Strategie & Management

Führungssouveränität aufbauen, Teil 7/7

Das virtuose Spiel mit den Führungsstilen

Eine Führungskraft entwickelt sich zur souveränen Führungspersönlichkeit, sobald sie in der Lage ist, sich flexibel und antizipativ für das Führungshandeln zu entscheiden, das notwendig ist. Dieser letzte von sieben Teilen der Serie beschreibt den Umgang mit den verschie­denen Führungsstilen.
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Hierarchisch, transaktional und situativ, transformational, agil und coachend: Das sind die zentralen Führungsstile (siehe dazu auch die Abbildung), die die Führungskraft im New Work dabei unterstützen, alle Mitarbeitenden zu Spitzenleistungen zu führen. Wer die entsprechenden Füh­rungsver­haltensweisen aus dem Effeff ­beherrscht und mit ihnen wie ein Jongleur virtuos zu spielen versteht, darf sich eine sou­veräne Führungspersönlichkeit nennen.

Proaktiv und antizipativ 

Eine souveräne Führungspersönlichkeit hat die Mindsets aller Führungsstile im Kopf und kann sie darum allesamt aktivieren und einsetzen. Sie ist eine flexible und anpassungsfähige Chamäleon-Führungspersönlichkeit. Bekanntlich besitzt das Chamäleon die Fähigkeit zum Farbwechsel, der vor allem der Tarnung, der Verteidigung, der Paarbildung und der Temperaturregelung dient. Zugleich stellen die verschiedenen Farben eine Art von Sprache dar: Ein Chamäleon kom­muniziert mithilfe des Farbwechsels mit anderen Tieren. Selbstverständlich coacht es diese nicht, aber es stellt sich auf sie ein. Und nichts anderes hat die souveräne Führungs­persönlichkeit zum Ziel, die mit sehr ­unterschiedlichen Mitarbeitenden und Führungssituationen interagiert und in der aktuellen Situation proaktiv und antizipativ in der Lage ist, genau das Führungshandeln zu aktivieren, das erforderlich ist, um für die Führungssituation die beste Lösung zu finden und umzusetzen.

Souveräne Führungskunst liegt dann vor, wenn die Führungspersönlichkeit ohne lange zu überlegen agiert und antizipativ handelt. Im Sport meint «Antizipation» die mentale Vorwegnahme von Bewegungsabläufen, im Schachspiel die gedankliche Vorausberechnung der Zugfolgen. Souveräne Führungspersönlichkeiten erspüren oft intuitiv, wie sie in einer gegebenen Situation agieren und reagieren sollten. Nur: Mit Intuition im engeren Sinn hat das wenig gemein. Entscheidend ist vielmehr ein breites Erfahrungswissen, das sie angemessen und damit souverän handeln lässt. 

Allerdings gibt es keine Gewähr, dass die Souveränität in jeder Situation funktioniert. Selbst erfahrenen Führungspersönlichkeiten passiert es immer wieder, dass sie aus dem angemessenen Führungsstil in einen unangemessenen verfallen – dazu unten mehr.

Lösungsorientiert vorgehen

Letztendlich ist der Aufbau von Führungssouveränität ein Lernprozess, der nie zu einem Abschluss gelangt. Anders ausgedrückt: Souveränes Führen ist ein Idealzustand, dem sich eine Führungspersönlichkeit immer nur annähern kann. Denn zur Souveränität gehört die demütige Akzeptanz, dass Führung ein fehlerbehafteter Prozess ist. Wenn Menschen mit Menschen interagieren, ist das Scheitern nicht fern. Aber auch das Rettende nicht – darum geht die Führungspersönlichkeit immer wieder in die Reflexion und Selbst­reflexion, um zu prüfen, was sie beim nächsten Mal noch besser machen kann.

Erfahrungsgemäss dauert es eine lange Zeit, bis sich eine Führungskraft den Status einer souveränen Führungspersönlichkeit erarbeitet hat. Dabei droht immer der Rückfall in Verhaltensweisen, die der Situation kaum angemessen sind. Die meisten Führungskräfte kämpfen vor allem mit zwei Problemen: Zum einen legen sie zum falschen Zeitpunkt und im falschen Kontext ein Führungshandeln an den Tag, das schlicht und einfach nicht passt und nicht stimmig ist. Wenn eine Führungskraft nicht in der Lage ist, im richtigen Moment richtig zu agieren, handelt sie ohne Souve­ränität. Ein Führungsstil entfaltet nur dann seine vollständige Wirkkraft, wenn er punktgenau zur Situation und zu den Mitarbeitenden passt.

Zum anderen fällt es Führungskräften häufig schwer, in dem als richtig erkannten Führungsstil zu verbleiben oder bei Problemen in einen angemesseneren Stil zu wechseln. Dazu ein Beispiel: Eine Marketingleiterin interagiert in der Regel als «Gleiche unter Gleichen» im agilen Führungsstil – die Mitarbeitenden sollen in die Verantwortung gehen und eigene ­Entscheidungen treffen. Dann gibt es aus ­ihrer Sicht ein Problem: Es muss rasch entschieden werden, aber ein Mitarbeitender reagiert nicht so, wie sie es sich vorstellt. Ein Konflikt bahnt sich an. Der Marketingleiterin fällt es schwer, mit dem Widerspruch des Mitarbeitenden umzugehen, zumal die Zeit drängt. 

Statt zu prüfen, welche Alternativen sie nutzen kann, verfällt sie in Hektik und gibt dem Mitarbeitenden eine autoritäre Anweisung, der dieser nicht nachkommen will, versteht er sich doch als eigenverantwortlich handelnder Mitarbeitender, der mit der Führungskraft auf Augenhöhe kommunizieren will. Er kann der von oben herab verkündeten Direktive nicht Folge leisten.

In solchen komplexen Situationen gelingt es Führungskräften oft nicht, lösungs­orientiert zu handeln. In dem Beispiel könnte dies der Wechsel in den situativen Stil sein. Aber leider verlässt die Marketingleiterin die agile Führungsrolle lediglich, um in den autoritären Führungs­modus zu wechseln, mit dem sich die ­Situation ganz bestimmt nicht bewäl­tigen lässt. Es scheint, als ob die autoritäre Vorgehensweise ihre intuitive Präferenz und damit die einzige Möglichkeit ist, die ihr zur Verfügung steht. Offenbar verfügt sie nicht über die erforderliche Reife, um aus der Vielzahl der Führungsansätze eine lösungsorientierte Verhaltensweise auszuwählen.

Die Reflexionskompetenz

Der intuitiven, aber der Situation unangemessenen Präferenz zu folgen, kann schon einmal passieren, wenn es der Führungskraft momentan nicht möglich ist, sachlich zu agieren. Diese Selbsterken­n­tnis ist zugleich der erste Schritt zur ­Verbesserung. Wahrhaftige Veränderung fängt immer bei uns selbst an, beim In­dividuum, das seine Werte und Glau­benssätze, seine Lebenseinstellung, seine Überzeugungen und Annahmen auf den Prüfstand stellt.

Wenn eine Führungskraft in alte Muster und Reaktionsweisen verfällt, die in der gegebenen Situation kontraproduktiv sind, muss sie erkennen, warum dies ­geschieht. Es ist ihr Mindset, also jene Werte, Glaubenssätze, Einstellungen, Überzeugungen und Annahmen, die bestimmen, wie sie führt. 

Darum muss sie ihr Mindset permanent hinterfragen. Nur wenn sie weiss, warum sie so führt, wie sie führt, kann sie die Notwendigkeit von Veränderungen und Anpassungen ­erkennen und umsetzen. Darum gilt: Die Re­flexionsfähigkeit ist die wichtigste Kompetenz beim souveränen Führen. Und das heisst auch: Ohne Reflexionsfähigkeit ist Führungssouverä­nität unmöglich.

Porträt