Strategie & Management

Kolumne

Die Welt des eigenen Kunden verstehen

Nicht nur eine stringente Kundenorientierung macht wachstumsorientierte Unternehmen erfolgreich, sondern vor allem auch, die Bedürfnisse der Kunden ihrer Kunden zu kennen.
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Jedes Unternehmen handelt und existiert in einem eigenen, in der jeweiligen Form einzigartigen System. In diesem System gibt es unterschiedliche Akteure und Einflüsse wie gesetzliche Reglementierungen, Wettbewerber, ökonomische Rahmenbedingungen und vieles mehr. Eines verbindet wachstumsorientierte Unternehmen: Sie richten sich konsequent an ihren Kunden und deren Bedürfnissen aus. Sie rücken den Kunden bildhaft gesprochen in den Mittelpunkt ihres Systems. So weit, so in der Regel bekannt. Bekannt sind auch die Fragen, die man sich hierzu üblicherweise stellt: Was braucht mein Kunde? Wie kann ich seine Bedürfnisse bestmöglich und profitabel befriedigen? Wie kann ich ihm zeigen, was er wirklich braucht und dadurch Wachstumsgelegenheiten aufzeigen und neu schaffen? Wie kann ich meinen Kunden bestenfalls wirklich begeistern? 

Die Teile der Wertschöpfungskette

Nun kommt ein Kniff, der den guten Vertrieb und den herausragenden Vertrieb unterscheidet. Der herausragende Vertrieb bezieht das System, in dem der eigene Kunde agiert, in die Überlegungen zur Vertriebsarbeit mit ein. Damit rückt unmittelbar der Kunde des Kunden in den Mittelpunkt des Interesses. Die Welt des eigenen Kunden zu verstehen heisst, den Kunden zu verstehen, und bei Mandat gehen wir noch einen Schritt weiter: Wenn ein wachstumsorientiertes Unternehmen Teil der Wertschöpfungskette seines Kunden ist und nicht verstanden hat, was der Kunde des Kunden braucht, kann der eigene Kunde im B2B-Umfeld häufig nicht oder nur zufällig richtig bedient werden. Ein Hersteller von Holzprodukten für den Schreinerbedarf, der über den Grosshandel vertreibt (den ersten Kunden), der in die eigene Produktpolitik nicht einbezieht, dass immer mehr werkstattlose Schreiner Kunden seines Kunden sind, steuert nahezu unvermeidlich auf Wachstumshürden zu, denn dies ändert die Anforderungen an Gebindegrössen, den Grad der Vorfertigung und vieles mehr dramatisch.

Was den Kunden des Kunden beschäftigt

Ein weiteres Beispiel illustriert diesen Zusammenhang und die verbundenen Wachstumschancen: Nehmen wir ein Unternehmen, das Fliesen an professionelle Kunden, in diesem Fall der Einfachheit halber ausschliesslich an Fliesenleger, verkauft. Um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, konzentriert sich das Beispielunternehmen auf bestimmte Nutzenaspekte, die das Unternehmen differenziert und seine Leistungen besonders wertvoll für den Kunden machen. Dies können Preis-, Leistungs-, Sortiments-, Qualitäts-, Service- oder ähnliche Vorteile für den eigenen Kunden sein. Auf welche Vorteile sollte sich das Beispielunternehmen konzentrieren? Wie gelingt es, den grössten vertrieblichen Erfolg zu erzielen? Der Schlüssel zur Antwort liegt in den Bedürfnissen des Kunden des Kunden. Arbeitet der Fliesenleger, an den man verkaufen möchte, mit modeaffinen, luxusorientierten Kunden zusammen, so steigt sein Kaufinteresse bei wertigen, aktuellen Designs und individuellen Anpassungsmöglichkeiten. Konzentriert sich das eigene Fliesenlegerklientel auf grosse, «einfache» Flächen und wünscht somit in erster Linie ein schnelles, qualitativ einwandfreies Ergebnis, so mögen Aspekte wie das schnelle, problemlose Zurechtschneiden, bei gleichzeitig geringem Ausschuss, zugkräftigere Argumente sein. Es ist in jedem Fall empfehlenswert, zu prüfen, wie sich das skizzierte Muster auf die eigenen vertriebsstrategischen Überlegungen übertragen lässt. Die Leitfragen hierzu lauten: Was beschäftigt den Kunden meines Kunden? Wie kann ich hierdurch wachstumswirksame Vorteile erarbeiten – von der Produktentwicklung bis zum Gespräch auf Augenhöhe mit dem eigenen Kunden?

Die wichtige Frage nach dem Warum

Eine wichtige Zwischenüberlegung zum Begriff des «Bedürfnisses» sollte hierbei Berücksichtigung finden, denn das tatsächliche Bedürfnis ist häufig nicht der erste Punkt, der in Diskussionen zum Thema genannt wird. Das Bedürfnis liegt eben nicht in einem niedrigen Preis, einer herausragenden Qualität oder einem besonders hohen Inno­vationsgrad – das Bedürfnis liegt eine oder meh­rere Ebenen tiefer. Eine Schlüsselfrage, um das Bedürfnis zu ergründen, stellt die Frage «Warum?» dar. «Warum fragt der Kunde nach einem niedrigeren Preis? Warum stellt er das Thema Innovationsgrad der Produkte in den Mittelpunkt seiner Erwägungen? Warum fokussiert er das Thema Qualität so sehr?» In einem aktuellen Beratungsprojekt ist es durch gründliche Erwägungen des Warum gelungen, das zuerst angenommene Bedürfnis nach einem geringen Preis weiter aufzuschlüsseln und zu den Faktoren Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit vorzudringen. Bedürfnisse, die das betreffende Unternehmen durch (vergütete) Dienstleistungen und gezielte Beratung im Vorfeld zu leisten im Stande ist – über diesen Fokus ist es gelungen, den angenommenen Preisdruck zu lockern und zeitgleich die Profitabilität und die Kundenzufriedenheit zu steigern.

Eine Vielzahl von aktuellen Fallbeispielen untermauert die Relevanz der Frage nach den Bedürfnissen des Kunden des Kunden. Innovative Unternehmen wie True Fruits, My Muesli und viele mehr machen es vor: Sie verstehen die Bedürfnisse des Kunden (hier des Endkunden) des eigenen Kunden (hier der Lebensmitteleinzelhandel) bestens und verschaffen somit ihrem eigenen Kunden einen exzellenten Vorteil. Dies haben sie vielen etablierten Herstellern voraus, die Stück für Stück den Endkunden aus den Augen verloren und sich mehr und mehr auf andere Felder – auch die interne Optimierungen – konzentrierten. Im Verständnis der Bedürfnisse des Kunden des Kunden liegt regelmäs­sig der Schlüssel für echte Innovation, dem Fundament für gesundes, profitables Wachstum.

Fragestellungen zur Unternehmensstrategie des Kunden

Sind die Bedürfnisse des Kunden des eigenen Kunden durch die oben stehenden und ähnliche Überlegungen ergründet, so lässt sich aus dieser Position das Verständnis der Welt des Kunden weiter verbessern. Rein methodisch lohnt es sich, präzise Fragen zur Unternehmensstrategie des eigenen Kunden zu stellen und bei jedem Punkt zu über­legen, welche Implikationen dies für die eigene Marktbearbeitung hat – wie kann ich es meinem Kunden einfacher machen, wie kann ich mehr (bezahlten) Wert für ihn schaffen? Orientierungsfragen zur Ergründung der Strategie:

  • Welche Zielkunden fokussiert mein Kunde?
  • Welche Bedürfnisse will mein Kunde bei diesen adressieren? Wie kann ich ihn dabei bestmöglich unterstützen?
  • Welche Produkte und Leistungen bietet mein Kunde am Markt an, um diese Bedürfnisse zu befriedigen?
  • Welche Wettbewerber hat mein Kunde? Wie positioniert er sich diesen gegenüber?
  • Welche Marktbotschaft will er senden? Wofür will er stehen? Was will er mit seiner Marke vermitteln?
  • Welchen eigenen Vertriebsansatz verfolgt mein Kunde?
  • Welche Prozesse setzt er zur Erbringung seiner Leistung ein?

Daraus resultiert die Grundannahme: Je besser ich nachvollziehen kann, was mein Kunde erreichen will, was ihn umtreibt und was er vermeiden will, desto präziser kann ich mein Leistungsangebot darauf ausrichten. Je treffsicherer dieses Leistungsangebot entwickelt ist, desto mehr Wert schaffe ich für meinen Kunden. Je mehr Wert ich für meinen Kunden schaffe, desto gesünder und profitabler ist mein eigenes Wachstum.


Fabian Vollberg ist Senior-Berater und Prokurist der Mandat Managementberatung. www.mandat.de, fabian.vollberg@mandat.de, Twitter: @FabianVollberg