Zum Jahresausklang erscheint es mir geboten, an dieser Stelle über ein Thema zu schreiben, das zum Nachdenken anregen soll und nicht so viel mit operativen Einzelheiten zu tun hat. Es ist ein Thema, auf das es keine einfachen Antworten gibt. Es handelt sich um die Beantwortung einer einzigen Frage, die sich – so einfach sie gestellt ist – nicht mit simplifizierten Floskeln abspeisen lässt. Gleichwohl wollen wir in der gebotenen Kürze einmal den Scheinwerfer auf diese Frage richten: Wofür ist der Unternehmer eigentlich verantwortlich?
«Manager kann man entlassen, Unternehmer müssen verkauft werden.»
In fast allen Unternehmen des (gehobenen) Mittelstands, die wir kennen, mit denen wir zusammenarbeiten, in denen wir auch häufig die persönlichen Berater von Unternehmerinnen und Unternehmern sind, wird das Wort «Verantwortung» in Grossbuchstaben geschrieben. Das ist auch erklärbar, denn wie lautete der Spruch noch, über den ich bereits vor vielen Jahren gelacht habe, dessen Urheber ich aber leider nicht mehr kenne? «Manager kann man entlassen, Unternehmer müssen verkauft werden.» Unternehmer, Gesellschafter, persönliche Hauptaktionäre sind viel stärker an das Unternehmen gebunden als ein angestelltes Management. Das soll nicht bedeuten, dass Manager grundsätzlich weniger Verantwortung empfinden, mitnichten. Aber das persönliche Schicksal, oft das Familienschicksal, wird ja doch oft an das Unternehmen gebun-
den in einer Unternehmerfamilie, insbesondere dann, wenn der eigene Name am Unternehmen, auf dem Briefpapier, in der Werbung, auf dem Messestand und in den Bankbürgschaften prangt. Was also ist es, das von Unternehmern tatsächlich verantwortlich erwartet werden darf, kann, soll und muss? Wir wollen von der Funktion des aktiven Unternehmers ausgehen, also nicht von einer Familie, die das Unternehmen nur noch als Investment führt. Die nachfolgenden Aspekte sind übrigens auch auf die familienfremden Manager übertragbar.
Die erste Verantwortung: «Loslassen»
Festzustellen ist, dass sich die meisten Unternehmer, die ich kenne, eine zu hohe Verantwortung auferlegen. Natürlich: Am Ende ist man für alles verantwortlich, aber bitte nicht um den Preis, jedes Detail kennen zu müssen. Nein, meist ist sogar weniger mehr. Als Erstes ist das «Loslassen» zu nennen, denn Unternehmer sind zwingend dafür verantwortlich, dass Verantwortung im ganzen Unternehmen getragen wird, und zwar einerseits für den jeweiligen Fach- und Funktionsbereich, andererseits auch für den Gesamtzusammenhang. Loslassen fällt Unternehmern aber traditionell eher schwer. Erschwert wird dieses Loslassen durch permanente Erinnerung daran, dass niemand die Dinge so gut kann wie der Chef.
«Das hätte niemand so hinbekommen wie unser Chef!», habe ich schon Dutzende Male gehört. Mag sein, aber vielleicht hätte jemand anderes es auch hinbekommen, und zwar ohne dass der Chef hätte involviert sein müssen. Loslassen wird insbesondere dann schwierig, wenn die Zeit drängt, denn der Chef hat in der Regel schnell eine Lösung zur Hand – allein schon aus der langjährigen Erfahrung – und er nennt diese Lösung in der Regel auch. Das Resultat? Der Mitarbeiter geht aus dem Raum, hat eine prima funktionierende Lösung und nichts dabei gelernt, ausser dass der Chef wie immer den besten Weg kennt. Auch wenn keine Zeit besteht, gilt die Erfordernis nach der Frage «Was schlagen Sie denn vor, lieber Mitarbeiter?» Man staune, es kommen viele gute Vorschläge. Die erste Verantwortung also: Loslassen.
Die zweite Verantwortung: Eine starke zweite Reihe aufbauen
Nun geht das Loslassen leichter, wenn man über Mitarbeiter verfügt, denen man auch zutraut, dass sie eine gute Lösung ohne Einwirken des Unternehmers schaffen. Dies wird – selbst in grossen Unternehmen des Mittelstands – regelhaft vernachlässigt. Natürlich beisst sich hier die Katze in den Schwanz, denn wer seine Mitarbeiter nicht fordert, erhält Erfüllungsgehilfen. Wie sagte ein leitender Mitarbeiter eines mittelständischen Klientenunternehmens neulich? «Ich möchte Führungskräfte, nicht nur Ausführungskräfte.» Dazu ist insbesondere die Ebene unterhalb des Vorstands oder der Geschäftsführung besonders wichtig, denn diese Ebene, die leider oft als «Lehmschicht» oder gar als «Lähmschicht» bezeichnet wird, ist verantwortlich dafür, dass der unternehmerische Wille operationalisiert wird. Diejenigen, die ihre zweite Führungsebene mit derart bösen Worten bedenken, haben entweder die falschen Leute am Start oder sind Teil des Problems. Diejenigen, die nicht über eine wirkungsvolle zweite Ebene verfügen, tun gut daran, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die zweite Verantwortung also: Eine starke zweite Reihe aufbauen, mit der man gerne und vertrauensvoll zusammenarbeitet.