Der Verfasser kann aus eigener Erfahrung berichten: Im Rahmen der Mandatsführung musste er im Auftrag eines Klienten die Betreibung über einen Betrag von umgerechnet 1,50 Millionen Euro einleiten. Kurz darauf wurde ihm an seine Privatadresse ein Zahlungsbefehl über 1,50 Millionen Franken zugestellt. Betreibender war die Gegenpartei des Klienten. Als Grund der Forderung war im Zahlungsbefehl «Schadenersatz» angegeben.
Dass es sich um einen Vergeltungsakt handelte, war offensichtlich: Der gegen den Verfasser als Privatperson gerichtete Zahlungsbefehl wurde unmittelbar nach der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner erlassen, die Forderungen sind bis auf die Währung identisch. Zwischen dem Verfasser, der wie gesagt im Auftrag eines Mandanten handelte, und dem Schuldner bestanden keinerlei Rechtsbeziehungen. Was ist zu tun?
Unterschätzte Auswirkungen
Das Betreibungsregister kann gegen Nachweis eines berechtigten Interesses eingesehen werden. Hierzu genügt beispielsweise eine laufende gerichtliche Auseinandersetzung oder nur der behauptete (beabsichtigte) Abschluss eines Vertrags. Man stelle sich vor, Unternehmer A befürchtet einen bevorstehenden wichtigen Vertragsabschluss seines Mitbewerbers B. Um dies zu verhindern, lanciert er kurzerhand eine – völlig unbegründete – Betreibung gegen Mitbewerber B in Millionenhöhe. Mitbewerber B muss sich fortan zumindest um unangenehme Erklärungen gegenüber seinen potenziellen Geschäftspartnern oder Banken bemühen. Vielleicht entgehen ihm sogar ohne sein Wissen weitere Aufträge, denn der Betriebene wird über erteilte Auskünfte durch das Betreibungsamt nicht informiert. Auch einer Privatperson wird der Abschluss eines Miet-, Arbeits- oder Leasingvertrags unmöglich, wenn der «ungeliebte Nachbar» aus Schikane betreibt. Im Ausgangsfall – Betreibung eines Rechtsanwalts – können die Konsequenzen allein deshalb besonders nachteilig sein, weil (auch) der private Betreibungsregistereintrag eines Partners automatisch auf die gesamte Kanzlei ausstrahlt.
Die mit einer solchen Massnahme verbundenen Konsequenzen sind ausserdem finanziell beachtlich. Bei einer Forderung in Höhe von 1,50 Millionen Franken wie im Ausgangsfall beträgt allein der Gerichtskostenvorschuss für eine (negative Feststellungs-)Klage im Kanton Luzern mindestens 15000 Franken, hinzu kommt der in aller Regel fällige Kostenvorschuss für die Beauftragung eines Rechtsanwalts. Dieser Betrag kann, sofern eine Klage notwendig ist, schnell die Liquiditätsgrenzen einer Privatperson oder eines Kleinunternehmens sprengen. Das Ergebnis: Der Betriebene scheut die Kosten, unternimmt nichts und wartet die weiteren Schritte des Betreibenden ab. Der Registereintrag bleibt dann bestehen.
Präventive Massnahmen?
Im Regelfall gibt es keine Möglichkeit, präventiv, etwa durch eine vorgängige Information des Betreibungsamts, den Erlass des Zahlungsbefehls zu verhindern. Denkbar ist allenfalls eine superprovisorische Verfügung des Gerichts. Dem steht jedoch entgegen, dass man in der Regel gar nicht wissen kann, welcher Schuldner oder Geschäftspartner aus welchen Gründen mit einer Schikanebetreibung reagiert. Das bedeutet, dass der Betroffene von der Betreibung regelmässig erst mit der Zustellung des Zahlungsbefehls erfährt. Dann ist die Betreibung jedoch bereits im Register eingetragen. Auch rechtsdogmatische Ansätze zur Bedeutung des Registereintrags – der Eintrag ist nur der Nachweis einer laufenden Betreibung, nicht der Forderung – helfen hier nicht: Ein Eintrag in einem öffentlichen Register gilt bis zum Beweis des Gegenteils als richtig. Wer Einsicht in das Betreibungsregister verlangt, differenziert regelmässig nicht zwischen der blossen Tatsache und dem Inhalt des Eintrags. Das bedeutet: Sobald ein Eintrag im Register verzeichnet ist, sind die Kredit- und Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen in höchstem Masse beeinträchtigt.
Vorgehen des Betreibungsamtes
Der Betreibungsbeamte hat bis auf Ausnahmefälle keine Möglichkeit, – und auch keine Veranlassung – den Erlass des Zahlungsbefehls zu verweigern. Zwar hat das Betreibungsamt in Fällen offensichtlicher Nichtigkeit das Betreibungsbegehren zurückzuweisen. Sobald lediglich Zweifel an der Nichtigkeit der Betreibung bestehen, muss es den Zahlungsbefehl ausstellen. In der Praxis bedeutet das: In nahezu allen Fällen wird der beantragte Zahlungsbefehl, sofern das Begehren keine formellen Mängel aufweist, erlassen.