Recht

Arbeitsrecht

Zeitliche Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers

Bei Krankheit, Unfall, Militär- und Zivildienst sowie Schwangerschaft und während eines Mutterschaftsurlaubs darf Arbeitnehmern innerhalb bestimmter Fristen nicht gekündigt werden. Wie Arbeitgeber diese Sperrfristen korrekt umsetzen, zeigt der folgende Beitrag.
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Die zeitliche Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers soll Arbeitnehmern bei Arbeitsunfähigkeit auf Grund von Krankheit, Unfall, Militär- und Zivildienst sowie Schwangerschaft und während des Mutterschaftsurlaubs vor
einem Verlust der Arbeit schützen. Die Arbeitgeber dürfen innerhalb bestimmter Fristen das Arbeitsverhältnis nicht ordentlich kündigen. Diese sogenannten Sperrfristen legt der Gesetzgeber in Art. 336c des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) fest. Die folgenden Ausführungen sollen den Arbeitgebern die korrekte Umsetzung der gesetzlichen Sperr-
fristen im Alltag erleichtern.

Der Zweck und der Beginn von Sperrfristen

Die in Artikel 336c OR geregelten Sperrfristen sind eine Einschränkung der Kündigungsfreiheit. Zweck von Art. 336c OR ist es, den Arbeitnehmer in einer Periode, in der er kaum eine Chance bei der Stellensuche hat und von einem Arbeitgeber in Kenntnis der Arbeitsverhinderung nicht angestellt werden würde, vor einem Verlust der Arbeit zu schützen.

Damit der Sperrfristenschutz zur Anwendung gelangt, muss sich ein in Art. 336c Abs. 1 OR umschriebener Tatbestand zum Zeitpunkt der Kündigung oder während der Kündigungsfrist verwirklicht haben. Dabei gilt die Sperrfrist ab dem auslösenden Tatbestand und nicht erst ab dem Wissen der Vertragspartner. So ist eine Kündigung beispielsweise auch dann nichtig, wenn ein Arbeitnehmer, dem während mehrtägiger unentschuldigter Arbeitsabwesenheit gekündigt wird, nachträglich ein ärztliches Zeugnis vorlegt, das für den Zeitpunkt der Kündigung gilt. Dass der Arbeitgeber nichts von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gewusst hat, tut nichts zur Sache. Ebenso ist eine Schwangere, die noch nicht weiss, dass sie schwanger ist, nicht kündbar.

Dauer und Mass der Sperrfrist

Die Bestimmungen des Art. 336c OR sind einseitig zwingend, sie können weder vertraglich verkürzt noch wegbedungen werden. Gewisse Gesamtarbeitsverträge sehen sogar strengere Bestimmungen, das heisst stärkere Einschränkungen der Kündigungsfreiheit vor. Der Arbeitgeber sollte deshalb im konkreten Fall vorerst den anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag prüfen. Bei Teilzeitanstellungen gilt die Sperrfrist mit gleicher Dauer und zwar auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit – bei Teil-Arbeitsunfähigkeit – zeitlich nicht in die Arbeitszeit fällt.

Das Mass beziehungsweise der Grad der Arbeitsunfähigkeit beeinflusst weder die Anwendung noch die Dauer der Sperrfrist, da die Erschwernis beim Finden einer neuen Stelle auch bei teilweiser Arbeitsverhinderung gegeben sein kann.

Dauer der Sperrfrist beim Übergang zu einem neuen Dienstjahr

Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Frage, wie Übergänge vom 1. zum 2. sowie vom 5. zum 6. Dienstjahr zu behandeln sind, da sich bei diesen Übergängen die Sperrfristen von 30 auf 90 respektive von 90 auf 180 Tage verlängern. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen die Übergänge wie folgt behandelt werden: Greift die Arbeitsunfähigkeit in ein Dienstjahr mit längerer Sperrfrist, wird die längere Sperrfrist angewendet, ausser die mit der kürzeren Sperrfrist verlängerte Kündigungsfrist ist bereits beim Dienstjahreswechsel abgelaufen.

Ist die kürzere Sperrfrist beim Wechsel des Dienstjahres bereits abgelaufen, das Arbeitsverhältnis dauert aber noch an, wird die Kündigungsfrist mit dem Beginn des neuen Dienstjahres wieder unterbrochen, wobei die bereits im alten Jahr abgelaufene Sperrfrist an die längere Sperrfrist anzurechnen ist. Die Zeit zwischen Ablauf der kürzeren Sperrfrist im alten Dienstjahr und Beginn des neuen Dienstjahres wird dabei an die Kündigungsfrist angerechnet. Während der im alten Jahr verbleibenden Zeit zwischen Ablauf der kürzeren Sperrfrist und Beginn des neuen Dienstjahres mit der längeren Sperrfrist ist eine Kündigung möglich.

Keine Anwendbarkeit der Sperrfristenregelungen

Probezeit: Der zeit­liche Kündigungsschutz gilt erst nach Ablauf der Probezeit. Wird ein Arbeits­verhältnis noch während der Probezeit gekündigt, besteht kein Sperrfristenschutz – auch dann nicht, wenn die Kündigungsfrist nicht mehr in der Probezeit liegt und die Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf der Probezeit eintritt. Wurde die Probezeit wegen Krankheit, Unfall oder Erfüllung gesetzlicher Pflichten verlängert, setzt die Sperrfrist erst nach Ablauf der verlängerten Probezeit ein.

Arbeitnehmerkündigung: Der Art. 336c OR gilt nur für die Arbeitgeberkündigungen. Ein Arbeitnehmer kann demnach auch während einer Sperrfrist kündigen. Ebenso wird nach einer Arbeitnehmerkündigung die laufende Kündigungsfrist nicht unterbrochen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig wird.

Feste Vertragslaufzeit: Die Sperrfristenregelungen sollen Arbeitnehmer vor einer unerwarteten Arbeitgeberkündigung zur Unzeit schützen. Bei einer zum Voraus vereinbarten Vertragslaufzeit ist auf Grund des fehlenden Schutzinteresses des Arbeitnehmers keine Erstreckung des Arbeitsverhältnisses möglich.
 
Fristlose Kündigung: Eine fristlose Kündigung ist auch während einer lau­fenden Sperrfrist möglich. Ist die fristlose Kündigung aber ungerechtfertigt, verlängert sich die Lohnersatzpflicht um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, maximal aber um die Dauer der anwendbaren Kündigungssperrfrist sowie um die zusätzliche Verlängerung gemäss gemäss Art. 336c Abs. 3 OR. Zu beachten ist dabei zudem, dass bei einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung allenfalls eine Entschädigungszahlung durch den Arbeitgeber zu leisten ist.

Kumulation von Sperrfristen

Jede Krankheit, jeder Unfall, jede Schwangerschaft sowie jeder Militär- oder Zivildienst von einer ausreichenden Länge, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, lösen eine Kündigungssperrfrist aus. Dadurch ist es möglich, dass sich mehrere Sperrfristen ergeben, welche sich überlappen können oder aufeinanderfolgen. So kann zum Beispiel ein Arbeitnehmer während des Militärdienstes erkranken oder eine verletzte Arbeitnehmerin kann zusätzlich erkranken. Auch mehrere Erkrankungen oder verschiedene Verletzungen, die zu Arbeitsunfähigkeit führen, lösen jeweils eine neue Sperrfrist aus.

Eine Folgeerscheinung oder ein Rückfall der ersten Gesundheitsstörung lösen keine neue Sperrfrist aus. So löst beispielsweise eine Lungenentzündung, die sich aus einer Erkältung entwickelt hat, keine neue Sperrfrist aus. Bei einem Rückfall kann allerdings die noch nicht aufgebrauchte Sperrfrist in Anspruch genommen werden. So ist ein Arbeitnehmer, welcher wegen einer Krankheit 55 Tage ausfiel, bei Rückfall und einer Sperrfrist von 90 Tagen noch während 35 Tagen geschützt respektive wird eine laufende Kündigungsfrist um weitere 35 Tage unterbrochen.

Bei Krankheiten, die nur in grösseren Abständen auftreten und bei welchen zwischen den einzelnen Krankheitsphasen längere Phasen ohne eine gesundheitliche Beeinträchtigung liegen, werden die einzelnen Krankheitsphasen als selbstständige Sperrfristen auslösende Tatbestände betrachtet. Beispiele: Schubweise verlaufende Multiple Sklerose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Depressionen oder Angstzustände.

Wirkung von Sperrfristen

Kündigung während Sperrfrist: Eine während einer Sperrfrist durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung ist nichtig und entfaltet keinerlei Wirkung – sie wird auch nicht nach Ablauf der Sperrfrist gültig, sondern muss erneut ausgesprochen werden. Ist unklar, ob eine Sperrfrist läuft oder nicht, ist dem Arbeitgeber dringend zu empfehlen, nach Ablauf der bestrittenen Sperrfrist die Kündigung vorsorglich erneut auszusprechen, um zu vermeiden, dass das Arbeitsverhältnis länger als notwendig bestehen bleibt.

Kündigung vor Eintritt des Sperrfristentatbestandes: Eine Kündigung, die der Arbeitgeber vor Eintritt eines Sperrfristentatbestandes ausgesprochen hat, bleibt gültig. Nach der Bundesgerichtspraxis ist die Kündigungsfrist durch Rückwärtsrechnung zu bestimmen. Wenn beispielsweise jeweils auf Ende eines Monats gekündigt werden darf und die Kündigung bei einer zweimonatigen Kündigungsfrist am 15. März ausgesprochen wurde, so läuft die Kündigungsfrist, während welcher Arbeitsunfähigkeiten eine Sperrfrist auslösen können, vom 1. April bis zum 31. Mai. Massgebend ist jeweils die konkrete Kündigungsfrist, also die tatsächliche Dauer (so sind bei einer Kündigungsfrist von einem Monat und einer Kündigung auf Ende Februar 28 Tage massgebend und nicht 30 oder 31 Tage).

Die Kündigungsfrist läuft jeweils bis zum Eintritt des Sperrfristentatbestandes, die restlichen Tage der Kündigungsfrist werden nach Ablauf der Sperrfrist angesetzt. Da Art. 336c OR einen möglichst nahtlosen Anschluss des gekündigten Arbeitsverhältnisses an ein Folge-Arbeitsverhältnis sicherstellen wollte, sieht Art. 336c Abs. 3 OR vor, dass das Arbeitsverhältnis bis zum nächsten Ende des Monats erstreckt wird, sofern der Arbeitsvertrag keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Ende jedes Arbeitstages vorsieht. Mehrere Sperrfristentatbestände können zu einer weiteren Erstreckung der Kündigungsfrist führen, sofern sie nicht erst während der Erstreckung im Sinne von Art. 336c Abs. 3 OR eintreten. Letztere kann nicht mehr durch Sperrfristen gehemmt werden.

Ausweg Aufhebungsvertrag?

Insbesondere bei kurzen Arbeitsunfähigkeiten von teils bloss einem Tag kann für Arbeitgeber die unbefriedigende Situation entstehen, dass ein Arbeitsverhältnis auf Grund von Art. 336c Abs. 3 OR unverhältnismässig lange verlängert wird. Ebenso melden sich vermehrt Arbeitnehmende krank, sobald der Arbeitgeber ihnen gekündigt hat, und erwirken dadurch eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.

Eine Möglichkeit, solche Situationen zu vermeiden, ist die Einigung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Aufhebungsvertrag, in welchem die Parteien das Arbeitsverhältnis durch gegenseitige Übereinkunft beenden und darin festhalten, dass auf eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses auf Grund von Krankheit oder Unfall verzichtet wird.

Wichtig dabei ist, dass der Vertrag im Interesse des Arbeitnehmers liegt, dass dieser also ein vernünftiges Interesse an dessen Abschluss hat. In der Regel liegt ein solches nicht vor, wenn der Aufhebungsvertrag gegenüber der Kündigung dem Arbeitnehmenden keine Vorteile bietet und somit im alleinigen Interesse des Arbeitgebers liegt. In einem solchen Fall würde ein Gericht wohl davon ausgehen, dass die Aufhebungsvereinbarung eine Umgehung der einseitig zwingenden Sperrfristenregelungen darstellt, was dann zur Ungültigkeit des Aufhebungsvertrags führt sowie dazu, dass die Sperrfristenregelungen trotz Aufhebungsvertrag zur Anwendung gelangen.

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