Strategie & Management

Unternehmensentwicklung

Die Unternehmenskultur mit System entwickeln

Topmanager befassen sich meist ungern mit dem Thema Unternehmenskultur, unter anderem weil es hierbei in ihren Augen so stark «menschelt». Doch bei der Kulturentwicklung geht es primär um Fragen, die auch einen starken Einfluss auf solch harte Erfolgsparameter wie Ertrag und Marktanteil haben.
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Wie kann man einen Menschen charakterisieren? Allein mit Daten zum Alter, der Grösse und Haarfarbe sicher nicht. Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen. Sie lassen sich zwar mit Hard Facts wie Geschäftsfeld, Mitarbeiterzahl, Umsatz beschreiben, doch nicht charakterisieren. Und schon gar nicht sagen sie etwas darüber aus, wie eine Firma tickt. Hierfür benötigt man andere Informationen, zum Beispiel darüber, von welchen Maximen sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit leiten lassen, wie sie Informationen verarbeiten, mit Kunden umgehen und so weiter. Kurz: Man muss die Kultur des Unternehmens kennen.

Kultur wird oft unterschätzt

Nicht wenige Unternehmensführer unterschätzen im Alltag, welche Chancen, aber auch Risiken in den sogenannten Soft Facts für das Erreichen der Ziele schlummern. Eine hoch motivierte Mannschaft kann zum Beispiel scheinbar Unmögliches erreichen. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen in den Ruin. Das Gros der Unternehmensführer kennt die Auswirkungen der Unternehmenskultur auf die harten Zahlen. Entsprechend gross ist oft ihr Wunsch, diese gezielt zu verändern. Zum Beispiel in die Richtung, dass die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit stärker an die Bedürfnisse der Kunden denken. Oder dass aus Erkenntnissen schneller Entscheidungen abgeleitet und umgesetzt werden. Oder dass die Mitarbeiter stärker als Team agieren. 

Kein «Sozial-Klimbim»

Trotzdem wird in den meisten Betrieben keine bewusste Kulturarbeit betrieben, denn viele Unternehmensführer befassen sich ungern mit den Soft Facts. Zum einen weil sich diese Faktoren schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen. Zum anderen weil sie – unbewusst – Kulturfragen oft als «Sozial-Klimbim» erachten, der viel Zeit und Geld kostet. Das liegt auch daran, dass in der öffentlichen Debatte das Thema Unternehmenskultur häufig mit dem Thema «Mitarbeiterhege und -pflege» gleich­gesetzt wird. So berichten zum Beispiel Zeitschriften unter dem Stichwort Unternehmenskultur meist ausführlich über Programme zum Fördern der Mitarbeiter und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie suggerieren damit: Das Unternehmen mit den meisten und aufwendigsten Programmen dieser Art hat die «beste» Unternehmenskultur.

Übersehen wird dabei, dass sich in solchen Programmen zwar teilweise die Kultur eines Unternehmens widerspiegelt, es letztlich aber um tiefer gehende Fragen geht. Zum Beispiel: Von welchen Normen lassen sich Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten? Oder: Von welchen Grundeinstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt? Denken die Mitarbeiter eher «Was mein Kollege am Nachbartisch macht, geht mich nichts an»? oder handeln sie nach der Maxime: «Wir sind ein Team. Also müssen wir kooperieren»? Oder wie geht das Unternehmen mit neuen Herausforderungen um? Werden sie verdrängt oder aktiv bearbeitet?

Veränderung erfordert Zeit

Viele Unternehmensführer sind zudem überzeugt: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur sehr langsam und mit einem hohen Energieaufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag ganz auf den Versuch, weil es nach ihrer Auffassung «Wichtigeres» beziehungsweise «Dringlicheres» zu tun gibt. Diese Haltung ist verständlich. Denn es dauert seine Zeit, bis zum Beispiel aus einem behördenähnlich agierenden Unternehmen ein kundenorientierter Dienstleister wird. Drei bis fünf Jahre sollte man hierfür bei grösseren Organisationen schon einkalkulieren. Denn um einen solchen (mentalen) Turnaround zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Die Mitarbeiter müssen auch neue Denk- und Handlungsmuster sowie -routinen entwickeln. Das erfordert Zeit. 

Trotzdem sollte der Versuch nicht unterbleiben, die Unternehmenskultur aktiv zu gestalten. Denn anders lassen sich viele unternehmerische Ziele – wie zum Beispiel der «Technologie-» oder der «Serviceführer» oder das «ertragsstärkste Unternehmen» in der Branche zu werden – nicht erreichen. 

Konsequenz zeigen

Oft scheitert der Versuch, die Kultur zu verändern, auch an folgendem Punkt: Viele Unternehmensführer formulieren zwar entsprechende Entwicklungsziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Die Aufgabe, die erforderlichen Entwicklungsmassnahmen einzuleiten und umzusetzen, delegieren sie an eine junge Führungskraft, die sich bewähren soll, oder eine Stabsabteilung. Die Botschaft, die deshalb bei den Mitarbeitern ankommt, ist: So wichtig ist das Ganze für unsere «Chefs» nicht, sonst würden sie sich selbst darum kümmern. Fatal wird dieses Signal, wenn die Unternehmensführung zudem in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter sendet. Dies ist oft der Fall. Hierfür drei Beispiele: 

  • Der Vorstand eines Unternehmens verkündet «Wir wollen die Nummer eins in Sachen Kundenorientierung werden»; die Leistung der Bereiche misst er aber weiterhin rein am Ertrag. 
  • Ein Vertriebsleiter propagiert ein ak­tives Verkaufen. Er kontrolliert aber zum Beispiel nicht, ob seine Mitarbeiter Angebote nachfassen.
  • Ein Bereichsleiter verkündet «Wir führen in jedem Quartal ein Mitar­beitergespräch, weil dies wichtig ist». Doch wenn diese anstehen, verschiebt er sie regelmässig oder lässt sie ganz ausfallen. 

Wenn Unternehmensführer einen kulturellen Wandel wünschen, müssen sie dies durch ihr Verhalten dokumentieren. Sie müssen ihren Mitarbeitern die neue Kultur vorleben. Hierfür ein Beispiel: Der Vorstand sagt «Wir wollen eine Vertrauenskultur entwickeln und nicht mehr 20 Prozent unserer Arbeitszeit dafür verschwenden, uns abzusichern». In diesem Fall muss der Vorstand auch selbst zeigen, dass er be­reit ist, Risiken einzugehen. Zudem darf er Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen, wenn diese Fehler machen. Und er sollte auch durch symbolische Handlungen signalisieren: Fortan ist ein neues Verhalten gefragt.

Die richtigen Signale senden

Erneut ein Beispiel. Als Ferdinand Piëch vor vielen, vielen Jahren VW-Manager wurde, schnappte er sich nach seinem Antritt einen Blaumann und stellte sich einige Tage ans Fliessband (das sagt zumindest die Legende). Hierdurch signalisierte er den Mitarbeitern: Ich schätze eure Arbeit, und es ist mir wichtig zu erfahren, was euch treibt und bewegt.

Die Bedeutung solcher symbolischer Hand­lungen sollte man nicht unterschätzen, doch es gibt systematischere Methoden zur Kulturanalyse. Hilfreich sind zum Beispiel folgende Fragen: 

  • Wie werden die Mitarbeiter in dem Unternehmen/Bereich primär motiviert? Über Gehalt, Provisionen, (öffentliche) Anerkennung, Druck, durch Information, Partizipation? 
  • Wie und nach welchen Kriterien werden neue Mitarbeiter ausgewählt und nach welchen Kriterien finden Beförderungen statt?
  • Wie ist der Umgang der Mitarbeiter im Unternehmen/Bereich? Ist er eher partnerschaftlich oder hierarchisch? Sprechen sich die Mitarbeiter beispielsweise eher mit «du» oder «Sie» an?
  • Was wissen die Mitarbeiter über die Kunden und wie behandeln sie diese? Wie Bittsteller, wie Auftraggeber, wie Freunde/Partner?
  • Was ist in dem Unternehmen/Bereich tabu? In welche Fettnäpfchen darf man keinesfalls treten?

Das Ziel all dieser Fragen ist es zu begreifen, wie das Unternehmen tickt. Denn nur so lässt sich erkennen, wo Veränderungen ansetzen sollten, damit die Entwicklungsziele und damit auch die unternehmerischen Ziele erreicht werden.

Bei starken Veränderungen

Besonders wichtig ist es, sich mit solchen Fragen zu befassen, wenn weit­reichende Veränderungen anstehen – also zum Beispiel Organisationen umstrukturiert oder gar fusioniert werden sollen. Sonst ist die Gefahr des Scheiterns gross, zum Beispiel, weil Bereiche oder gar Unternehmen (vorschnell) zusammengefasst werden, deren Kulturen nicht harmonieren. 

Das ist zum Bei­spiel der Fall, wenn in dem einen Bereich eher eine «Beamten­men­talität» herrscht, während im anderen «Unternehmertypen» dominieren. Oder wenn in dem einen Unternehmen nach dem Prinzip Befehl–Gehorsam geführt wird, während im anderen die Mitar­beiter grosse Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben. 

Ist diesem Fall sollten die Kulturen zunächst erst angenähert werden, bevor eine Fusion erfolgt – ausser der Kultur-Crash ist gewollt. Denn wenn einem Bereich oder Unternehmen eine fremde Kultur sozu­sagen übergestülpt wird, macht sich bei den Betroffenen Unzufriedenheit und Unsicherheit breit. Die Identifikation mit der Arbeit und die Loyalität sinken. Das schlägt sich in der Qualität der Arbeit nieder, was wiederum die Kunden spüren. Folglich sinkt auch ihr Vertrauen in das Unternehmen und ihre Bindung an dieses. 

Eine weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches Projektmanagement ist: Wenn grundlegende Veränderungen anstehen, sollten Unternehmensführer sich nie ausschliesslich auf ihre Einschätzung der Unternehmenskultur verlassen. Denn sie sind ein Teil der Organisation und prägen deren Kultur mit. Sie sind keine objektiven Beobachter. 

Dies gilt speziell für die Personen an der Spitze der Hierarchie. Sie haben zwar Zugang zu (fast) allen Daten, doch die weichen Informationen dringen nur gefiltert zu ihnen empor. Sie haben zudem aufgrund ihrer Funktion eine andere Sicht auf die Organisation als beispielsweise die Mitarbeiter in der Produktion oder im Verkauf. 

Deshalb sollten Unternehmensführer bei umfassenden Ver­änderungen eine Unternehmenskulturanalyse durchführen lassen. Externe Spezialisten haben den neutralen Blick und einen grossen Koffer an Methoden für solche Analysen. 

Drei Ebenen der Kultur

Der US-amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein, einer der Väter 
der Organisationsberatung, unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich eine Unternehmenskultur manifestiert. 

  • Sichtbare, aber interpretationsbedürftige Symbole: Ist die Architektur modern oder klassisch? Werden Grossraum- oder Einzelbüros bevorzugt? Wie kleiden sich die Mitarbeiter? Wie ist der Umgangston? Wie sind die Gehälter gestaffelt? Wie präsentiert sich das Unternehmen nach aussen – in Stellenanzeigen, Broschüren, im Internet?
  • Teilweise unsichtbare Normen: Gibt es Leitlinien oder eine formulierte Vision? Wird diese im Alltag gelebt? Wie ist die Einstellung zu den Mitarbeitern? Werden sie eher zu einem wechselseitigen Verständnis oder Konkurrenzverhalten ermutigt? Sollen sie eher selbstständig arbeiten oder haben sie geringe Entscheidungsspielräume? Welche Geschichten über den Firmengründer und die Topmanager kursieren im Unternehmen? Was wird dabei als besonders gut beziehungsweise schlecht dargestellt? 
  • Unsichtbare, meist unbewusste Basis­annahmen: Dies sind selbstverständliche Annahmen, die nicht mehr hinterfragt werden. Ist der Mensch grundsätzlich eher gut oder schlecht? Welche Rolle spielt die Arbeit im Leben eines Menschen? Wie sollte der Umgang mit Mensch und Umwelt gestaltet sein?

All diese Faktoren zu erfassen, erscheint auf den ersten Blick aufwendig – und ist manchmal auch übertrieben. Wie wichtig aber eine fundierte Kulturanalyse ist, zeigt sich darin, wie oft auf dem Papier vollzogene Fusionen nicht die erhofften Synergien bringen; ausserdem darin, wie häufig Konzerne andere Unternehmen kaufen und sie nach wenigen Jahren wieder verkaufen. 

Leider werden den Verantwortlichen die Versäumnisse in der Planungsphase meist erst im Laufe des Fusionsprozesses bewusst. Doch dann ist es oft schon zu spät, die Weichen neu zu stellen, denn: Grundlegende Entscheidungen sind bereits umgesetzt.

Prozess gezielt steuern

Deshalb sollten Unternehmensführer zunächst analysieren, wie ihr Unternehmen zurzeit tickt, bevor sie Veränderungsprozesse initiieren, die auch eine veränderte Kultur erfordern. Denn nur dann kann der Changeprozess so gestaltet werden, dass er auch real gelingt. 

Ausserdem werden zum Steuern dieses Prozesses Parameter benötigt, aus de­nen sich ablesen lässt: Hat sich etwas ver­ändert? Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg? Sonst ist bei Bedarf kein korrigierendes Eingreifen möglich. Deshalb führen viele Unternehmen bei grös­seren Change­projekten nach der ersten Kulturanalyse im Ein-, Zwei-Jahres-Rhythmus (abgespeckte) Folgeanalysen – beispielsweise in Form von Mitarbeiter- und Kunden­befragungen – durch.

Diese Analysen haben auch die Funktion, die bereits erfolgten Veränderungen für alle sichtbar zu machen. Denn gerade weil Kulturveränderungen so lange dauern, haben die Beteiligten zuweilen das Gefühl: «Da bewegt sich ja gar nichts. Wir kommen nicht voran.» Deshalb ist es wichtig, auch kleine Fortschritte zu erfassen und zu kommunizieren, damit die Beteiligten weiter voller Mut und Zuversicht voranschreiten.

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