Strategie & Management

Best Practice: Strategie-Management nach Frankenschock

«Das Vorleben des Gedankenguts ist entscheidend»

«Bewährtes behalten, zu Neuem aufbrechen.» So charakterisiert VR-Präsident Hans-Rudolf Schurter den erfolgreichen Weg des Familienunternehmens Schurter. Der Frankenschock stellte diese Leitmaxime unvermittelt auf den Prüfstand. CEO Ralph Müller erläutert, mit welcher Strategie die Schurter-Gruppe Spur gehalten hat.
PDF Kaufen

Im Januar 2015 hat die Schweizerische Nationalbank unerwartet entschieden, den Franken nicht mehr an einen Euro-Mindestkurs zu koppeln. Herr Müller, zu welchen Handlungen sahen Sie sich damals veranlasst?
Der SNB-Entscheid traf Schurter mitten in den Transfervorbereitungen eines Teils der Produktion nach Tschechien, die Verlagerung wurde dadurch beschleunigt. Generell rückte das Kostenbewusstsein weiter in den Vordergrund, das Natural Hedging wurde verfeinert. Wir knüpften zusätzliche Lieferantenbeziehungen im Osten und in Asien. Das Bewusstsein nahm zu, noch schneller werden zu müssen in der Umsetzung. Neu aufgebaut wurde das Key-Account-Management, der Fokus auf das Gewinnen potenzieller Kundensegmente gelegt. Auch die vorhandenen Kompetenzen im Mutterhaus in Luzern wurden hinterfragt.

Was hat der Frankenschock denn volumenmässig ausgelöst?
Bei gleichbleibender Auslastung erlitt Schurter einen währungsbedingten Rückschlag von 198 Millionen CHF Umsatz (2014) auf 191 Millionen CHF (2015). Cashflow und Gewinn konnten wir prozentual halten. Die eingeleiteten Massnahmen wirkten also. Bereits 2016 erhöhte sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr signifikant, beflügelt durch die gute Wirtschaftslage und durch getätigte Akqui­­sitionen. Das Investitionsvolumen 2015 wurde aber nicht gekürzt. 2016 und 2017 investierten wir sogar überproportional. Kurzfristig mussten wir in Luzern fünf Personen abbauen. Danach entstanden aber wieder neue Stellen, denn wir befinden uns in einem ständigen Transformationsprozess. Zur Illustration: Der Personalbestand ist nach wie vor gleich gross, aber wir haben mehr Ingenieure, mehr Leute in Finance, Enterprise-Service, Qualität und so weiter. Die Supportaufgaben für die Gruppe nehmen überproportional zu. Der Grund: Wir wollen die Kernprozesse hier in Luzern behalten und dort produzieren, wo der Markt ist. Das verlangt eben der globale Wettbewerb.

Konkret: Wo haben Sie seither «in Neues» investiert?
Der Bereich «Solutions» ist ein markantes Beispiel. Wir hatten schon vorher entschieden, nicht nur Komponenten und Eingabesysteme zu verkaufen, sondern Gesamtlösungen anbieten zu wollen. Das haben wir forciert. Wir wagten uns in neue Märkte. Erstens in den Sektor «Automotive», in dem wir bereits Fuss gefasst haben. Der gewaltige Transformationsprozess dieser Branche hin zu Elektrofahrzeugen kommt uns entgegen, weil wir da viel Know-how aufweisen, etwa im Batterie-Management, mit Sicherungen und anderem mehr. Zweitens können wir unser Potenzial in den Sektor «Mobilkommunikation» einbringen. Das eröffnet uns anspruchsmässig wie auch volumenmässig völlig neue Dimensionen.

In Luzern haben wir deshalb in weitere Montageanlagen investiert. Über sie werden hohe Volumen für die Autozuliefer-Industrie sowie für den Grosskonzern der Mobilkommunikation laufen. Derzeit wird eine erste Zelle installiert für 50 Millionen Stück pro Jahr. Das erfordert 30 neue Stellen − von Operators über Prozess-Spezialisten bis zu Ingenieuren. Schurter ist jetzt gut aufgestellt: Das Automotive-Projekt ist angelaufen, der Sektor «Mobilkommunikation» auf der Zielgeraden. Die Schritte in den Sektor «Automotive» und in den Bereich «Mobilkommunikation» sind richtungsweisend. Es bedurfte aber eines Umdenkens bezüglich der Risikobereitschaft. Und, nicht minder, wir spüren die ausserordentlich hohen Anforderungen dieser Kunden. Der Weg zu «Next Level» ist steinig, fordert uns alles ab. Wir realisieren aber, dass wir vorwärtskommen – punkto Einstellung, aber auch punkto Umsatz.

Excellence und Qualitätsmanagement im Denken und Handeln …
Wir verstehen Business Excellence ganzheitlich. Schurter ist SQS-zertifiziert nach ISO 9001, ISO 14001, OHSAS 18001, ISO 50001 und IATF 16949. Verantwortlich für die Führung hier ist der CFO. Er wahrt die Perspektive der Gesamtwirkung. Regelmässig besucht er die Standorte der 22 Gruppengesellschaften und führt gleichzeitig das EFQM-Assessment durch. Er überprüft mit verdichteten Werten aus dem Führungs-Cockpit, ob die ausgehandelten Ziele erreicht worden sind. Ein Beispiel: Rumänien soll in zwei Jahren nach IATF 16949 zertifiziert sein. Deshalb müssen wir jetzt zusätzliches Know-how ins System bringen. Entscheidend für die Überzeugungsarbeit ist, wie immer, das Vorleben des Gedankenguts. Als Verwaltungsrat in allen Gruppengesellschaften kann ich da wirkungsvoll unterstützen.

Im Bereich des Quality Management wurde nach dem 15. Januar 2015 mit Verve das Lean Management ausgerollt. Verantwortlich für Lean ist der Leiter der IT. Er hat grosses Know-how in unseren Qualitätsprozessen. Das prädestiniert ihn zum Prozess-Designer im Gesamtprozess des Unternehmens. Wir investieren Zeit, Engagement und Geld, um Schurter auf «Next Level» zu heben. Ein Beispiel: Die kürzlich erlangte Zertifizierung gemäss IATF 16949 im Autosektor ist nicht nur Bestätigung dafür, ein perfekter Automobilzulieferer zu sein, sondern sie spiegelt auch unser verändertes Denken und Handeln. Sie signalisiert, dass wir Prozesse, die in dieser Branche Standard sind, wirklich erreichen und leben. Daraus entsteht eine Verpflichtung, die uns guttut. Der Autosektor ist für uns ein eigentlicher Innovationstreiber, nicht ein Umsatztreiber.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen auf mittlere Sicht?
In der Dach-Region wird die neue Ausrichtung so verankert, dass der Markt Schurter nicht nur als Hersteller von Komponenten und Eingabesystemen wahrnimmt, sondern auch als Solution Provider. Zu Rest-Europa: Wir werden in Osteuropa gestärkt dastehen und Eingabesysteme sowie Komponenten verkaufen. In den USA werden bis heute 85 Prozent über Distributionskanäle generiert. Auf dieser Basis wird der Anteil der Direktkunden massiv ausgebaut. Schon jetzt wird in Sales-Mitarbeitende investiert, die vermehrt beratende Funktion im zukunftsorientierten Geschäft ausüben.

Und zu Asien: Der asiatische Bereich mit China, Korea, Vietnam, Taiwan und Indien ist fokussiert auf Komponenten. Die Aufgabe liegt nun darin, auf dem lokalen Markt Fuss fassen zu können, insbesondere in China, wo wir zulegen wollen. In Indien wächst Schurter langsam, aber kontinuierlich. Sowohl in China wie in Indien wird produziert. Deutlich zunehmen wird das Engineering. Vorgesehen sind hierfür Engineering-Hubs mit dem Headquarter hier in Luzern für Komponenten sowie für Produktepflege und kundenspezifische Adaptionen in Indien oder in China − je nach Produktebereich. Damit beginnen wir jetzt.

Herr Müller, zum Schluss noch ein Fazit bitte.
Alle haben inzwischen erkannt, was der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank ausgelöst hat. Wir befinden uns in einer dynamischen Vorwärtsstrategie. Die neue Schurter-Denkweise wird unsere Unternehmenskultur prägen. Zentrale Managementaufgabe ist es, dies vorzuleben und unablässig zu kommunizieren, dass wir «Next Level» erreichen wollen. «Schurter Electronic Components» ist unser Brand. In zehn Jahren wird es «Schurter Electronic Solutions» heissen. Da bin ich mir sicher.

Porträt