Strategie & Management

Aus- und Weiterbildung III

Eignungsanalysen in der Lernenden-Rekrutierung

Es gibt viele Möglichkeiten, wie Unternehmen angehende Lernende finden, die auch zum Unternehmen passen. Je nach Branche stehen Eignungstests, Schnupperlehren, Abschlusszeugnisse oder aber auch Assessment-Tage im Vordergrund. Der Beitrag zeigt eine Übersicht über gängige Anbieter und Tests sowie Erfahrungsberichte von Unternehmen.
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Zu Beginn gleich so viel: Ein Rezept mit «Geling-Garantie», wie Unternehmen an den oder die perfekte Lernende/n kommen, gibt es nicht. Zu persönlich und indi­viduell ist die Besetzung von Lehrstellen. In den letzten Jahren sind nebst einer Schnupperlehre, einer ansprechenden Bewerbungsmappe und dem persönlichen Gespräch auch Zertifikate von Eignungstests immer wichtiger geworden. Grosskonzerne wie die Credit Suisse, die Post oder Coop berücksichtigen nur noch Bewerber, die einen Eignungstest absolviert haben. 

Hilfreiche Eignungsanalysen 

Aber auch immer mehr KMU setzen auf die Analysen als Auswahlkriterium. In  diversen Branchen sind die Eignungs­analysen mittlerweile ebenfalls fester Bestandteil beim Bewerbungsprozess geworden. Einerseits ermöglichen sie einen direkten und objektiven Vergleich unter den Bewerbenden, andererseits verein­fachen sie das ganze Bewerbungsver­fahren enorm. 

Hinzu kommt, dass sich viele Eltern inzwischen bewusst sind, dass der Einsatz von Eignungstests in der Rekrutierungsphase auch Ausdruck einer seriösen Ausbildung ist.

Die berufsbezogene Eignungsdiagnostik lässt sich in drei Bereiche aufteilen. Zum einen gibt es die Eignungsanalysen, die berufsbezogen eine objektiv vergleichbare Beurteilung von Jugendlichen erlauben. Zum zweiten gibt es die Persönlichkeitsanalysen, welche die jeweiligen Jugendlichen auf leistungs- und berufsbezogene Situationen hin prüfen. Beim dritten Bereich, den Interessensanalysen, ermitteln und plausibilisieren die Jugendlichen mittels Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten ihre Interessen und Stärken. Die Eignungsanalyse ist die gängigste Methode, um zu prüfen, ob ein Kandidat den Anforderungen des gewünschten Berufs entspricht, weshalb diese hier im Fokus steht.

Was getestet wird

Es ist unbestritten: Eignungstests werden immer wichtiger. Getestet werden je nach Anbieter unterschiedliche Bereiche. Dies sind zum einen das Schulwissen mit den Schwerpunkten Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Allgemeinwissen. Die Jugendlichen werden zudem auf ihre Persönlichkeit hin wie auch auf Wissens- und Fachkompetenzen geprüft. Im Fokus stehen aber auch Geschwindigkeit, Textverständnis, Konzentrationsfähigkeit oder räumliches Vorstellungsvermögen. Der Wissensstand wird üblicherweise am Ende der 8. Klasse abgeholt. Die einzelnen Lehrbetriebe bestimmen selbst, ob und welche Analysen sie von ihren an­gehenden Lernenden verlangen. Dafür können die Betriebe aus einer Vielzahl an Tests und Anbietern auswählen. Ab­bildung 1 zeigt eine Übersicht.

Der Multicheck

Ein Unternehmen, das sich seit über 20 Jahren mit Eignungsanalysen beschäftigt, ist die Firma «gateway.one» aus Bern. «gateway.one» ist ein interaktives Karriere­portal, und mit dem Multicheck ist das Unternehmen unter den privaten An­bietern marktführend. So ist der Multicheck mit rund 30 000 Durchführungen pro Jahr der Spitzenreiter unter den Eignungsanalysen in der Schweiz. Es handelt sich dabei um eine berufsspezifische Analyse. Das heisst, die Anforderungen eines Ausbildungsberufs stehen im Zentrum und die Jugendlichen absolvieren je nach Berufswunsch einen der neun verschiedenen Eignungsanalysen. 

Die Tests unterscheiden sich einerseits vom Inhalt, aber auch vom Niveau und sind auf den gewählten Beruf abgestimmt. Die computerbasierte Abklärung prüft das Schulwissen, die berufsspezifischen Fähigkeiten sowie kognitive Fähigkeiten wie Logik, Kurzzeitgedächtnis, Merkfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen und die Konzentrationsfä­higkeit. In über 50 Testzentren in der Schweiz kann der Multicheck in den Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch absolviert werden. Die Analysen dauern zwischen 1,5 und 3,5 Stunden und kosten zwischen CHF 60 und 100.

Wie erklärt sich der Geschäftsführer von «gateway.one», Adrian Krebs, die zunehmende Bedeutung des Multichecks? Dies hänge damit zusammen, dass vor allem viele Kleinbetriebe weder die Zeit noch die Finanzen hätten, um aussagekräftige Testverfahren zu entwickeln und  selbst durchzuführen, so Krebs. «Der Multicheck ist die einzige Eignungsanalyse, die in drei Sprachen verfasst ist. Sie ist objektiv und kann deshalb in allen Landesteilen eingereicht und verglichen werden».

Eignungstests: Pro und Contra 

Für die Jugendlichen heisst es bei der Lehrstellensuche also: Bevor sie eine Bewerbung absenden, müssen sie sich genaustens informieren, ob und welche Analyse vom jeweiligen Unternehmen verlangt wird. Das kann dann auch heis­sen, dass Jugendliche mehrere Analysen absolvieren müssen, wenn sie sich auf mehr als eine Lehrstelle bewerben möchten. Bewerben sich Jugendliche auf verschiedene Berufe, wird der Aufwand multi­pliziert.

Immer wieder kommt deshalb auch Kritik an den Verfahren auf. Die Schulzeugnisse und Bewerbungen würden durch die Tests abgewertet, heisst es beispielsweise. Auch die Kosten der Tests, die nicht von allen Unternehmen getragen werden, stehen immer wieder im Fokus der Kritik. Sowohl Ausbildungsbetriebe wie auch der Bund stellen sich jedoch hinter die Eignungsanalysen. So argumentierte der Bundesrat in seiner Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss, dass dank der Eignungsanalysen eine möglichst objektive Beurteilung der Bewerbenden möglich sei und Jugendliche mit durchzogenen Schulleistungen eine weitere Chance erhalten, ihr Potenzial zu zeigen.

Adrian Krebs erklärt, dass die Eignungsanalysen den Wert des Schulzeugnisses keinesfalls schmälern, sondern im Gegenzug eine Ergänzung darstellen. Angesprochen auf die Kosten rechnet Krebs vor, dass «gateway.one» abzüglich Personal- und Mietkosten maximal CHF 2,50 pro Test zufallen. Dieses Geld wiederum wird laufend in Projekte investiert, welche das Unternehmen den Lehrstellen­suchenden kostenlos zur Verfügung stellt. So können die Jugendlichen beispielsweise eine kostenlose digitale Bewerbungsmappe erstellen und sich über das Portal direkt auf offene Lehrstellen bewerben. 

Irene Geiser von Cerutti Partner Architekten AG stellt sich ebenfalls hinter die Eignungsanalysen: «Mit diesen Tests investieren die Jugendlichen in ihre berufliche Zukunft. Aus meiner Sicht sind diese Analysen ihren Preis wert». Geiser argumentiert auch ganz betriebswirtschaftlich: «Auf diese Weise können wir viele Arbeitsstunden einsparen. Der Rekrutierungsprozess hat sich für uns vereinfacht. Das macht es mir, als Gesamtverantwortliche HR, einfacher, einen Überblick zu behalten. Bei uns rekrutieren beispielsweise die Ausbildner selbst, dank der Tools hat sich dieser Prozess nun ver­einheitlicht und professionalisiert.»

Bedarfsorientiert zugeschnitten

Cerutti Partner Architekten AG ist kein Einzelfall. Immer häufiger greifen Unternehmen auf die Angebote privater Anbieter zurück, um standardisierte Eignungstests den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Dieser Trend bestätigt auch Krebs: «Immer mehr Unternehmen lassen firmeneigene ‹Multichecks› erstellen. Und wir werden auch immer häufiger gebeten, das gesamte Lernenden-Recruiting für Unternehmen mitzugestalten». 

Samuel Lanz von der Valiant Bank, welche seit rund vier Jahren den gesamten Rekrutierungsprozess über «gateway.one» laufen lässt, erklärt, wieso sich dieses Modell für sie bewährt hat: «Wir rekru­tieren schweizweit und brauchen eine Vergleichsbasis. Genau diese liefern uns die Analysen. Mittels dieser Vergleichsinstrumente können wir dann abwägen, ob sich die Resultate mit den Zeugnissen und der Bewerbungsmappe ungefähr decken und wir erhalten einen Gesamteindruck der Kandidaten. Der Mensch steht bei der Valiant Bank im Vordergrund, und dafür braucht es das persönliche Gespräch». Darum, so Lanz weiter, verlassen sich die Recruiter nicht nur auf die Eignungsanalysen. Sowohl die schulischen Leistungen wie auch die Resultate des obligatorischen Assessment-Tages, während dessen die Jugendlichen zudem eine Persönlichkeitsanalyse von «gateway.one» absol­vieren, werden ausgewertet. Erst dann fällt die Bank eine Entscheidung. 

Individualisierter Prozess 

Unabhängig davon, mit welchen Hilfsmitteln nach den passenden Lernenden gesucht wird: Die Besetzung einer Lehrstelle ist zeitaufwendig und kann – insbesondere für die Jugendlichen – sehr emotional sein. Bei der Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten spielen für die Unternehmen viele Fak­toren eine Rolle. Wissenschaftliche Analysen können und sollen die Firmen dabei unterstützen, objektive Entscheide zu fällen, das Bauchgefühl zu be­stätigen oder auch einen angehenden Lernenden in einem anderen Licht zu zeigen. Welche Analyse oder Methode schlussendlich zum Zuge kommt, bestimmt das Unternehmen. Und dank der grossen Auswahl und Flexibilität der Tests, kann jedes Unternehmen individuell seinen  eigenen Rekrutierungsprozess festlegen.