Recht

Deutsches Strafrecht

Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen kriminelle Inhalte

Im Sommer dieses Jahres hat das deutsche Parlament das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen und in Kraft gesetzt. Da Netzwerke international agieren, können natürlich auch ausländische Unternehmen und Privatpersonen betroffen sein. Demnach ist auch Schweizern geraten, das neue Gesetz zur Kenntnis zu nehmen.
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Soziale Medien wirken international. Wenn man diese für Werbung und Kommunikation mit ausländischen Kunden nutzt, muss man auch Gesetze anderer Länder beachten. Mit dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) will man die Beseitigung von kriminellen Inhalten in bedeutenden Netzwerken durchsetzen. Auch Schweizer Unternehmen müssen dafür sorgen, dass von ihren Angestellten keine solchen ins Netz gestellt werden. Auch abgesehen davon wirkt sich das NetzDG negativ auf die Kommunikation aus.

Kritik unerwünscht

Die Unternehmensberaterin Anna Keller (Name geändert) kommuniziert gern mit Kunden sowie Freunden in sozialen Medien. Anna Keller hat auch einige Kontakte in Deutschland bei Facebook. Und mit einigen von ihnen hatte sie über Politik diskutiert, mit kritischen Kommentaren über die Merkel-Regierung. Seit Juli stellte sie fest, dass ihre Kommentare immer wieder als Spam markiert wurden, und zwar auch geschäftliche, nach völlig undurchschaubaren Regeln. Einige Kontaktpersonen versicherten ihr, dass sie keineswegs ihre Beiträge als Spam deklariert hätten, sondern sie freischalten müssten. Regierungskritischen Leuten würde das immer wieder passieren. Anna Keller ist verärgert, weil sie keine Hasskommentare publiziert, sondern Wert auf Sachlichkeit legt. Besonders stört sie, dass auch Kommentare als Spam markiert wurden, die sie als Schweizerin in der Schweiz publizierte.

Ende Juni wurde das NetzDG in Deutschland beschlossen – übrigens von einer kleinen Minderheit des Parlaments – und gleich in Kraft gesetzt. Dieses sieht hohe Strafen für die Betreiber von sozialen Netzwerken vor, wenn sie sogenannte «Hasskommentare» nicht rasch genug löschen. Natürlich kann man nicht erwarten, dass alle Mitarbeitenden der sozialen Medien dieses Gesetz genauer kennen. So sind diese Phänomene zu erklären, man blockiert lieber einmal zu viel oder sperrt sogar Konten, als eine Strafe zu riskieren.

Für wen das Gesetz gilt

In den Erklärungen zum Netzwerkgesetz heisst es: Die zunehmende Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube und Twitter hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bereits im Jahr 2015 veranlasst, eine Taskforce mit den Betreibern der Netzwerke und Vertretern der Zivilgesellschaft ins Leben zu rufen. Die in der Taskforce vertretenen Unternehmen haben zugesagt, den Umgang mit Hinweisen auf Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte auf ihren Seiten zu verbessern.

Die Selbstverpflichtungen der Unternehmen haben zu Verbesserungen geführt. Diese reichten der Regierung aber noch nicht, es würden immer noch zu wenige strafbare Inhalte gelöscht. Ein von jugendschutz.net durchgeführtes Monitoring der Löschpraxis sozialer Netzwerke vom Januar/Februar 2017 hätte ergeben, dass die Beschwerden von Nutzern gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte nach wie vor nicht unverzüglich und ausreichend bearbeitet werden.

Das Gesetz gilt für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (soziale Netzwerke). Die betroffenen Plattformen müssen mehr als zwei Millionen Nutzer haben, im Kommentar «Bagatellgrenze» genannt. Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Dienste­anbieter selbst verantwortet werden, gelten nicht als soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG.

Rechtswidrige Tatbestände

Texte, die bestimmte Straftatbestände im Netz erfüllen, sind laut NetzDG rechtswidrig. Die Aufzählung gilt nach Kommentar zum Gesetz als abschliessend: «Erfasst werden also ausschliesslich Hand-
lungen, welche den Tatbestand eines oder mehrerer der in Absatz drei genannten Strafgesetze erfüllen und rechtswidrig, aber nicht notwendigerweise schuldhaft begangen werden. Dies trägt dem Gebot der Bestimmtheit sowie Verhältnismäs­sigkeit Rechnung.»

Im Umkehrschluss bedeutet es auch Folgendes: Wer gesperrt wird, ohne einen dieser Tatbestände erfüllt zu haben, kann dagegen protestieren, allenfalls klagen, sofern sich das lohnt. Man kann es als Beleidigung oder je nach Fall als üble Nachrede betrachten (deutsches StGB § 185 und 186), wenn man zu Unrecht bezichtigt wird, einen Straftatbestand begangen zu haben.

Andere Schikanen braucht man sich auch nicht gefallen zu lassen. Zum Beispiel, dass Facebook Kommentare als Spam markiert, ohne dass das von den betreffenden Kontaktpersonen verlangt wurde. Anna Keller kann also von den Facebook-Betreibern verlangen, dass sie diese Schikanen beenden, vor allem, wenn sie auch bei Facebook Werbung macht.

Grosser Auslegungsspielraum

Man muss sich allerdings darüber klar sein, dass bei einigen Straftatbeständen der Auslegungsspielraum relativ gross ist. Beispielsweise darf man, besonders nach den Gewalttaten anlässlich des G20-Treffens, gespannt sein, wie der Tatbestand von StGB § 241a Politische Verdächtigung nach NetzDG behandelt wird. Der Text im StGB lautet: «Wer einen anderen durch eine Anzeige oder eine Verdächtigung der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- oder Willkürmassnahmen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, der Freiheit beraubt oder in seiner beruflichen oder wirtschaftlichen Stellung empfindlich beeinträchtigt zu werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geld-
strafe bestraft.»

Problematisch ist auch der Tatbestand der Volksverhetzung, weil es auch Meinungssache ist, was man als solche betrachtet und was noch legaler Aufruf zu Widerstand und was schon Volksverhetzung ist. Noch schwieriger wird es bei StGB §  166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen. Schon bevor das Gesetz beschlossen wurde, hat man auch sachliche Islamkritik in Facebook und Twitter gelöscht beziehungsweise den Autoren zeitweise die Konten gesperrt.

Es ist also Vorsicht geboten, wenn man sich zum Islam äussert. Ein weiterer problematischer Tatbestand ist § 100a Landesverräterische Fälschung. «Wer wider besseres Wissen gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Behauptungen tatsächlicher Art, die im Falle ihrer Echtheit oder Wahrheit für die äus­sere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung wären, an einen anderen gelangen lässt oder öffentlich bekannt macht, um einer fremden Macht vorzutäuschen, dass es sich um echte Gegenstände oder um Tatsachen handele, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äussere Sicherheit oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.»

Die Definition im Gesetz ist schon ziemlich klar, aber den Beweis zu erbringen, welche Nachrichten landesverräterische «Fake News» sind, dürfte in vielen Fällen schwierig sein. 

Die Verpflichtung

Netzwerke in Deutschland haben folgende Verpflichtungen nach NetzDG:

  • Die Netzwerke müssen vierteljährlich einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage spätestens einen Monat nach Ende eines Quartals veröffentlichen. Der auf der eigenen Homepage veröffentlichte Bericht muss leicht erkennbar, un­mittelbar erreichbar und ständig verfügbar sein. Im Kommentar wird geschätzt, dass höchstens zehn soziale Netzwerke berichtspflichtig werden.
  • Die Anbieter müssen ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte einrichten. Der Anbieter muss Nutzern ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stellen.
  • Die Betreiber von Netzwerken müssen von einer Beschwerde unverzüglich Kenntnis nehmen und prüfen, ob der Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist.
  • Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt werden. Im Prinzip muss jeder rechtswidrige Inhalt innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt oder der Zugang zu ihm gesperrt werden. Das Verfahren muss vorsehen, dass jede Beschwerde und die zu ihrer Abhilfe getroffene Massnahme im Inland dokumentiert wird.
  • Der Inhalt des entfernten Kommentars muss gesichert und zehn Wochen im Inland gespeichert werden, das dient in erster Linie der Sicherung der Strafverfolgung gegen den Absender einer Nachricht mit strafbarem Inhalt.
  • Der Umgang mit Beschwerden muss von der Leitung des sozialen Netzwerks durch monatliche Kontrollen überwacht werden. Organisatorische Unzulänglichkeiten im Umgang mit eingegangenen Beschwerden müssen unverzüglich beseitigt werden. Mit den mit der Bearbeitung von Beschwerden beauftragten Personen müssen von der Leitung des sozialen Netzwerks regelmäs­sig, mindestens aber halbjährlich deutschsprachige Schulungs- und Betreuungsangebote durchgeführt werden.

Im Kommentar heisst es über die Verfahrenspflicht: «Die Verpflichtung, ein Verfahren vorzuhalten, das die Durchsetzung der Rechtsordnung (Löschungs- oder Sperrverpflichtung) sicherstellt, ist ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, die durch Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützt wird […] Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit könnten durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden. Der Schutz der Meinungsfreiheit und der Rundfunk- sowie der Pressefreiheit muss hier in die Gesamtbewertung mit einflies­sen. Die Regelung zielt auf die praktische Durchsetzung von Löschungs- oder Sperrpflichten ab, die sich aus anderen Gesetzen ergeben. Dies ist ein legitimes Ziel.»

Der gesamte Erfüllungsaufwand für die sozialen Netzwerke wird allein für die Berichtspflicht auf zwei Millionen Euro jährlich geschätzt, der Aufwand insgesamt wird auf 28 Millionen Euro jährlich veranschlagt.

Bussen bis fünf Millionen Euro

Für Verstösse gegen dieses Gesetz sind Bussen bis zu fünf Millionen Euro vorgesehen. Als ordnungswidrige Handlungen gelten zum Beispiel folgende:

  • Berichte, die nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstellt bzw. nicht rechtzeitig veröffentlicht werden
  • Das Verfahren für den Umgang mit Beschwerden von Nutzern oder Beschwerdestellen, die im Inland wohnhaft sind oder ihren Sitz haben, nicht, nicht richtig oder nicht vollständig anbieten
  • Den Umgang mit Beschwerden nicht oder nicht richtig überwachen
  • Die Ordnungswidrigkeit kann auch dann geahndet werden, wenn sie nicht im Inland begangen wird.

Anbieter sozialer Netzwerke haben für Zustellungen in Bussgeldverfahren nach diesem Gesetz gegenüber der Verwaltungsbehörde, der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht sowie in zivilgerichtlichen Verfahren gegenüber dem zuständigen Gericht unverzüglich einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen (NetzDG § 5). Dies gilt nun auch für Netzwerkbetreiber, die weniger als zwei Millionen Nutzer haben.  Für Verstösse gegen diese Bestimmung gibt es bis zu 500 000 Euro Busse.

Privatisierung der Ermittlung

Das Bundesministerium der Justiz und für den Verbraucherschutz erlässt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung des Ermessens der Bussgeldbehörde bei der Einleitung eines Bussgeldverfahrens und bei der Bemessung der Geldbusse.

Im Prinzip wird durch dieses Gesetz die strafrechtliche Ermittlung teilweise privatisiert. Es gäbe in Deutschland für den Staat ausreichend Möglichkeiten, das StGB auch im Internet durchzusetzen. Diese Aufgabe des Staates delegiert dieser nun teilweise an private Netzwerkbetreiber.

Immerhin hat die Verwaltungsbehörde zumindest nicht uneingeschränkte Macht. Will diese eine Entscheidung darauf stützen, dass ein nicht entfernter oder nicht gesperrter Inhalt rechtswidrig ist, so hat sie über die Rechtswidrigkeit vorab eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (NetzDG § 4). Zuständig ist das Gericht, das über den Einspruch gegen den Bussgeldbescheid entscheidet. Der Antrag auf Vorabentscheidung ist dem Gericht zusammen mit der Stellungnahme des sozialen Netzwerks zuzuleiten. Über den Antrag kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar und für die Verwaltungsbehörde bindend.

Im Kommentar steht dazu folgende Erklärung: Da das Vorabentscheidungsverfahren eine eigenständige Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Rechtswidrigkeit gerade verhindern soll, ist die gerichtliche Entscheidung bindend. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der gemeldete Inhalt nicht rechtswidrig ist, ist das Bussgeldverfahren somit zwingend einzustellen. Andernfalls kann bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Bussgeldbescheid erlassen werden.

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