Recht

Erbrecht II

Keine generelle Lösung im Kampf gegen Erbschleicherei

Professor Dr. Wolfgang Böh, Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Ansprechpartner der deutschen Stiftung für Erbrecht, Institut zur Bekämpfung von Erberschleichung, über Pflichtteilsansprüche, Erbengemeinschaften und Erbschleicherei. Seine Antworten beziehen sich auf deutsches Recht. Dort wo nötig, wird das Interview daher um den Fokus auf das Schweizer Recht ergänzt.
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Herr Böh, welche Möglichkeiten gibt es, wenn Eltern oder auch Ehepartner nicht mehr zurechtkommen, zum Beispiel wegen Demenz, aber keine Vollmacht erteilt haben?

Dann wird es zwangsläufig auf eine gesetzliche Betreuung hinauslaufen. Die Person hat keinen Vertreter mehr. Solange ein Graubereich besteht, kann in Deutschland ein Ehepartner oder ein Kind als Vertretung akzeptiert werden. Wenn der Fall extremer wird, muss eine Vertretung organisiert werden. Es gibt in Deutschland keine gesetzliche Stellvertretung, weder gegenüber dem Ehepartner noch den erwachsenen Kindern gegenüber.

Das Schweizer Recht: Nach dem neuen Erwachsenenschutzrecht ZGB Art. 360 ff. haben Ehe- oder eingetragene Partner von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht für die ordentliche Verwaltung des Einkommens und Vermögens, wenn nicht in einem Vorsorgeauftrag etwas anderes bestimmt wird. Kinder haben hingegen kein gesetzliches Vertretungsrecht.

Und wer übernimmt die Betreuung, wenn keine Verfügung besteht?

Dies kann ein Angehöriger oder in Zweifelsfällen ein Berufsbetreuer sein. Man kann auch eine Vorsorgevollmacht erteilen, diese kann bis hin zur Generalvollmacht ausgeweitet werden. Dann werden alle Bereiche, gesundheitlich und privat übertragen. Die Vorsorgevollmacht kann nur erteilt werden, wenn der Vollmachtgeber noch geschäftsfähig ist, darum sollte man das frühzeitig erledigen. Man kann auch Kontrollmöglichkeiten einbauen, z.B. einen Kontrollbetreuer.

Das Schweizer Recht: Jede Person kann der Erwachsenenschutzbehörde Meldung erstatten, wenn eine Person hilfsbedürftig erscheint (ZGB Art. 443). Die Erwachsenenschutzbehörde trifft auf Antrag die notwendigen vorsorglichen Massnahmen (ZGB Art. 445). Wenn nötig wird ein Beistand eingesetzt.

Können die Kinder gegen einen Ehepartner vorgehen, wenn sie den Verdacht haben, dieser nutze nur die Situation aus und habe es auf das Vermögen abgesehen?

Im Prinzip besteht darauf kein Rechtsanspruch. In extremen Situationen, z.B. Freiheitsentzug, Nötigung, Betrug, kann man allenfalls die Polizei einschalten und eine Strafanzeige machen.

Das Schweizer Recht: Sind die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt, so entzieht die Erwachsenenschutzbehörde dem Ehe- oder dem eingetragenen Partner auf Antrag einer nahestehenden Person oder von Amtes wegen die Vertretungsbefugnisse teilweise oder ganz oder errichtet eine Beistandschaft (ZGB Art. 376).

Was unternimmt man, wenn ein Angehöriger eine Person von der Umgebung abschirmt?

Da kann man allenfalls gesetzliche Betreuung beantragen. In bestimmten Fällen kann es auch einen familienrechtlichen Anspruch auf Zutritt geben, z.B. wenn ein Kind Umgangs- oder Sorgerechte hat. Das ist aber nur sehr eingeschränkt möglich.

Kinder haben doch das natürlichste Recht auf Zugang zu den Eltern oder nicht?

Das ist richtig. In Deutschland gibt es aber dafür im Prinzip keinen Rechtsanspruch.

Das Schweizer Recht: Wenn der Ehepartner den Zugang verweigert, kann man allenfalls Entzug der Vertretungsbefugnis beantragen, in anderen Fällen kann man sich an die Erwachsenenschutzbehörde wenden.

Haben nicht ältere Leute oft unrealistische Vorstellungen, wenn sie von einem Partner oder einer anderen Person erwarten, dass diese sie irgendwann pflegt? Es gibt doch Fälle, bei denen das gar nicht möglich ist.

In vielen Fällen kann man das so regeln, dass für die Pflege Hilfe von Drittpersonen hinzugezogen wird. Auch das kann man bei dem Abschluss eines Arbeitsvertrages vereinbaren.

Das Schweizer Recht: Für diesen Fall ist zu empfehlen, rechtzeitig einen handschriftlichen Vorsorgeauftrag nach ZGB Art. 360 zu verfassen. Eine handlungs­fähige Person kann eine natürliche oder juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit für sie zu sorgen und/oder ihr Vermögen zu verwalten und sie im Rechtsverkehr zu vertreten. Die Aufgaben sollten möglichst klar definiert werden. Eine Ersatzverfügung ist zu empfehlen für den Fall, dass die betreffende Person den Auftrag nicht annimmt. Sind die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt, so trifft die Erwachsenenschutzbehörde von Amtes wegen oder auf Antrag einer nahestehenden Person die erforderlichen Massnahmen (ZGB Art. 368).

Wie kann man Angehörige schützen, die an sozialer Demenz leiden und den falschen Personen vertrauen?

In diesen Fällen gibt es keine generelle Lösung. Wenn man als Angehöriger eingreift, kann es passieren, dass der Betroffene sich angegriffen fühlt. So treibt man ihn gerade erst recht in die Arme des Erbschleichers.

Oft will man einen langjährigen Ehepartner gegenüber den Kindern möglichst weitgehend begünstigen. Wie geht das?

Die für den Partner stärkste Regelung ist das sogenannte Berliner Testament. Der überlebende Ehepartner bekommt alles, die gemeinsamen Kinder vorläufig nichts. Diese haben aber trotzdem einen Pflichtteilsanspruch. Als Berater langjähriger Ehepaare versucht man natürlich, die Kinder dazu zu bewegen, auf den Pflichtteil zu verzichten. Wenn diese das ablehnen, kann man mit sogenannten «Strafklauseln» arbeiten. Das heisst, wenn eines oder mehrere Kinder den Pflichtteil im ersten Erbfall verlangen, sollen sie auch im zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhalten. Dann erhalten die anderen, die auf den Pflichtteil verzichten, im zweiten Erbteil den ganzen Rest des Vermögens.

Das Schweizer Recht: Dem deutschen Berliner Testament entspricht die Meistbegünstigung nach ZGB Art. 473: Der Erblasser kann dem überlebenden Ehegatten durch Verfügung von Todes wegen gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung an dem ganzen ihnen zu­fallenden Teil der Erbschaft zuwenden. Diese Nutzniessung tritt an die Stelle des dem Ehegatten neben diesen Nachkommen zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Die für den Erblasser verfügbare Quote beträgt einen Viertel des Nachlasses.

Warum «Strafklausel», wenn jemand sein Recht verlangt?

Das ist insofern gerecht, weil Kinder, die auf den Pflichtteil im ersten Erbfall verzichten, riskieren, dass beim Tod des überlebenden Elternteils nicht mehr so viel Vermögen vorhanden ist.

Würde eine gerechte Regelung nicht so aussehen, dass nach dem Tod des zweiten Elternteils alle Kinder gleichgestellt sein sollten? Wer den Pflichtteil vorbezogen hat, kann ihn sich doch beim zweiten Erbfall anrechnen lassen und muss im Extremfall sogar etwas an die Geschwister zurückbezahlen.

Meistens erfolgen solche Verzichte nicht unentgeltlich. Die Kinder erhalten schon einen Abfindungsbetrag. Das ist sinnvoll, dann erhalten die Kinder Vermögen, wenn sie es brauchen, und nicht erst, wenn sie selber schon im vorgerückten Alter sind und es gar nicht mehr nötig haben.

Das Schweizer Recht: In einem Erbvertrag zwischen Eltern und Kindern kann man eine entsprechende Regelung treffen.

Wie ist denn die Anrechnung von Vorbezügen geregelt?

Das hängt sehr vom Einzelfall ab. Der Erblasser kann bestimmen, ob ein vorbezogenes Vermögen anzurechnen ist. Bestimmt er nichts, erfolgt keine Anrechnung.

Das Schweizer Recht: Nach ZGB Art. 527 unterliegen der Herabsetzung die Zuwendungen, die auf Anrechnung an den Erbteil ausgezahlt wurden. Nach Art. 626 ZGB besteht ausserdem unter gesetzlichen Erben die Ausgleichspflicht auf alles, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat. Unter Nachkommen gilt das, wenn der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt und damit ein Kind willentlich begünstigt hat. Unklar ist, ob Vorbezüge gegenüber einem Ehepartner anzurechnen sind, wenn sie vor der betreffenden Ehe bezogen wurden. Diese Frage wurde bisher nicht vom Bundesgericht geklärt, es besteht also eine Rechtslücke. Deswegen sollte man diese Frage im Erbvertrag oder Testament regeln.

Das bedeutet also, man muss die Anrechenbarkeit der Vorbezüge regeln, und zwar auch gegenüber allfälligen neuen Ehepartnern? Soll man es also in die Wiederverheiratungsklausel einbauen?

Die Wiederverheiratungsklauseln haben den Sinn, dass der überlebende Ehepartner seine starke Rechtsposition verlieren soll. Damit ändert man die Bestimmung, dass der überlebende Ehepartner Vorerbe und die Kinder Nacherben sind. Man setzt die Kinder dadurch wieder zu Erben des Vorverstorbenen ein.

Das nützt den Kindern aber dann nichts, wenn der überlebende Elternteil die Auszahlung verweigert. Nach dessen Tod fällt ja auch ein nicht abgesondertes Vermögen des Vorverstorbenen in die Erbmasse und der neue Ehepartner kann es blockieren. Was unternimmt man da?

Die Erbengemeinschaft führt tatsächlich zu Problemen. Man kann sie nicht auflösen, wenn nicht alle einverstanden sind. Damit sind die Erben geschützt, die nicht anwesend sein können, weil sie sich z.B. im Ausland aufhalten. Wenn eine Einigung nicht möglich ist, muss man eine Auseinandersetzungsklage einreichen. Man kann zwar alle Ansprüche geltend machen, die man gegenüber dem Erblasser hat und allenfalls Schadenersatz­ansprüche, aber dies führt nicht zur Auf­lösung der Erbengemeinschaft. In Deutschland gibt es in solchen Fällen zwei Erbengemeinschaften, eine, die Anspruchsteller ist und eine, die Anspruchsgegner ist. Trotzdem kann die Erbengemeinschaft erst aufgelöst werden, wenn man sich einig ist oder ein Gerichtsurteil vorliegt.

Das Schweizer Recht: Auch in der Schweiz muss die Erbengemeinschaft einstimmig entscheiden. Innerhalb eines Jahres nach dem Tod des Erblassers kann man die Herabsetzungs- und Erbteilungsklage einreichen.

Gibt es denn keine Vorstösse, um das endlich anders zu regeln, z.B. Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen? Diese Erbengemeinschaften haben doch in vielen Fällen schon Streit und Kummer verursacht.

Die Erbengemeinschaft ist geltendes Recht seit 1900 (im ZGB seit 1912) und seither unangetastet geblieben, obwohl es inzwischen einige Änderungen im Erbrecht gab. Die Gesetzgeber haben bisher keinen Bedarf gesehen, das zu ändern und auch keine Alternativen. Die Mehrheitsregelung könnte auch zu Missbräuchen führen. Für bestimmte Fälle gibt es die Möglichkeit der Notverwaltung. Das ist meiner Ansicht nach angemessen.

Aber eine professionelle Vermögensverwaltung, z.B. Verkauf von Aktien bei Kursverlust, ist doch so nicht möglich?

Das müsste wohl im Rahmen der normalen Verwaltung geschehen. Ein Erbe, der die Zustimmung verweigert, macht sich schadenersatzpflichtig. Normalerweise findet man da auch Lösungen.

Wie wäre es dann, wenn die Erbschaftsteile, für die die einzelnen Erben einen Nachweis erbringen, so rasch wie möglich ausgezahlt würden und man sich nur noch über den Rest einigen müsste?

Zuerst mal müssen die Verbindlichkeiten der Erbengemeinschaft geregelt und bezahlt werden. Dann würden sich viele Erben Filetstücke herausnehmen und hätten gar kein Interesse mehr, sich über den Rest zu einigen. Andernfalls wirkt der Wunsch, die Erbschaft zu bekommen, meistens motivierend.

Und wenn jemand blockiert, um die anderen zu schikanieren, z.B. ein Kind, das sich benachteiligt fühlt, blockiert das Familienunternehmen?

Dafür muss eine klare Nachfolgeregelung bestehen. Gibt es keine, bleibt den anderen Erben nur die Möglichkeit, Schadenersatz zu verlangen, wenn jemand blockiert.

Das Schweizer Recht: Gegen ungerechtfertigte Blockierung der Erbteilung kann man auch nach Schweizer Recht nicht viel machen, ausser der Erbteilungsklage.

Wie verhindert man, dass langjährige überlebende Ehepartner finanziell durch die Erbengemeinschaft blockiert werden, falls es Streit mit den Kindern gibt?

Es ist problematisch, die überlebenden Ehepartner in eine Erbengemeinschaft mit den Kindern zu zwingen. Dann sind diese praktisch nicht mehr handlungsfähig, wenn sie nicht über Einkünfte verfügen, die mit der Erbschaft nichts zu tun haben. Dieses Problem kann man mithilfe eines Testamentsvollstreckers begrenzen. Dies ist eine effiziente Möglichkeit, um die Erbteilung reibungslos zu organisieren. Dessen Befugnisse sind aber klar zu definieren.

Das Schweizer Recht: Nach ZGB 518 hat der Willensvollstrecker ziemlich weitgehende Befugnisse. Er hat die Rechte und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters und muss den Willen des Erblassers vertreten, die Schulden des Erblassers bezahlen und die Teilung durchführen.

Der Testamentsvollstrecker hat sehr weitreichende Kompetenzen. Wie geht man damit um?

Es ist richtig, dass sich das negativ auswirken kann, es kann aber auch positiv sein. Ein Testamentsvollstrecker kann die Auseinandersetzung zügig vornehmen, das ist der Vorteil. Er kann zum Beispiel nicht ausgezahlte Erbschaften aussondern. Nach BGB kann man die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil verlangen, wenn man mit einem Testamentsvollstrecker beschwert ist. Es ist nicht sehr bekannt, dass man in bestimmten Fällen die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil verlangen kann. Der Erbe kann wählen, das ganze Erbe mit Beschwerung oder den Pflichtteil ohne Beschwerung. Es gibt darüber ganz klare Regelungen, z.B. bei einer blossen Blockierung der Erbschaft ist die Ausschlagung nicht möglich.

Was soll man für die Unternehmen regeln?

Bei Personengesellschaften ist das sehr kompliziert, es hängt stark von der Rechtsform ab. Am besten fügt man Nachfolgeklauseln schon in den Gesellschaftsvertrag ein. Dafür ist die Zusammenarbeit mit Fachleuten dringend zu empfehlen. In der Praxis empfehlen wir qualifizierte Nachfolgeklauseln, bei denen nur ein Erbe in die Gesellschaft hineinkommt. So kann es keinen Streit mit anderen Erben um die Firma geben.

Wie verhindert man selber, dass sich im Fall von Demenz Erbschleicher das Vermögen aneignen, das man im gesunden Zustand den Angehörigen vermachen würde?

Da kann man nur raten, rechtzeitig ein Testament zu machen, das der Erbschleicherei vorbeugt. Allenfalls kann man eine gestaffelte Auszahlung vornehmen, so dass die Angehörigen alle paar Jahre einen Teil ihrer Erbschaft bekommen. Wenn ein Schenkungsvertrag schon vor dem Tod besteht bzw. die Angehörigen Vorbezüge auf die Erbschaft bekommen haben, wird der Erblasser uninteressant für Erbschleicher. Er kann ja dann nicht mehr selber über sein Vermögen verfügen. Beispielsweise kann man eine Immobilie den Kindern überschreiben und sich ein Wohnrecht vorbehalten, allenfalls auch das Recht, Teile davon zu vermieten. Dabei sind allerdings rechtliche Ausgleichsansprüche zu berücksichtigen, gegenüber Ehepartnern auch der Zugewinnanteil. Bei kurzen Ehen im Alter spielt dieser meistens keine Rolle.

Das Schweizer Recht: Nach ZGB Art. 623 und 527 müssen Schenkungen angerechnet werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Banken in einem Erbfall?

Die Banken verlangen häufig weitergehende Nachweise, als vorgeschrieben ist, z.B. eine Bankvollmacht. Das Gleiche gilt auch bei Sicherungsrechten wie Hypotheken, da nützen die Banken ihre Machtstellung aus. «

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