Vor- und Nachteile
Im Folgenden wird aufgezeigt, was für Faktoren erwogen werden sollten, wenn man entscheiden muss, welches der beiden Systeme man nutzen möchte.
Sprachenregelungen
Im Gegensatz zum bekannten Bündelpatent in Europa, kann beim Einheitspatent auf Übersetzungen in nationale Landessprachen in absehbarerer Zukunft verzichtet werden, wodurch sich der administrative Aufwand für den Anmelder massgeblich verringert. Nach einer Übergangszeit wird das Einheitspatent somit mit nur einer einheitlichen Sprache veröffentlicht.
Europäische Patentanmeldungen können in jeder Sprache eingereicht werden, müssen aber innerhalb einer Frist in eine der bestehenden Amtssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch) des EPAs übersetzt werden. Bisher musste nach dem Abschluss des zentralen Prüfungsverfahrens am EPA das bereits bewehrte Bündelpatent, je nach Land in dem validiert werden soll, entweder vollständig oder zumindest die erteilten Patentansprüche in eine offizielle Landessprache übersetzt werden, sofern das ausgewählte Land dies vorschreibt.
Mit dem Einheitspatent wird die Anzahl der Übersetzungen verringert. Wurde die europäische Patentanmeldung in englischer Sprache eingereicht, dann ist nur noch eine Übersetzung des gesamten erteilten Patents in eine offizielle Landessprache der Europäischen Union vorzulegen. Alternativ dazu ist eine Übersetzung in englischer Sprache für das Einheitspatent vorzulegen, wenn die europäische Patentanmeldung in deutscher oder französischer Sprache veröffentlicht wurde.
Validierungsregelungen
Im Gegensatz zum bekannten Bündelpatent in Europa, wird beim Einheitspatent auf weitere Validierungsvorschriften verzichtet.
Das bisherige Bündelpatent muss nach der Erteilung in jenen Ländern validiert werden, in welchen man einen Patentschutz erlangen möchte. Neben der Bezahlung der Jahresgebühren und den Übersetzungsanforderungen, müssen in diversen Ländern nationale Vertreter bestellt werden (beispielsweise Grossbritannien, Österreich, Lettland oder Litauen).
Im neuen Einheitspatentsystem besteht kein nationaler Vertreterzwang. Die Validierung ist einfach und zentral handhabbar und ist im Einheitspatentregister einsehbar. Für Nicht-Mitgliedsstaaten muss aber weiterhin ein nationaler Vertreter bestellt werden (beispielsweise Grossbritannien oder Spanien). Das Einheitspatent umfasst immer alle Mitgliedsstaaten – eine Reduktion der Anzahl Länder zu einem späteren ist nicht möglich.
Kostenregelungen
Je nach Zielländer-Einheitspatentsystem sind die Kosten für die Aufrechterhaltung des Einheitspatents in den Mitgliedsstaaten tiefer.
Der Antrag für ein Einheitspatent beim EPA ist gebührenfrei. Neben dem Wegfall der Kosten für Übersetzungen der Patentanmeldung bzw. der Patentansprüche in Landessprachen, sind die Jahresgebühren des Einheitspatents als Pauschale berechnet. Wenn die Erfindung in vielen Ländern (Länderanzahl > 4) geschützt werden soll, ist der Gesamtbetrag tiefer, als wenn man für die Länder einzeln bezahlen müsste.
Beim Bündelpatent muss man für jedes validierte Land jährlich eine Jahresgebühr beim nationalen Patentamt entrichten. Beim Einheitspatent wird die Jahresgebühr für alle Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems zentral beim EPA zu entrichten sein.
Dabei muss aber beachtet werden, dass im Einheitspatent als Paket Länder dabei sind, die man unter Umständen bis anhin nicht gewählt hätte, während gewisse häufig gewählte Nicht-Mitglieder nach wie vor auf dem bekannten Weg separat validiert werden müssen. Die Kostenersparnisse heben sich daher auf für Anmelder, die regelmässig noch mindestens zwei der folgenden Länder auswählen: Schweiz, Grossbritannien, Spanien, Türkei oder Norwegen. Wie immer gilt es, am Einzelfall zu entscheiden und gemeinsam mit dem Patentanwalt die passende Strategie für das eigene Portfolio zu definieren.
Doppelpatentierbarkeit
Neben dem Einheitspatent sind in manchen Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems parallel auch nationale Patente mit gleichem Schutzumfang erlaubt.
Für das Einheitspatent entfällt in manchen Mitgliedsstaaten das Verbot des Doppelschutzes der gleichen Erfindung. Beispielsweise behält ein paralleles nationales Patent in Deutschland oder in Österreich bis auf Weiteres seine Wirkung.
Daher kann es sinnvoll sein, in Ländern mit grossem Marktpotenzial, wie beispielsweise Deutschland, parallel zur europäischen Patentanmeldung eine nationale deutsche Patentanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt einzureichen. Darüber hinaus kann eine Abzweigung von nationalen Gebrauchsmustern aus anhängigen europäischen Patentanmeldungen unter Umständen sinnvoll sein.
Chancen und Risiken
Das Einheitspatent wird kurzfristig die Komplexität des europäischen Patentsystems erhöhen, indem es eine weitere Wahlmöglichkeit einführt. Soll wie bisher auf nationale Validierungen gesetzt werden oder bringt das Einheitspatent für die 17 Mitgliedsstaaten den gewünschten Schutzbereich? Langfristig wird sich der administrative Aufwand für die Erlangung und Aufrechterhaltung eines EU-weiten Portfolios etwas verringern.
Für Anmelder, die allerdings Schutz in den Nicht-Mitgliedsstaaten (einschliesslich nicht EU-Staaten und den Erstreckungsstaaten des Bündelpatents) wünschen, wozu wichtige Länder wie Spanien, Grossbritannien, Norwegen, Türkei, Schweiz und Polen zählen, werden sich die Kostenvorteile aber in Grenzen halten.
Unseres Erachtens viel entscheidender als die administrativen Vereinfachungen wird die Rechtsprechung des Einheitspatentgerichtes über Erfolg- oder Nichterfolg des neuen EU-Patentsystems sein.
Wenn es dem Einheitspatentgericht gelingt, im Umfang des gesamten abgedeckten Territoriums qualitativ hochstehende Entscheide zu produzieren, welche für die Marktteilnehmer voraussehbare Ergebnisse liefern, kann das Einheitspatent ein mächtiges Werkzeug zur Sicherung eines Wettbewerbsvorteils im EU-Binnenmarkt sein.
Zusammenfassung
Das neue Einheitspatentsystem, umfassend das Einheitspatent (einem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung für zahlreiche teilnehmende EU-Staaten), wird am 1. Juni 2023 in Kraft treten. Neben einer möglichen Kostenreduktion und reduziertem Administrationsaufwand, aufgrund Einsparungen bei Übersetzungsanforderungen, nationalen Vertretern sowie Jahresgebühren, kann das neue Einheitspatent neue Möglichkeiten in der strategischen Ausrichtung der IP-Portfolio der Anmelder bieten. Wenn es dem Einheitspatentsystem gelingt, bei den Benutzern genügend Vertrauen aufzubauen, dürfte es in einigen Jahren eine starke Erweiterung der IP-Toolbox sein und auch von Schweizer KMU sinnvoll und kosteneffizient genutzt werden.