Strategie & Management

Unternehmensstrategie

Eine Fahrt zwischen guter, schlechter und keiner Strategie

Nicht alle Unternehmungen haben eine Strategie. Nicht alle, die eine haben, sind erfolgreich, und nicht alle, die darauf verzichten, sind deswegen zum Scheitern verurteilt. In diesem Artikel werden zwei Aspekte von Strategie betrachtet, die in der einschlägigen Fach­literatur vorkommen und praktischen Nutzen für die betriebliche Praxis stiften.
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In der Fachliteratur wird oft Strategie mit einem engen Bezug zum Geschäftsmodell dargestellt. Diesem Ansatz liegt die Konzeption einer Unternehmung zugrunde (siehe Abb. 1), die aus Ressourcen und Fähigkeiten besteht, die wiederum in betrieblichen Prozessen eingesetzt werden, um Produkte herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. Die drei Bestandteile sowie ihr Zusammenwirken bilden das Geschäftsmodell, aufgrund dessen eine Unternehmung mit ihrer Umwelt interagiert.


Richtungsentscheide

Ein Unternehmer, der nach diesem Verständnis Strategieentwicklung betreibt, kann sich bei der Unternehmensgründung zunächst überlegen, über welche Ressourcen und Fähigkeiten er verfügt und in welchem wirtschaftlichen Umfeld diese am meisten Wert generieren könnten. Alternativ kann er in eine bestimmte Branche eintreten und dann die Res­sourcen und Fähigkeiten zusammenstellen, um erfolgreich zu wirtschaften. Das Nachdenken über die passenden Ressourcen und Fähigkeiten sowie über deren Einsatzmöglichkeiten hört nicht nach der Unternehmensgründung auf, denn ihr Wert verändert sich über die Zeit. Er wird von äusseren Umständen beeinflusst, wenn beispielsweise eine Technologie veraltet und das entsprechende Wis­sen an Marktwert verliert. Strategieentwicklung bedeutet also einerseits, Ressourcen und Fähigkeiten entsprechend den Markt­bedingungen aufzuwerten, weiterzuentwickeln und zu ergänzen. Andererseits bedeutet es, wiederholt nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für die ver­­füg­baren Ressourcen und Fähigkeiten zu suchen, was den Kern der unternehme­­rischen Tätigkeit ausmacht und zur Diversifikation des Geschäftsmodells führen kann. Die besten Schweizer Unternehmungen sind Meister darin, angrenzende Geschäftsfelder sukzessiv zu besetzen. 

Zum Alltag jeder gut geführten Unternehmung gehört es, die Prozesse, das heisst die Art, wie sie ihre Produkte herstellt oder Dienstleistungen erbringt, kontinuierlich zu verbessern. Strategieentwicklung in diesem Bereich heisst, sich die Vorteile neuer Technologien zunutze zu machen oder die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen, um die Aktivitäten den Erfordernissen anzupassen, sodass da­raus ein Mehrwert entsteht. Ein klassisches Beispiel dafür stellt die Analyse des Kundenverhaltens vom ersten Kontakt bis zum Abschluss beziehungsweise dem nicht erfolgten Abschluss des Geschäfts dar. Zieht man die richtigen Schlussfol­gerungen aus dieser Analyse und passt die Prozesse entsprechend an, so kann man die Kundenbedürfnisse besser und umfassender befriedigen.

Die Auswahl von Produkten oder Dienstleistungen kommt nicht zwingend am Schluss der Strategieentwicklung, sondern kann ebenso den Ausgangspunkt der strategischen Reflexion darstellen. Strategieentwicklung erfolgt dann stromaufwärts, von den zu erzielenden Ergebnissen zurück zu den dazu benötigten Fähigkeiten und Ressourcen über die Prozesse, die zur Erbringung der Leistung erforderlich sind.


Strategie nach aussen gerichtet

In diesem Ansatz scheinen Geschäftsmodell und Strategie identisch, jedoch sind sie keine Synonyme. Das Geschäftsmodell ist hauptsächlich einwärts gerichtet und bildet die Basis für die Strategie. Die Strategie wiederum ist nach aussen gerichtet und bezieht bewusst die unter­nehmerische Umwelt ein. Sie erfordert zunächst Überlegungen und dann Handlungen hinsichtlich der Position der Unternehmung in ihrer Umwelt. Passt sich die Unternehmung ihr an? Bezieht sie eine Nische darin? Prägt sie –  zumindest gewissermassen – ihr Umfeld? Hinter diesen Fragen steckt die Analogie eines Ökosystems, in dem verschiedene Lebewesen ihren Platz haben, sich ausbreiten und aus ihm verdrängt werden, wenn eine fremde Spezies hinzukommt und nicht abgewehrt werden kann.

Konkurrenzwahrnehmung

Wenn man von diesem Verständnis ausgeht, dann lautet die zentrale Frage der Strategie: «Worin unterscheidet sich unsere Unternehmung von der Konkurrenz?» Die strategische Analyse führt die Unterschiede auf die Komponenten des Geschäftsmodells sowie auf die Abstim­mung der Bestandteile aufeinander zurück. Ein Wettbewerbsvorteil entsteht demzufolge aus einem oder mehreren der folgenden Gründe: Die Unternehmung verfügt über i) bessere Ressourcen und/oder überlegene Fähigkeiten; ii) andere respektive effizientere Prozesse; iii) besondere Produkte oder Dienstleistungen. Dabei sind vordergründig nicht höhere Qualität oder günstigere Preise als jene bei der Konkurrenz entscheidend, sondern was den Bedürfnissen der Kunden am besten entspricht. Als vierter Grund sind folglich kundenfreundliche Distributionskanäle zu nennen. Ob diese firmenintern oder von Partnern zur Verfügung gestellt werden, ist ebenfalls Teil der strategischen Über­legungen. Wie praxisbezogen diese Gedankengänge sind, merkt man daran, dass der Wettbewerbsvorteil bei zahlreichen KMU – sprich ihr Differenzierungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz – auf diese Art identifiziert werden kann. Manch ein KMU verfügt zum Beispiel über spezialisiertes Wissen (Ressource, Fähigkeit), sodass es Kundenprobleme überhaupt oder besser lösen kann als seine Konkurrenten.  Andere KMU bieten auf die Bedürfnisse der Kunden perfekt zugeschnittene Produkte an und sind imstande, diese auch in geringeren Mengen als die marktüblichen Standards zu liefern (Prozesse), was das Interesse grösserer Konkurrenten von vornherein ausschliesst. Wiederum andere haben einen exzellenten Automatisierungsgrad ihrer Abläufe erreicht (Prozesse), dank dem sie im internationalen Wettbewerb mithalten können.


Bei keiner/schlechter Strategie

Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück: Was heisst es, wenn angesichts dieses Verständnisses von Strategie eine Unternehmung keine beziehungsweise eine schlechte Strategie hat? Konzentrieren wir uns bei der Antwort auf die folgenden zwei Varianten.

Variante A

Die Unternehmung unterscheidet sich von der Konkurrenz kaum bis gar nicht und die Geschäftsleitung kümmert sich auch nicht darum. Unter solchen Umständen vermag die Unternehmung zu überleben, solange das Wettbewerbsumfeld wohlwollend bleibt. Wenn aber innovative Konkurrenten hinzukommen, sich die Konjunkturlage ändert, die Kundenbedürfnisse mutieren oder die Nachfrage zurückgeht, so wird rasch die Resilienz der Unternehmung auf die Probe gestellt. Strategieentwicklung bedeutet in einem solchen Fall, das Umfeld der Unternehmung und insbesondere Kundenbedürfnisse sowie Konkurrenzangebote zu studieren, um eine Position zu ermitteln, welche die Unternehmung aufgrund ihrer Ressourcenausstattung und ihrer Kompetenzen beziehen beziehungsweise ausbauen kann. Eine typische Folge solcher Analysen ist die Entscheidung, gewisse Bereiche aufzugeben, weil das Geschäftsmodell der Unternehmung sie nicht passend abdecken kann und dessen Anpassung unwirtschaftlich wäre. Oft erfolgt dann der Aufbau anderer Bereiche, der mit einer Weiterentwicklung der Fähigkeiten, einer Veränderung der Prozesse, einer Umgestaltung der Produktpalette oder der Nutzung von anderen Distributionskanälen einhergeht.

Variante B

Das Geschäftsmodell ist nicht austariert beziehungsweise generiert keinen ausreichenden Mehrwert für den Kunden. Dieser Fall trifft auf manche KMU zu, die über ausgezeichnete technische Kom­petenzen verfügen, jedoch Vermarktung als schieren Vertrieb verstehen. Sie nutzen ihre Fähigkeiten unzureichend bis gar nicht, um die Produktentwicklung entsprechend den Kundenbedürfnissen frühzeitig zu steuern.  Ein Beispiel: Eine Unternehmung arbeitet seit längerer Zeit daran, ihre traditionellen Produkte dank dem Einsatz von modernen Technologien (Nanochips, Cloud-Lösungen usw.) «intelligenter» zu machen. Die Geschäftsleitung treibt die Entwicklung massgeblich voran und kann so erhebliche technologische Errungenschaften vorweisen. Bei der Vermarktung treten aber unvorhergesehene Schwierigkeiten auf. Während sich der erhoffte Marktdurchbruch hinauszögert, macht sich die Konkurrenz inzwischen daran, den technologischen Vorsprung wettzumachen. Hier würde Strategieentwicklung also bedeuten, die Schwach­punkte des Geschäftsmodells zu erkennen und mutig anzugehen. Zur  Diagnose wäre ein Blick von aussen auf die Unternehmung und ihr Geschäfts­umfeld hilfreich; und Hilfe sollte nicht erst dann in Anspruch genommen werden, wenn die Unternehmung bereits in Schieflage geraten ist.

Strategieoptionen

Strategie lässt sich aber auch nach einem kaskadenförmigen Ablauf definieren. Der Verwaltungsrat gibt die finanzwirtschaftlichen Ziele vor, er steckt den Rahmen für die Entwicklung der Unternehmung ab und er beauftragt die Geschäftsleitung mit der Umsetzung. Diese erarbeitet dann einen Plan, in dem Initiativen vorgeschlagen werden, um die Ziele zu erreichen, und beantragt die Zuteilung von Ressourcen. Der Verwaltungsrat verabschiedet die Massnahmen beziehungsweise gibt den Plan zur Überarbeitung zurück, wenn er die darin geschilderte Strategie kritisch betrachtet.

Wenn man Strategie auf diese Weise definiert, so trifft man auf eine beträch­tliche Anzahl Schweizer KMU, deren Geschäftsleitung mit dem operativen Geschäft ausgelastet ist und sich mit mittel- und langfristigen Plänen nicht beschäftigen möchte. Neben dieser Gruppe von Unternehmungen, die auf eine Auseinandersetzung mit Strategie verzichten, gibt es drei weitere Kategorien von Unternehmungen, die anders handeln.

Kategorie A

Einige KMU schränken ihr Wachstumspotenzial freiwillig ein. Sie verzichten entweder darauf, in neue Geschäftsfelder zu expandieren, weil sie eine zusätzliche Hierarchiestufe einführen müssten, um die zusätzlichen Mitarbeiter zu führen, die für die Expansion einzustellen wären. Oder sie beschränken ihre Tätigkeit von vornherein auf eine bestimmte Region.

Kategorie B

Einige KMU weisen auf die Unvorhersagbarkeit der Unternehmensumwelt hin und bezeichnen es als Zeit- und Ressourcenverschwendung, den Kurs ihrer Unternehmung lange im Voraus festzulegen, um Ziele zu erreichen, die mehr oder weniger willkürlich definiert werden. Der Leiter eines Ingenieurbüros liess in einem Interview die Bemerkung fallen, dass er keinen Einfluss darauf habe, den Bau einer Brücke oder eines Tunnels zu beschliessen. Anstatt sich mit Zielen und Massnahmen zu beschäftigen, würde er seine Anstrengungen lieber darin investieren, seine Organisationen fit zu halten, damit sie Umweltveränderungen nutzen könnte. Wie man sieht, hat das nicht mit einer passiven oder resignativen Haltung zu tun, sondern mit einem anderen Verständnis der Rolle und des Fokus eines Geschäftsführers.

Kategorie C

Noch spannender wird es bei der dritten Kategorie. Das sind KMU, die opportunistisch nach Chancen Ausschau halten und die langfristige Festlegung eines definierten Kurses als unnötige Limitation empfinden. Sie gehen davon aus, dass sie mehr Chancen antreffen werden, als sie im Voraus erwarten würden, und sie wollen sich keine Grenzen setzen. Sie experimentieren gerne, lancieren wiederholt neue Initiativen und stossen ebenso entschieden die misslungenen Ideen ab, wenn ihr Erfolg zu lange auf sich warten lässt. Solche KMU sollten darauf achten, dass ihre Mannschaft mit dem Zickzackkurs der Geschäftsleitung Schritt hält. Damit dies gelingt, braucht es eine effektive und zum Teil sogar redundante Kommunikation. Wie man aus diesen Erläuterungen folgern kann, gibt es durchaus Fälle, bei denen der Verzicht auf Strategie weder mit Inkonsistenz noch mit Scheitern zu tun hat.

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