Recht

Handelsrecht

Produktesicherheit und freier Warenverkehr

Produkte dürfen den Menschen nicht gefährden. Je nach Art des Produkts oder der vom Produkt ausgehenden Gefährdung sind verschiedene Vorschriften zu beachten. Andererseits sollen diese Vorschriften keine unnötigen Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit darstellen und den freien Warenverkehr nicht behindern.
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Das am 1. Juli 2010 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Produktesicherheit (PrSG) verfolgt zwei Ziele. Das PrSG regelt einerseits die Sicherheit von Produkten beim gewerblichen oder beruf­lichen Inverkehrbringen, andererseits dient es dem Abbau von technischen Handelshemmnissen durch eine Angleichung der Rechtsvorschriften an die Regeln des grössten Handelspartners der Schweiz, der Europäischen Union (EU). Mit dem PrSG wurde die Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktesicherheit ins schweizerische Recht umgesetzt.

Das Bundesgesetz über die Produkte­sicherheit kommt nur dann zur Anwendung, wenn produktspezifische Spezial­erlasse (sog. Sektorrecht) keine Bestimmungen enthalten, mit denen das gleiche Ziel verfolgt wird. Die Zuständigkeit für den Vollzug der Spezialerlasse ist auf die fachlich kompetenten Bundesämter aufgeteilt.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) koordiniert in Absprache mit den betroffenen Bundesämtern den Vollzug des PrSG. Zusammen mit dem Büro für Konsumentenfragen (BFK) betreibt das Seco zudem eine Melde- und Informationsstelle für Produktesicherheit.

Mit der Annäherung an die EU-Gesetzgebung wurde ausserdem erreicht, dass die Schweiz am Schnellwarnsystem der EU für gefährliche Konsumgüter im Nichtlebensmittelbereich beteiligt ist (RAPEX Rapid Alert System for non-food consumer products). An jedem Freitag wird eine wöchentliche Übersicht über gefährliche Produkte, die von den einzelstaatlichen Behörden gemeldet wurden, veröffentlicht.

In dieser wöchentlichen Übersicht sind alle Informationen über das Produkt, die von ihm ausgehende Gefahr und die Massnahmen, die in dem betreffenden Land ergriffen wurden, zusammengefasst. Unternehmen, welche ihre Produkte sowohl in der Schweiz als auch in der Europäischen Union in den Verkehr bringen beziehungsweise herstellen, profitieren von diesem einheitlichen Sicherheitssystem. Sie müssen nämlich nicht mehr unterscheiden, ob ihre Produkte für den EU-Raum oder für die Schweiz bestimmt sind.

Aufgabe des Seco

Das Seco hat nebst seiner Koordinationsfunktion im Bereich des PrSG auch Aufgaben als Vollzugs- resp. Aufsichtsbehörde in den Produktbereichen Maschinen, Aufzüge, Druckgeräte, einfache Druckbehälter, Gasgeräte und persönliche Schutzausrüstungen (PSA). Zudem ist es für alle Produkte zuständig, für die keine Spezialerlasse bestehen und die somit direkt unter das PrSG fallen (sogenannte «übrige Produkte»). Mit Ausnahme der «übrigen Produkte» handelt es sich bei den gesetzlichen Grundlagen aller durch das Seco betreuten Produkte um Umsetzungen der Anforderungen der entsprechenden EU-Richtlinien. Diese wurden nach dem sog. Prinzip des «New Approach» konzipiert und harmonisiert.

Das Seco stellt in Zusammenarbeit mit anderen Bundesstellen seit Dezember 2012 eine elektronische Importplattform für die Suche nach technischen Vorschriften für Produkte zur Verfügung (www.seco.admin.ch/themen). Die Internetseite erleichtert das Auffinden der für die verschiedenen Produkte anwendbaren Regelungen, die beim Inverkehrbringen in der Schweiz zu beachten sind. Zudem informiert die Importplattform über Produkte, die etwa aufgrund von staatsvertraglichen Vereinbarungen, insbesondere mit der EU, in der Schweiz vereinfacht auf den Markt gebracht werden können. Sie erschliesst zudem weiterführende Informationen der zuständigen Bundesstellen. Die Plattform unterstützt Personen und Unternehmen, die in der Schweiz Importwaren in Verkehr bringen wollen, bei der Suche nach den anwendbaren Produktevorschriften («technische Vorschriften»).

Für das Inverkehrbringen eines eingeführten Produkts in der Schweiz sind zwei Fälle zu unterscheiden:

› Das Produkt entspricht ausländischen technischen Vorschriften, die Gegenstand eines internationalen Abkommens der Schweiz sind (konkret mit EU/EWR oder mit Kanada), oder es fällt unter das «Cassis de Dijon»-Prinzip. In diesem Fall richtet sich die Einfuhr des Produkts nach den Bestimmungen des zutreffenden Abkommens oder nach THG, welche die Einfuhr und das Inverkehrbringen entsprechender Produkte in die Schweiz erleichtern (siehe www.seco.admin.ch/themen, Link «Erleichtertes Inverkehrbringen nach internationalen Abkommen oder dem «Cassis de Dijon»-Prinzip gemäss THG).

› Das Produkt (bzw. die anwendbaren technischen Vorschriften) ist nicht Gegenstand eines internationalen Abkommens oder es fällt nicht unter Kapitel 3a. THG. In diesem Fall setzt das Inverkehrbringen des Produkts in die Schweiz die Erfüllung der schweizerischen technischen Vorschriften voraus (siehe www.seco.admin.ch/themen, Link «Portal der Schweizer Produktevorschriften»).

Die Kontrolle über die Einhaltung der Vorschriften des Inverkehrbringens (Marktkontrolle) obliegt je nach Produkt den verschiedenen, durch die Verordnung über die Produktesicherheit (PrSV) und das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement bezeichneten, Kontrollorganen (s. Anhang zu Verordnung des EVD über den Vollzug der Marktüberwachung nach dem 5. Abschnitt der Verordnung über die Produktesicherheit). Diese sind auch für die «übrigen Produkte» in ihrem jeweiligen Bereich zuständig. Im Vordergrund steht jedoch die SUVA im betrieblichen Bereich und die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) im ausserbetrieblichen Bereich.

Nebst den Vorschriften in Zusammenhang mit der Produktesicherheit sind bei der Einfuhr von Produkten weitere Vorschriften zu beachten. Informationen zu weiteren relevanten Vorschriften sind auf der Website der Eidgenössischen Zollverwaltung/EZV (Fragen zu Zöllen, zur Bier- und Tabaksteuer, zur Mehrwertsteuer und zu sonstigen von der EZV erhobenen indirekten Steuern) und auf der Website des Instituts für Geistiges Eigentum/IGE (Fragen zum geistigen Eigentum) zu finden. Informationen zu den Einfuhrbedingungen in die Schweiz können auch auf dem Informationsportal Export Infodesk des Seco eingesehen werden.

Das Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) und das Produktesicherheitsgesetz (PrSG) verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen. Während der Zweck des Produktesicherheitsgesetzes darin besteht, die Sicherheit von Produkten zu gewährleisten und den grenzüberschreitenden freien Warenverkehr zu erleichtern, regelt das Produktehaftpflichtgesetz die Haftung des Herstellers für einen Schaden, den ein fehlerhaftes Produkt an Personen oder Sachen verursacht. Gemein ist ihnen eine Verstärkung des Schutzniveaus für den Konsumenten in der Schweiz und eine Angleichung der Rechtslage an die europäischen Vorschriften.

Gestützt auf das PrHG haftet ein Hersteller für den Schaden, den ein auf den Markt gebrachtes Produkt verursacht hat. Neben dem Hersteller im eigentlichen Sinn haftet auch der Teilhersteller, der ein Teilprodukt oder Grundstoff für das Endprodukt liefert, wie auch der Quasihersteller, der auf dem Produkt seine Marke oder sein Logo anbringt. Weiter zählen als Hersteller auch der Importeur sowie der Händler. Die Hersteller trifft eine sog. solidarische Haftung, d.h. der Geschädigte kann wählen, wen er für seinen gesamten Anspruch belangen will.

Die Haftung des Herstellers ist kausal. Der Hersteller haftet folglich unabhängig von einem allfälligen Verschulden. Voraussetzung für die Haftpflicht ist, dass ein Produkt in der Schweiz in Verkehr gebracht wurde. Umgekehrt können Schweizer Hersteller für in der Europäischen Union eingetretene Schäden dort gestützt auf die gesetzlichen Rechtsvorschriften des EU-Rechts haftbar gemacht werden.

Sowohl das PrSG als auch das PrHG enthalten zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, welche erst noch von der Rechtsprechung beziehungsweise der Praxis konkretisiert werden müssen. Die zuständige Behörde, das heisst das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, hat sich einiger dieser Fragen bereits angenommen und hierzu ein FAQ zum PrSG und auch zur Verordnung zum PrSG im Internet publiziert (www.seco.admin.ch/Themen, Link Produktesicherheit, FAQ). Die Rechtsprechung hat sich in Zusammenhang mit dem PrHG bereits in einigen Entscheiden mit der Konkretisierung der Normen auseinandergesetzt.

› In einem Fall befasste sich das Bundesgericht im 2006 mit einer Kaffeekanne, die während des Gebrauches explodierte, und definierte dabei die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Konsumenten.

› In Zusammenhang mit einem Oberlichtfenster hielt das Bundesgericht 2010 fest, dass der Hersteller nicht bei nachträglicher Manipulation des Produkts haftet. Das Aushängen der Oberlichtschere wurde daher nicht als (Fehl-)Gebrauch, sondern als Unterhalt (als nachträgliche Manipulation) qualifiziert.

› Weiter befasste sich das Bundesgericht im gleichen Jahr mit der Gebrauchsanweisung eines Bügeleisens und stipulierte, dass eine Gebrauchsanleitung vor der erstmaligen Inbetriebnahme gründlich studiert werden müsse.

› Das Bundesgericht äusserte sich im Fall eines vorzeitig abgenutzten, aus verschiedenen Materialien, u.a. Kunststoff, bestehenden Hüftgelenkimplantats erstmals 2011 zum Entwicklungsfehler. Über die vorzeitige Abnutzung dieser Prothese gab es vor dem Zeitpunkt, da der Geschädigten erstmals eine solche Prothese implantiert wurde, noch keine wissenschaftlichen Publi­kationen. Die Prothese wurde 1996 auf dem amerikanischen, europäischen und schweizerischen Markt zugelassen. Erst nach mehreren Jahren konnte erkannt werden, dass die in vitro verheissene längere Lebensdauer dieser Prothese jener in vivo nicht entsprach.

Der Gesetzgeber ist bestrebt, durch die Festlegung von Sicherheitsanforderungen an Produkten, die Gesundheit und Sicherheit von Personen zu schützen. Das Produktesicherheitsgesetz hat in der Praxis weitreichende Folgen und kann Unternehmen teuer zu stehen kommen. Die europaweit einheitliche Gesetzgebung hat andererseits den Vorteil, dass sich Hersteller nach den gleichen Sicherheitsstandards richten können, unabhängig davon, ob sie für den Schweizer oder den europäischen Markt produzieren. Das PrSG schützt den Konsumenten und ermöglicht gleichzeitig dem Hersteller, im europäischen Raum unter einheitlichen Grundanforderungen den Markt zu betreten.

Produktehaftung bedeutet das Einstehenmüssen des Herstellers für Folgeschäden an Personen oder Sachen des privaten Gebrauchs und Verbrauchs, welche durch sein fehlerhaftes Produkt verursacht wurden. Wer für einen Schaden definitiv haftet, ergibt sich aus den vom Hersteller, Produzenten und Lieferanten gestellten Sicherheitsanforderungen in Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Produkten.

Qualität in der Produktion, im Vertrieb, aber auch in der Vertragsgestaltung stehen bei innovativen und nachhaltigen Unternehmen somit im Vordergrund. Risiko-Management in der Produktion und juristisches Risikomanagement durch Beachtung der massgebenden nationalen und internationalen Sicherheitsnormen sind im Bereich der Produktion und im Vertrieb unerlässlich. «

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