Den einen idealen Führungsstil gibt es nicht. So lautete bereits 1968 die zentrale Botschaft von Ken Blanchard und Paul Hersey, den Entwicklern des «Situational Leadership»-Ansatzes – auch situatives Führen genannt: Sie postulierten: Führungskräfte müssen im Führungsalltag, abhängig von der Situation und vom Gegenüber, ein unterschiedliches, teils sogar konträr wirkendes Führungsverhalten zeigen. Mal müssen sie Mitarbeiter loben, mal tadeln. Mal sollten sie ihnen beim Erfüllen einer Aufgabe unterstützend die Hand reichen, mal sich bewusst zurücknehmen.
Überlastete Führungskräfte
Leider reduzierte sich im betrieblichen Alltag das sogenannte situative Führen oft darauf, dass die Führungskräfte ihren Mitarbeitern ein Feedback über ihre Leistung gaben. Auf der Strecke blieb der Entwicklungsgedanke, der mit dem situativen Führen verbunden ist. Eine Ursache hierfür war und ist: Manche Führungskraft fühlt sich von den vielen Aufgaben, die auf ihren Schultern lasten, überfordert. Deshalb fokussiert sich ihre Aufmerksamkeit auf die dringliche Tagesarbeit.
Doch damit beginnt ein Teufelskreislauf. Weil die Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht fördern, können sie ihnen auch nicht mit der Zeit mehr und komplexere Aufgaben übertragen – was in der modernen Arbeitswelt zunehmend nötig ist. Deshalb steigt in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Vuca-Welt sukzessiv die Belastung der Führungskräfte, weil diese selbst und ihre Bereiche permanent mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden – zum Beispiel aufgrund der vielen Veränderungen, die sich im Unternehmen selbst sowie in dessen Umfeld unter anderem aufgrund der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft vollziehen.
Um diesen Herr zu werden, streben aktuell immer mehr Unternehmen danach, ihre sogenannte Agilität zu steigern, um beispielweise ihre Reaktionsgeschwindigkeit auf Marktveränderungen zu erhöhen. Und von ihren Führungskräften fordern sie zunehmend, dass sie ihre Mitarbeiter «agil führen».
Dabei wird leider häufig übersehen, dass ein solcher Führungsstil, der weitgehend auf die Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Mitarbeiter setzt, einen gewissen Reifegrad der Mitarbeiter, aber auch der Führungskräfte voraussetzt. Dem «Situational Leadership»-Ansatz zufolge lassen sich in der Entwicklung von Mitarbeitern, abhängig von deren Kompetenz und Engagement, vier Stufen unterscheiden. Diese seien kurz skizziert.
Vier Entwicklungsstufen
Wenn Mitarbeiter eine neue Aufgabe übernehmen, dann haben sie hiermit in der Regel noch wenig oder keine Erfahrung. Ihre Kompetenz ist also gering. Trotzdem gehen sie die Aufgabe mit Begeisterung und einem grossen (Lern-)Eifer an (Entwicklungsstufe 1). Doch meist stellt sich bald eine gewisse Desillusionierung ein – zum Beispiel, weil sich die neue Aufgabe als schwieriger als gedacht erweist. Die hieraus resultierende Ernüchterung verursacht nicht selten ein Nachlassen des Engagements (Entwicklungsstufe 2).
Trotzdem arbeiten die Mitarbeiter weiter und entwickeln so allmählich ein Gespür dafür, wie sie die Aufgabe meistern können. Sie sind aber noch unsicher und fragen sich: «Kann ich das wirklich alleine?» So schwankend wie ihre Gefühle ist dann ihr Engagement (Entwicklungsstufe 3). Je häufiger die Mitarbeiter die Aufgabe aber mit Erfolg gelöst haben, umso grösser wird ihre Sicherheit.
Das heisst, sie entwickeln sich allmählich zu «Profis», die die Aufgabe routiniert lösen und auch nicht panisch reagieren, wenn bei deren Lösung mal ein etwas anderes Vorgehen praktiziert werden muss (Entwicklungsstufe 4).
Bei den vier Entwicklungsstufen gilt es zu beachten: Sie beziehen sich stets nur auf eine Aufgabe. Das heisst, bei jedem Mitarbeiter sind die Kompetenz und das Engagement von Aufgabe zu Aufgabe verschieden. Also ist auch ein unterschiedliches Führungsverhalten angesagt.