Recht

Steuern

Juristische Personen und die Kirchensteuer

Vor dem Hintergrund eines kürzlich ergangenen Entscheids des Bundesgerichts beleuchtet dieser Beitrag die Frage, ob ein Unternehmen die Kirchensteuer zu entrichten hat, auch wenn der hinter ihm stehende Aktionär ein überzeugter Kirchengegner ist, und ob der Aktionär selbst für seine Gesellschaft eine entsprechende Beschwerde erheben darf.
PDF Kaufen

Der Sachverhalt, den das Bundesgericht in seinem Urteil vom 27. August 2013 (2C_1158 / 2012) zu beurteilen hatte, präsentierte sich gekürzt wie folgt: Der im Kanton Thurgau wohnhafte Dr. W. X. hält 25 Prozent an der X. Holding AG, deren Präsident des Verwaltungsrates er ist. Dr. W. X. gehört keiner thurgauischen Landeskirche an. Die X. Holding AG hält verschiedene operativ tätige Gesellschaften im In- und Ausland, so nebst anderen zu je 100 Prozent die X. AG und die X. Management AG. Die X. AG hält zudem 100 Prozent an der Z. AG. Diese vier Gesellschaften haben alle ihren statutarischen Sitz im Kanton Thurgau. Der Sachverhalt lässt sich grafisch vereinfachend wie nachstehend darstellen (siehe Abb.).

Rechtsfragen

Im Frühjahr 2012 erhoben die vier Schweizer Gesellschaften Einsprache gegen die Schlussrechnungen 2010 für die Staats- und Gemeindesteuern (inkl. Kirchensteuern). Sie beantragten im Wesentlichen, die jeweilige Schlussrechnung sei aufzuheben und unter Abzug der Kirchensteuer erneut vorzunehmen. Weil die Einsprachen erfolglos waren, erhoben die vier Gesellschaften und neu Dr. W. X. Rekurs gegen die Einspracheentscheide. Weil auch dieses Verfahren erfolglos blieb, erhoben Dr. W. X. und die vier Gesellschaften schliesslich Beschwerde beim Bundesgericht, welches diese aber wiederum abwies. Das Bundesgericht hatte im Wesentlichen zwei Fragen zu beurteilen: Zum einen, ob die den Gesellschaften in Rechnung gestellte Kirchensteuer verfassungsmässig war, insbeson­dere unter dem Aspekt der Glaubens- und Gewissensfreiheit, und zum anderen, ob Dr. W. X. überhaupt berechtigt war, Beschwerde zu erheben (Frage der Legitimation).

Kirchensteuerpflicht bejaht

Die Frage, ob die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen verfassungsmässig ist, wurde dem Bundesgericht immer wieder vorgelegt und von diesem in mittlerweile mehr als 130-jähriger Praxis jedes Mal bejaht. Die Kritik an dieser Praxis ist beinahe so alt wie die Entscheide selbst. Eine Ausnahme gilt lediglich für juristische Personen, die religiöse Zwecke verfolgen. Diese müssen keine Kultussteuern für andere Religionsgemeinschaften entrichten. Das Bundesgericht ist der Auffassung, dass sich nur natürliche Personen auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen können, nicht aber juristische Personen. Diese Auffassung wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geteilt. Zudem will das Bundesgericht nicht ohne Not in die kirchensteuerliche Zuständigkeit der Kantone eingreifen, zumal die Kantone ihre Steuerhoheit, soweit sie nicht durch ausdrückliche Vorschriften der Bundesverfassung oder allgemeine grundrechtliche Vorgaben beschränkt ist, frei ausüben können.

Dagegen vorgebracht wird im Wesentlichen, dass die Bundesverfassung es verbiete, von juristischen Personen Steuern zu beziehen, die speziell für eigentliche Kultuszwecke bestimmt sind. Zudem wird auf den bundesgerichtlichen Zirkelschluss hingewiesen, juristischen Personen die Berufung auf das Grundrecht unter Hinweis auf den fehlenden Glauben zu versagen, ihnen aber eine Steuer aufzuerlegen, die sich nur aus der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft begründen lässt. Schliesslich würden die an (kleineren) juristischen Personen beteiligten Personen sich durch die indirekte Belastung mit Kirchensteuern für fremde Religionsgemeinschaften in ihrer religiösen Integrität verletzt fühlen (Höhn/Waldburger, Steuerrecht, Band I, 9. Aufl. 2002, S. 102 ff). Das Bundesgericht hat aber auch im vorliegenden Fall eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit unter Verweis auf seine früheren Urteile und die erwähnte Argumentation verneint. 

Die Gesellschaften rügten des Weiteren eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots, weil einerseits Einzel-/Personenunternehmen und juristische Personen sowie andererseits juristische Personen mit und solche ohne religiösen Zwecke hinsichtlich Kirchensteuern unterschiedlich behandelt würden. Auch dies liess das Bundesgericht nicht gelten. Es verweist darauf, dass bei der Beurteilung des steuerrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Aktionär und seiner Aktiengesellschaft vom Grundsatz der Gestaltungsfreiheit auszugehen sei, weshalb sich eine natürliche Person auf die von ihr gewählte Struktur behaften lassen müsse.

Schliesslich brachten die Gesellschaften vor, dass es sich bei thurgauischen Kirchensteuern um sog. Kostenanlastungssteuern handle und deren Erhebung eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots darstelle. Kostenanlastungssteuern sind Sondersteuern, die einer bestimmten Gruppe von Personen auferlegt werden, weil sie von bestimmten Aufwendungen des Gemeinwesens mehr profitieren als die übrigen Steuerpflichtigen. Auch diese Verletzung wird vom Bundesgericht verneint. Es verweist darauf, dass die Kirchensteuer im Kanton Thurgau an die Gebietshoheit anknüpft und daher alle juristischen Personen auf einem bestimmten Territorium erfasst, um den allgemeinen Finanzbedarf der Landeskirchen zu decken, weshalb es sich nicht um Kostenanlastungssteuern handle.

Das Bundesgericht hielt also seine über hundertjährige Praxis aufrecht. Kapitalgesellschaften sind und bleiben zur Bezahlung von Kirchensteuern verpflichtet, es sei denn sie würden selbständig religiöse Zwecke verfolgen.

Legitimation zur Beschwerde

Um Beschwerde vor Bundesgericht erheben zu können, muss eine Person drei Voraussetzungen erfüllen: Erstens muss sie am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten haben, zweitens muss sie durch den angefochtenen Entscheid persönlich betroffen (besonders berührt) sein und drittens muss sie ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids haben.

Dritte, d. h. Personen, die nicht Adres­saten der ursprünglichen Verfügung waren, können nur ausnahmsweise zur Beschwerde befugt sein. Und zwar, wenn sie selbst besonders berührt (d. h. stärker als jedermann sonst vom Entscheid betroffen) sind und wenn sie ein direktes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids haben, um einen materiellen oder ideellen Nachteil abzuwenden.

Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Unternehmer, der Allein- oder Mehrheitsaktionär ist, nicht bereits wegen des mit seiner Stellung verbundenen wirtschaftlichen Interesses berechtigt, einen Entscheid anzufechten, der die von ihm beherrschte Gesellschaft betrifft. Ein «bloss mittelbares, faktisches Interesse des Unternehmers» genügt daher nicht. Das Bundesgericht geht im vorliegenden Fall gar so weit, Aktionären als bloss mittelbar Betroffene generell die Legitimation zur Beschwerde zu verneinen, soweit es um Verfügungen geht, die ausschliesslich an die Kapitalgesellschaft adressiert sind. 

Im vorliegenden Fall war Dr. W. X. nicht Adressat der Schlussrechnungen. Die durch die Kirchensteuer zu erwartende Schmälerung des Ausschüttungssubstrats und Verminderung des Verkehrswertes der Beteiligung von Dr. W. X. betrifft ihn gemäss Bundesgericht nur mittelbar bzw. sein wirtschaftliches Interesse sei lediglich faktischer Natur. Auch seien die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der hinter einer Gesellschaft stehenden natürlichen Personen für die Besteuerung irrelevant. Das Bundesgericht hat daher Dr. W. X. die Befugnis abgesprochen, für «seine» Gesellschaft(en) Beschwerde zu erheben.

Fazit

Die Kritik an der bundesgerichtlichen Praxis zur Erhebung von Kirchensteuern von juristischen Personen ist unseres Erachtens gerechtfertigt. Dass ein nicht- oder andersgläubiger Unternehmer sich daran stört, über seine Gesellschaft Kirchensteuern für eine von ihm abgelehnte Institution bezahlen zu müssen, ist nachvollziehbar. Das ändert nichts daran, dass an der nun über 130-jährigen Praxis des Bundesgerichts offenbar nicht zu rütteln ist. Eine Praxisänderung wurde im Jahr 2000 vom Bundesgericht geprüft («Entscheid Model», BGE 126 /122, Erw. 5.), aber u. a. mit dem für Gerichtsentscheide doch überraschenden Hinweis auf «rechtspolitische Gesichtspunkte» abgelehnt. Sofern eine Gesellschaft nicht selber religiöse Zwecke verfolgt, ist und bleibt sie zur Zahlung der Kirchensteuer verpflichtet.

Auch das im Urteil zur Diskussion stehende Recht eines (Mehrheits-)Aktionärs, selber für seine Gesellschaft Beschwerde zu erheben, wurde abgelehnt. Dies einerseits, weil er in der Regel kein unmittelbares Interesse an der an die Gesellschaft gerichtete Verfügung haben dürfte. Andererseits gilt im Privat- wie im Steuerrecht grundsätzlich das Trennungsprinzip, wonach im Interesse des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit von der vollständigen recht­lichen und tatsächlichen Trennung zwischen der Gesellschaft und ihren Ge­sellschaftern auszugehen ist. Das heisst, es kann grundsätzlich nicht vom Gesellschafter auf die Gesellschaft «durchgegriffen» werden. Ein solcher «Durchgriff» wird nur selten und dann zugelassen, wenn die Verwendung der juristischen Person rechtsmissbräuchlich ist (Urteil des Bundesgerichts vom 26.04.2012, 2C_396 /2011, Erw. 4.2.). In der Terminologie des besprochenen Entscheids: «dem Aktionär [geht] generell die Legitimation zur Drittbeschwerde ‹pro AG› [ab].»

Porträt