Strategie & Management

Weiterbildung

Digitalisierung verlangt neue Lernkonzepte

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet Unternehmen die Chance, ganz neue Lernarchitekturen zu schmieden – Architekturen, die effizierter und effektiver als die tradierten sind und stärker den Bedürfnissen insbesondere ihrer jungen Mitarbeiter entsprechen.
PDF Kaufen

Um die Effizienz ihrer Weiterbildung und Personalentwicklung zu erhöhen, denken Unternehmen seit die ersten PCs in den Büros Einzug hielten darüber nach: Wie können wir das Lernen in Präsenz-Seminaren und -Trainings mit einem computergestützten Lernen verknüpfen? Be­sonders intensiv beschäftigen sich mit solchen «Blended Learning» genannten Lernkonzepten bereits vor 25, 30 Jahren die Unternehmen,

  • in denen grosse Gruppen von Mitarbeitern weitgehend identische Tätigkeiten verrichten, weshalb sie auch nahezu dieselben Kompetenzen brauchen, und
  • die regelmässig vor der Herausforderung stehen, grosse Mitarbeitergruppen zu schulen.

Motiv: Zeit und Geld sparen

Als Beispiel seien die grossen Finanzdienstleister und Krankenkassen genannt, die zumindest in der Vergangenheit nicht nur Tausende von Sachbearbeitern in ihrer Verwaltung beschäftigten, sondern auch Heerscharen von Verkäufern sowie Kundenbetreuern im Innen- und Aussendienst zum Betreuen der Bestandskunden und zum Akquirieren von Neukunden. Sie erhofften sich von den Blended-Learning-Konzepten vor allem eine Ersparnis von (Arbeits-)Zeit und Geld, wobei das allgemeine Credo lautete: Mit den computergestützten Lernprogrammen lassen sich zwar kognitive Lerninhalte vermitteln, doch zum Herbeiführen von Einstellungs- und Verhaltensänderungen sowie zum Einüben des gewünschten Verhaltens ist weiterhin eine Begegnung von Mensch zu Mensch nötig – also ein persönliches Treffen zwischen dem «Lerner» und seinem Trainer.

Eine entsprechend grosse Rolle spielten darum damals in den entwickelten Blended-Learning-Konzepten die Präsenz-Seminare und -Trainings. Viele Unternehmen versuchten daher, den Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation beim computergestützten Lernen mit Chatrooms, Tele-Tutoren und vereinzelt sogar mit eigenen Business-TV-Sendern auszugleichen.

Motiv: Individualisierung

Etwa um die Jahrtausendwende, als in den Betrieben PCs bereits allgegenwärtig waren, gewann neben dem Motiv, Zeit und Geld zu sparen, in den Unternehmen ein weiteres Motiv an Bedeutung, sich mit den Themen «computergestütztes Lernen» und «Blended Learning» zu befassen. Zu diesem Zeitpunkt erkannten viele Unternehmen: Weil aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in unserer Organisation zunehmend die einfachen Tätigkeiten entfallen, werden die Aufgaben unserer Mitarbeiter stets herausfordernder und komplexer.

Deshalb und aufgrund der immer stärker praktizierten Team- und Projektarbeit sind auch die Lernbedarfe insbesondere unserer höher qualifizierten Mitarbeiter sehr verschieden – nicht selten sogar so verschieden, dass sie mit top-down organisierten und zentral geplanten Entwicklungsmassnahmen nur noch bedingt befriedigt werden können.

Also begannen die Unternehmen verstärkt darüber nachzudenken, wie eine Lernarchitektur gestaltet sein könnte, die einerseits ihrem Bedarf entspricht und andererseits eine individuelle Förderung der Mitarbeiter ermöglicht und ihnen die Chance eröffnet, bedarfsorientiert zu lernen. In Folge davon begannen die Unternehmen zu dieser Zeit, Lernprogramme für die unterschiedlichsten Lernbedarfe zu entwickeln, auf die ihre Mitarbeiter von ihren Rechnern aus sozusagen jederzeit Zugriff hatten – angefangen bei den Themen Führung und Verkauf bis hin zu Selbst- und Stressmanagement. Diese Programme dienten einerseits dazu, den Mitarbeitern die jeweils relevanten kognitiven Lerninhalte zu vermitteln, und andererseits dazu, zum Beispiel nach Präsenz-Seminaren und -Trainings den Transfer in den Arbeitsalltag zu sichern.

Der Coaching-Boom

Parallel dazu begannen in den Unternehmen die Coachings zu boomen, da die Praxis zeigte: Insbesondere, wenn es um das Überwinden gewohnter Denk- und Verhaltensmuster, also einen sogenannten Musterwechsel, geht, benötigen die meisten Menschen weiterhin eine persönliche Unterstützung; und beim Versuch, ein verändertes Verhalten im Arbeitsalltag zu zeigen, treten oftmals so viele Unsicherheiten auf, dass eine individuelle, unterstützende Begleitung sinnvoll ist, damit bei den Mitarbeitern die gewünschte Verhaltenssicherheit entsteht.

Deshalb enthielten fortan die meisten Blended-Learning-Konzepte auch Coaching-Elemente, wobei die Coachings in der Regel Präsenz-Coachings waren. Das heisst, bei den Coachings trafen sich der Coach und der Coachee, so werden die zu coachenden Personen genannt, persönlich, da weiterhin ein Credo lautete: Wenn es darum geht, eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung bei den Mitarbeitern herbeizuführen und bei ihnen im Verhaltensbereich einen Musterwechsel zu bewirken, ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch nötig.

Mobile Endgeräte im Alltag

Seit drei oder vier Jahren – beziehungsweise seit die Floskeln «Digitalisierung der Wirtschaft» und «Digitale Transformation der Unternehmen» sozusagen in aller Munde sind – findet jedoch auch ein Überdenken dieser Konzepte der Personalentwicklung in vielen Unternehmen statt – aus mancherlei Gründen.

Anders als noch vor 10, 15 Jahren sind heute die meisten Mitarbeiter der Unternehmen (beziehungsweise zumindest das Gros der Hauptzielgruppen der Personalentwicklung) bereits «digital natives». Das heisst, sie wuchsen mit dem Computer auf und sind es aus der (Hoch-)Schulzeit gewohnt, diesen als Lerninstrument zu nutzen. Zudem haben sich die mobilen Endgeräte – vom Laptop über das Tablet bis hin zum Smartphone – zu einem Alltagsbegleiter sowohl im Beruf wie im Privaten entwickelt.

Und die jungen Mitarbeiter der Unternehmen von heute sind es nicht nur gewohnt, sich mit diesen Medien zu informieren und mit ihnen zu kommunizieren, sondern auch mit dessen Hilfe ihre (Zusammen-)Arbeit zu planen. Ausserdem nutzen sie im Privatbereich ganz selbstverständlich Apps zum Sprachenlernen; aus-serdem lassen sie sich durch diese auch bei solchen Tätigkeiten wie dem Sporttreiben und für solche Ziele wie Abnehmen coachen.

Mit moderner Technik lernen

Deshalb wirkt es für sie heute oftmals geradezu anachronistisch, wenn gerade diese Personen im Bereich der betrieblichen Weiterbildung sowie der Personalentwicklung auf diese Hilfsmittel ver­zichten sollen. Schliesslich benutzen sie dieses Equip­ment ja auch bei ihrer Projekt­arbeit. Und das gilt insbesondere dann, wenn sie, wie viele junge Leistungsträger, in den Betrieben herausfordernde Jobs haben und in betriebliche (oft standort- und zuweilen auch länderübergreifende) Netzwerke eingebunden sind. Es ist darum nachvollziehbar, dass es ihnen heute meist schwerfällt, zu sagen:

  • «In drei, vier Wochen habe ich Zeit für ein mehrstündiges Coaching» oder
  • «In zwei oder drei Monaten habe ich Zeit für die Teilnahme an einem Seminar, das 200 Kilometer entfernt von meinem Wohn- beziehungsweise Arbeitsort stattfindet.»

Und wird diesen Mitarbeitern von aussen, also zum Beispiel vom Personalbereich, die Teilnahme an einem ein-, zweitägigen Seminar aufoktroyiert, dann sehen sie darin häufig nicht eine Chance, sich zu entwickeln, sondern eine lästige Zusatzaufgabe. Entsprechend gering ist ihre Lernmotivation, was sich auch an ihrem Verhalten zeigt. In den Kaffeepausen hängen sie sofort in einer Ecke an ihrem Handy, um mit Kollegen dringliche Dinge zu besprechen; und in den längeren Pausen verschwinden sie auf ihren Zimmern, um an ihren Laptops wichtige Aufgaben zu erledigen.

Entsprechend wenig nachhaltig wirken bei ihnen die in den Seminaren und Trainings besprochenen Inhalte. Kurz nach dem Verlassen des Seminarhotels sind sie nicht selten wieder vergessen, denn auf dem Weg nach Hause parlieren sie im Auto via Handy zum Beispiel schon wieder mit Kollegen darüber, wo es in ihrem Projekt brennt. Vor diesem Hintergrund denken seit einigen Jahren die Unternehmen verstärkt darüber nach, wie sie die betriebliche Weiterbildung mit der modernen Informations- und Kommunikationstechnik nicht nur effizienter und effektiver, sondern auch den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter gerechter gestalten können. Dabei ist Folgendes weitgehend Konsens: Auch künftig wird, wenn das Lern- oder Entwicklungsziel eine Einstellungsänderung voraussetzt, eine persönliche Beziehung – also auch ein persönliches Kennenlernen zwischen dem «Lerner» und der Person, die ihn in seiner Entwicklung begleitet (also dem Trainer, Mentor oder Coach) – unerlässlich sein, damit

  • das erforderliche Vertrauen entsteht und
  • die Beteiligten ihr jeweiliges Gegenüber auch als Person einschätzen können.

In manchen Fällen kann dieses Sich-Kennenlernen jedoch auch via Video- oder Skype-Konferenzen erfolgen.

Bei allen hierauf aufbauenden Prozessen stellt sich jedoch die Frage: Inwieweit können hierfür nicht auch elektronische Medien als Hilfsmittel genutzt werden? So können und werden die Unternehmen künftig zum Vermitteln von Lerninhalten gewiss verstärkt auf Webinare statt Präsenz-Seminare setzen – nicht nur, weil hierdurch Reisezeiten und -kosten entfallen, sondern auch, weil sich mit ihnen leichter solche Designs wie «vier Mo­­dule à zwei Stunden» statt einmal einen ganzen Tag realisieren lassen. Und beim Coachen ihrer Mitarbeiter werden sie verstärkt auf solche «Kanäle» wie das Telefon- und Video-Coaching sowie das Coachen mittels Skype und Whatsapp setzen – auch weil diese sich kurzfristiger planen lassen.

Micro-Learnings

Und beim Trainieren der Verhaltenssicherheit, welche die Mitarbeiter im Arbeitsalltag brauchen? Hier werden die Unternehmen verstärkt auf solche Apps setzen, wie sie ihre Mitarbeiter im Privatbereich heute schon nutzen, denn die Erfahrung zeigt: Sie sind geeignete Tools, um mit sogenannten «Micro-Learnings» wie Transferfragen und -aufgaben sowie (Kurz-)Videos und Audios das Gelernte einzuüben und zu vertiefen.

Mit den vielen Möglichkeiten, welche die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet, lassen sich heute bereits ganz neue Lern- beziehungsweise Blended-Learning-Konzepte schmieden. Konzepte, die viel stärker als die tradierten nicht nur dem Bedarf des jeweiligen Unternehmens, sondern auch den Bedürfnissen der Teilnehmer entsprechen. Das wirkt sich auch positiv auf deren Lernmotivation aus.

Augmented reality

Die Möglichkeiten werden in den nächsten Jahren weiter steigen, wenn die «Virtuelle Realität» beziehungsweise «augmented reality» (zu Deutsch: erweiterte Realität) in die computer- und netzgestützten Lernprogramme Einzug hält. Je stärker dies der Fall ist, umso häufiger wird es auch möglich sein, virtuelle Lernlandschaften zu kreieren, in denen die Teilnehmer nicht nur – wie heute bereits üblich – das Handling von Maschinen, sondern auch den adäquaten Umgang mit Menschen, seien dies Kunden oder Mitarbeiter, trainieren.

Ausblick

Diese Zukunft ist heute bereits teilweise Gegenwart – wie ein Blick in die «Gaming-World», also ein Blick in die Welt der elektronischen Unterhaltungsspiele zeigt. Entsprechend sollten sich zumindest die Profis in Sachen Weiterbildung und Personalentwicklung mit dieser Veränderung befassen – denn die fortschreitende digitale Transformation der Unternehmen macht auch vor der betrieblichen Weiterbildung und der Personalentwicklung nicht halt.

Porträt