Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

«Das ist nun mal so!» – wirklich?

Wachstum kommt von innen. Will ein mittelständisches Unternehmen seinen eigenen Wachstumsweg finden, bedürfen die gängigen Vorurteile, Begriffe und Phrasen einer differenzierten Betrachtung.
PDF Kaufen

Wie oft hat man es in Arbeitstreffen, Meetings, Sitzungen schon erlebt: Irgendwann kommt der Moment im Vortrag einer der Anwesenden, zu dem es heisst: «Das ist nun mal so». Dabei gibt es verschiedene Variationen dieser Phrase. Sie kann beiläufig vorgetragen werden, wie zum Beispiel derart: «Wir haben nun schon jeden Kunden auf die höherwertigen Produkte angesprochen, aber die Kunden haben so kurz vor der Messe keine Zeit, mit uns darüber zu sprechen, das ist nun mal so, daher müssen wir uns noch gedulden und es im Frühjahr nochmal versuchen.» Eine andere Variante ist der abschliessende, bekräftigende Einsatz: «Es gibt derzeit keine fähigen Fachkräfte auf dem Markt. Das ist nun mal so!»

Wie Phrasen Potenziale verdecken
Während in der ersten Variante noch eine Option für die nähere Zukunft eröffnet bleibt – im Frühjahr kann es noch einmal losgehen –, hat die zweite Variante abschliessenden Charakter, das Thema ist durch. Beiden Fällen ist gemein, dass durch scheinbare Fakten eine Bekräftigung der eigenen These gesucht wird. In beiden Fällen liegt der Verdacht nahe, dass eine Ausrede für das Steckenbleiben, das eigene Nicht-Fortkommen mit einem Thema gesucht wird. «Das ist nun mal so» ist nämlich in den seltensten Fällen richtig und man sei in Arbeitstreffen, Meetings, Sitzungen stets auf der Hut, stets mit erhöhter Wachsamkeit ausgestattet, wenn diese Phrase auftritt. Sie verdeckt meist erhebliche Potenziale. Verbunden wird ein «Das ist nun mal so!» auch gerne mit gängigen und in der (Fach-)Öffentlichkeit häufig wiederholt vorgetragenen Vorurteilen, Modebegriffen oder Klischees. Nun macht aber die Wiederholung einen Sachverhalt nicht richtiger und ein Vortrag desselben führt nicht zu einer Erhellung. So wundert man sich, wie viele Dinge heute, ohne sie hinlänglich zu hinterfragen unter «Das ist nun mal so» fallen.

Wir wollen uns einige aktuelle Beispiele einmal etwas genauer anschauen und eines dieser Beispiele ist oben bereits angeklungen: «Es gibt keine Fachkräfte mehr am Markt. Das ist nun mal so.» Wirklich? Wie kann es dann sein, dass sich allerorten Start-ups bilden, denen gute Geschäftsideen zugrundeliegen und welche mit der Gewinnung neuer Mitarbeiter keine Probleme zu haben scheinen? Wie kann es sein, dass die internationalen Beratungsgesellschaften so viele Berater einstellen wie selten oder gar nie zuvor, klassischerweise auch keine unterqualifizierten Mitarbeiter?

Aha, man hat gerade kein Start-up am Start, man hat ein mittelständisches Unternehmen ohne das Flair der grossen weiten Welt? Man kann gegen die grossen Unternehmen nicht gewinnen, allein schon von den Gehältern her ist das ein Problem? Der Wechselwille bei Mitarbeitern ist gering, die Sicherheit zählt? Wie kann es dann sein, dass jeden Tag zahlreiche qualifizierte Menschen einen neuen Arbeitsvertrag bei neuen, ganz normalen, aber für sie attraktiven Unternehmen unterzeichnen, bei einem mittelständischen, vermeintlich ganz normalen Unternehmen?

Nein, das Thema «Fachkräftemangel» mag ein grundsätzlich beobachtbares Phänomen sein, aber wer sich darauf zurückzieht, dass er deshalb keine Mitarbeiter gewinnen kann, macht es sich zu einfach. Das ist nämlich keineswegs «nun mal so». Vielleicht hat man sich einfach nicht genug bemüht, vielleicht hat man aber auch trotz grosser Mühe und gros­sen Zeiteinsatzes falsche Verfahren gewählt. Verfahren, die in der Vergangenheit funktioniert haben, aber aktuell angesichts guter Konjunktur nicht mehr greifen? Vielleicht hat man sich auch in der Beliebigkeit erschöpft und versäumt, sich scharf zu positionieren. Vielleicht ist man sich selbst gar nicht im Klaren darüber, welche Vorteile man neuen Mitarbeitern anbieten kann, vielleicht redet man sich selbst einfach zu schlecht.

Wir beobachten bei unseren Klienten häufig, dass sie nach konsequenter strategischer Arbeit nicht nur wesentlich klarer darüber sind, welche Justagen am Markt vorzunehmen sind, um wesentlich wirksamer zu wachsen als zuvor, sondern dass sie auch Nebeneffekte verzeichnen, wie zum Beispiel das im Vergleich zu vorher leichtere Gewinnen von Fach- und Führungskräften. Nein, ich sage nicht, es sei «leicht», es ist aber leichter als zuvor.

Employer Branding als Irrtum
Wenn wir schon beim Thema «Fach- und Führungskräfte» sind, können wir – sozusagen nebenbei – auch noch mit einem anderen «Das ist nun mal so» aufräumen: «Wir müssen Employer Branding betreiben. Das macht man heute. Das ist nun mal so.» Auch dieser Satz ist geeignet, sich direkt wieder in die Passiv-Position zurückzuziehen, denn «Employer Branding», die «Arbeitgebermarke», das klingt schon kompliziert genug, das sollen die grossen Unternehmen mit ihren Stäben mal tun, wir im Mittelstand müssen Umsatz machen.

Hier ist die gute Nachricht: Employer Branding ist ein zu kurz gesprungener Irrtum. Hat ein Unternehmen – vor allem auch im Mittelstand – seine strategischen Hausaufgaben gemacht und seine Marke definiert, seine Kontur geschärft, dann ist «Employer Branding» obsolet. Warum? Weil sich alles, was ein Unternehmen auch als Arbeitgeber attraktiv machen soll, aus der Unternehmensmarke ableiten lässt, ja ableiten lassen muss – wozu sonst soll die Marke dienen? Und wenn mehrere Definitionen der Marke im Unternehmen herumwabern, kann von einer klaren Kontur keine Rede mehr sein. Nein, es ist nicht «nun mal so», man muss kein «Employer Branding» betreiben, man muss aber die einmal definierte Unternehmensmarke durch alle Fach- und Funktionsbereiche durchdeklinieren. Ist das einfach? Nein, aber wir wollen ja heute erst einmal mit Platzhaltern aufräumen.

Veränderungen mit Führungsstärke begegnen
Mitarbeiter sind in den meisten Unternehmen ein heisses Thema, warum bleiben wir also nicht in einem letzten Beispiel bei (potenziellen) Mitarbeitern? Bitte schön: «Die Generation Y [oder Z] tickt völlig anders, die wollen nicht mehr leisten, die wollen nur noch Familie und Freizeit. Das ist nun mal so.» Falsch. Ich habe in meinem Unternehmen einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sogenannten Generation Y und stelle keineswegs fest, dass es an Leistungsbereitschaft fehlt, dass es eine Versorgungsmentalität gibt, dass nur noch Freizeit eine Rolle spielt.

Auch in meiner Funktion als Hochschullehrer stelle ich das bei den meisten meiner Studenten nicht fest. Jawohl, einige Werte der Generationen ändern sich, aber das haben sie schon immer getan. Damit müssen wir als Unternehmer umgehen. Es entbindet uns aber nicht vom individuellen Eingehen auf die einzelnen Mitarbeiter und das gemeinsame Finden eines gemeinsamen Weges. Wir nennen das bekanntlich «Führung». Sich hinter einem Generationenphänomen zu verstecken und dies für einen Missstand im Unternehmen herhalten zu lassen, bedeutet in Wirklichkeit, sich Führungsschwäche einzugestehen.

Wir müssen auf der Hut vor Phrasen sein. Sollen unsere Unternehmen wirklich gesund wachsen, gehört auch dazu, mit alltäglich als vermeintlich richtig vorgetragenen Annahmen kritisch umzugehen. Ein vehement vorgetragenes «Das ist nun mal so» mag uns eine Erkennungshilfe sein: Hier stimmt etwas nicht.

Porträt