Recht

Obligationenrecht

Neues Rechnungslegungsrecht fordert KMU

Mit dem Jahresende gelten für alle juristischen Personen, Personengesellschaften und Einzelunternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 500'000 Franken die neuen Rechnungslegungsvorschriften des OR. Für KMU, die bisher nur die allgemeinen Buchführungsvorschriften befolgen mussten, findet ein tückenreicher Paradigmenwechsel statt.
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Das neue Rechnungslegungsrecht, enthalten in den Art. 957 – 963b des Obligationenrechts (OR), ist zwar bereits seit 1. Januar 2013 in Kraft, aufgrund der zweijährigen Übergangsfrist ist die Anwendung der neuen Normen aber erstmalig für den Jahresabschluss 2015 verpflichtend. Die vermutlich bedeutendste Änderung aus Sicht der kleinen und mittelgrossen Unternehmen ist, dass der Kreis der rechnungslegungspflichtigen Unternehmen stark ausgeweitet wird. Neu werden viele KMU mit der Jahresumsatzschwelle von 500 000 Franken, die als Einzel- oder Personengesellschaften organisiert sind, der Rechnungslegungspflicht unterstellt. Betroffen sind in der Regel Kleinunternehmen ab drei Vollzeitangestellten.

Als weitere wesentliche Änderung ist die Rechnungslegung für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform gleich. Insbesondere für Einzelunternehmen und Personengesellschaften existierten in der Vergangenheit ne­ben den allgemeinen Buchführungsvorschriften kei­ne konkreten gesetzlichen Normen zur Rechnungslegung. Zudem waren die Vorschriften für die Aktiengesellschaften, die im Wesentlichen auch für andere juristische Personen anwendbar waren, lückenhaft und sehr pauschal gehalten.

Geschäftsbericht ist Pflicht

Neu muss jedes rechnungslegungspflichtige Unternehmen innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahres einen Geschäftsbericht erstellen und diesen – abhängig von der Rechtsform des Unternehmens – dem Verwaltungsrat oder der Geschäftsführung zur Genehmigung vorlegen. Der Geschäftsbericht ist vom Vorsitzenden des obersten Leitungsorgans und der im Unternehmen für die Rechnungslegung zuständigen Person zu unterzeichnen, wodurch die gesetzeskonforme Erstellung der Jahresrechnung bestätigt wird. Sind beide Funktionen in einer Person vereint, so genügt eine Unterschrift.

Bilanz und Erfolgsrechnung

Für alle KMU, die aufgrund ihrer Grös­se nicht zur ordentlichen Re­vision verpflichtet sind, muss der Geschäftsbericht lediglich die Jahresrechnung enthalten. Die Jahresrechnung besteht im Minimum aus der Bilanz, der Erfolgsrechnung und dem Anhang (Art. 958 Abs. 2 OR). Sie muss unter der Annahme der Fortführung der Unternehmenstätigkeit erstellt werden. Falls die Fortführung der Unternehmenstätigkeit oder Teile davon innerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag nicht mehr beabsichtigt oder aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht mehr möglich sind, so muss die Bewertung der Bilanz auf Veräusserungswerte umgestellt werden. Die Jahresrechnung muss die Zahlen für das aktuelle Jahr und die Vergleichszahlen des Vorjahres enthalten.

Klare Gliederung vorgegeben

Für die Bilanz und die Erfolgsrechnung gelten neu Mindestgliederungsvorschriften, wobei vom Gesetz vorgesehene Positionen, die im Unternehmen nicht ex­istieren, weggelassen werden dürfen. Umgekehrt müssen wesentliche Positionen, die in der gesetzlichen Mindestgliederung nicht vorgesehen sind, separat gezeigt werden, sofern sie für die Beurteilung der Vermögens- und Finanzierungslage durch Dritte wesentlich oder branchenüblich sind.

Die Aktivseite der Bilanz muss in Umlauf- und Anlagevermögen unterteilt werden, die Passivseite in Fremd- und Eigenkapital. Das Fremdkapital wird zusätzlich in kurz- und langfristige Verbindlichkeiten gegliedert. Als Trennlinie zwischen Umlauf- und Anlagevermögen beziehungsweise kurz- und langfristigen Verbindlichkeiten gilt ein Zeitraum von zwölf Monaten. Die Aktivseite der Bilanz ist nach abnehmender Liquidität der Vermögenswerte, das Fremdkapital nach zunehmender Fristigkeit zu ordnen.

Zwei Varianten der Präsentation

Bei der Präsentation der Erfolgsrechnung besteht die Wahl zwischen einer Produktions- und einer Absatzerfolgsrechnung. Die beiden Darstellungen unterscheiden sich wesentlich voneinander: In der Produktionserfolgsrechnung wird der Betriebsaufwand nach Aufwandart gegliedert, also beispielsweise nach Materialaufwand, Personalaufwand oder Abschreibungen.

In der Absatzerfolgsrechnung erfolgt hingegen eine funktionale Darstellung, also eine Aufstellung etwa nach Herstellkosten der verkauften Produkte, dem Vertriebs- oder Verwaltungsaufwand. Mit diesen Mindestgliederungsvorschriften wird ein Transparenzrahmen vorgegeben, der zwingend einzuhalten ist und in dieser Form für viele KMU neu sein dürfte.

Als dritter Teil der Jahresrechnung ist ein Anhang zu erstellen, in dem unter an­derem die angewandten Bewertungsgrundsätze sowie die wesentlichen Bilanz- und Erfolgsrechnungspositionen zu erläutern und weiter aufzuschlüsseln sind. Falls im Berichtsjahr eine wesentliche Auflösung von stillen Reserven stattgefunden hat, ist dies ebenfalls hier offenzulegen. Darüber hinaus enthält Art. 959c Abs. 2 OR 14 weitere Vorschriften zum Anhang, die je nach Ausgangslage zu berücksichtigen sind.

Um einen formalistischen Overkill zu verhindern, dürfen aber zumindest Einzel- und Personenunternehmen auf den Anhang verzichten. Die gilt allerdings nur, wenn sie aufgrund ihrer Grösse nicht von Gesetzes wegen zur ordentlichen Revision verpflichtet sind. Bis auf wenige Ausnahmen dürften alle KMU, die als Einzel- oder Personengesellschaften aufgestellt sind, von dieser Erleichterung profitieren.

Bildung stiller Reserven

Stille Reserven sind auch unter dem neuen Rechnungslegungsrecht weiterhin zulässig und dürfen auf den dafür traditionell verwendeten Positionen gebildet werden. Im Umlaufvermögen sind dies die Debitoren und Warenvorräte, auf denen Pauschalwertberichtigungen auch steuerlich anerkannt werden. So darf etwa auf den Warenvorräten – nach Vornahme der kaufmännisch notwen­digen Wertberichtigungen – eine zu-sätz­liche Pauschalwertberichtigung von maximal einem Drittel des Bestandes vorgenommen werden.

Bei den Debitoren sind es fünf Prozent auf inländischen und zehn Prozent auf ausländischen Forderungen. Im Anlagevermögen können stille Reserven wie folgt gebildet werden: Durch zu hohe Abschreibungen auf Positionen wie Maschinen oder Fahrzeuge sowie durch das Unterlassen von Wertaufholungen bei Beteiligungen, bei denen in der Vergangenheit eine Wertberichtigung notwendig war.

Auf der Passivseite sind stille Reserven grundsätzlich nur bei Rückstellungen möglich. Ihre Bildung erfolgt vornehmlich auf drei Arten: Durch das Fortführen nicht mehr benötigter Rückstellungen, durch übervorsichtige Bemessung tatsächlich notwendiger Rückstellungen oder durch Bildung von Rückstellungen für Fälle mit geringer Verlustwahrscheinlichkeit.

Zwangsauflösungen

Bei stillen Reserven in den Debitoren und Warenvorräten ist zu beachten, dass es in Jahren mit abnehmendem Bestand zu einer zwangsweisen Teilauflösung kommt, falls der maximal zulässige Pauschalwertberichtigungssatz angewandt wurde.

Bei abzuschreibendem Anlagevermögen kommt es ebenso zu einer Zwangsauflösung, sobald ein Vermögensgegenstand vollständig abgeschrieben ist, aber das Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer noch nicht erreicht ist. Solche Zwangsauflösungen sind genau zu verfolgen, da eine wesentliche Netto-Auflösung von stillen Reserven in der Jahresrechnung ausgewiesen werden muss.

Da der handelsrechtliche Jahresabschluss die Grundlage für die Steuererklärung ist, kommt der Erstellung der Jahresrechnung besondere Bedeutung zu. KMU, die bisher nicht rechnungslegungspflichtig waren, müssen sich darauf einstellen, dass die Steuerbehörden eine Jahresrechnung einfordern werden, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Schon allein aus Gründen eines möglichst reibungslosen Umgangs mit der Steuerbehörde empfiehlt es sich, diesem Punkt die nötige Beachtung zu schenken. KMU, die ihre Buchführung und den Jahresabschluss extern machen lassen, sollten darauf achten, dass ihr Dienstleister mit diesen Anforderungen vertraut ist und ein einwandfreies Produkt erstellt.

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