschwindigkeit und -qualität nachlässt. Wie oft sind die Lenker eines Unternehmens sowie Führungskräfte von – metaphorisch gesprochen – grossen Fragezeichen umgeben, wenn sie in Phasen des Erfolgs fordern, weiter aktiv zu bleiben, weiter nach vorne zu preschen, die Geschwindigkeit und Dynamik beizubehalten? Wie oft hört man dann, auch und insbesondere aus Vertriebsabteilungen, «Wieso? Es läuft doch. Wir tun doch schon alles»? Wie oft muss man sich anhören «Wozu wollt ihr denn immer mehr, immer schneller, ist es denn nie genug»? Man schaue sich jene Geschäftsmodelle an, die sich überholt haben und statt sich rechtzeitig auf Veränderungen einzustellen und aktiv entsprechende Entscheidungen zu treffen von den Marktentwicklungen überrascht wurden, und stellt danach fest: Nein, es ist nicht genug. Wir sind nie fertig. Wir müssen weiterlaufen, dürfen nicht stehenbleiben. Wir müssen weiter schnell und gut entscheiden. Wir müssen wachsen.


Professor Dr. Guido Quelle ist geschäftsführender Gesellschafter der Mandat Managementberatung. www.mandat.de, guido.quelle@mandat.de

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