Recht

EU-Abkommen

Die Verhandlungen über institutionelle Fragen

Seit Dezember 2013 verfügt der Bundesrat über ein Mandat, um mit der Europäischen Union über institutionelle Fragen zu verhandeln. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die Schweiz ihre Interessen auch künftig am besten auf dem bilateralen Weg wahren kann, den man erneuern und ausbauen müsse. Ein Blick auf die aktuelle Lage.
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Ein neues Abkommen soll laut einer Information der Direktion für Europäische Angelegenheiten (DEA) vom Mai 2015 folgende Bereiche regeln:

  • Verfahren der Rechtsanpassung
  • Sicherstellung einer homogenen Rechtsauslegung
  • Überwachung, dass die bilateralen Abkommen korrekt angewendet werden
  • Streitbeilegung

Am 18. Dezember 2013 hat der Bundesrat nach Konsultation der aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments und der Kantone sowie nach Stellungnahmen der Wirtschafts- und Sozialpartner ein Verhandlungsmandat für ein neues Abkommen mit der EU verabschiedet. Im Mai 2014 erlangte der EU-Ministerrat ebenfalls ein Mandat, nachher begannen die Verhandlungen. Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssen das Parlament und gegebenenfalls das Volk das Abkommen genehmigen. Laut der Direktion für Europäische Angelegenheiten will man darauf verzichten, neue supranationale Institutionen zu schaffen. Die institutionelle Lösung gewährleiste eine einheitliche Anwendung des geltenden Rechts sowie die Unabhängigkeit der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied. Jede Partei überwacht auf ihrem Staatsgebiet und mit ihren Behörden die Umsetzung der Abkommen. Und der zuständige Gemischte Ausschuss übernimmt die allgemeine Aufsicht über die Anwendung der Abkommen.

Einheitliche Rechts-Auslegung

Eine automatische Übernahme des EU-Rechts ist nach Verhandlungsmandat nicht vorgesehen. Die Schweizer sollen weiterhin, unter Einhaltung sämtlicher nationaler Verfahren, zum Beispiel durch Referendum, darüber entscheiden, ob sie neues EU-Recht in ein bilaterales Abkommen integrieren. Auch soll die Schweiz ein weitgehendes Konsultations- und Mitwirkungsrecht bei der Ausarbeitung und Beratung von neuen EU-Rechtsakten erhalten, womit sie früh in die Arbeiten eingebunden wird. Schliesslich soll ein institutionelles Abkommen nicht das Ziel, den Zweck oder den Anwendungsbereich der bestehenden Abkommen zwischen der Schweiz und der EU verändern. Hingegen soll eine einheitliche Auslegung des EU-Rechts gewährleistet werden, zumindest soweit es die bilateralen Abkommen betrifft. Dabei sind völkerrechtliche Grundsätze und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) massgebend. Die Streitbeilegung soll in einem Gemischten Ausschuss erfolgen, wobei jede Partei aber auch den EuGH zur Auslegung einer Rechtsfrage anrufen kann. Der Bundesrat beschloss im September 2015, einen Chefunterhändler für alle Dossiers der Verhandlungen mit der EU einzusetzen. Staatssekretär de Watteville ist dafür verantwortlich, ein Gesamtergebnis zu erzielen, das den Zielsetzungen der bestehenden Mandate entspricht.

Schwierige Lösungsfindung

In einem Dokument des Europaparlamentes vom Oktober 2015 mit dem Titel «Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR), die Schweiz und der Norden» wird die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU beurteilt. Die 120 sektorspezifischen Abkommen hätten zu einer Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen beigetragen. Gleichzeitig sei ein kom-
plexes und bisweilen inkohärentes Netzwerk von Verpflichtungen entstanden, die nicht einfach einzuhalten sind. Es gäbe keine Mechanismen, um die Abkommen den Entwicklungen des EU-Rechts anzupassen und auch keinerlei Überwachungsmechanismen oder wirksame Streitbeilegungsverfahren.

Durch die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen sollen die Probleme aufgrund der Entwicklungen des Besitzstands der EU in Verbindung mit dem Binnenmarkt gelöst und ein Streitbeilegungssystem in das aktuelle bilaterale Vertragssystem eingeführt werden. Die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen sind nach Ansicht der Autoren von entscheidender Bedeutung. Der Rat der Europäischen Union ist entschlossen, der Schweiz ohne dieses keinen weiteren Zugang zum Binnenmarkt, zum Beispiel im Hinblick auf Elektrizität, zu gewähren. Seit Januar 2015 stagnieren die Verhandlungen aufgrund der Auswirkungen der durch die Frage der Freizügigkeit ausgelösten Krise.

Ein Hindernis für die Verhandlungen mit der EU bildet die Masseneinwanderungsinitiative. Laut Dokument weigert man sich in der EU entschieden, das Abkommen über die Personenfreizügigkeit neu auszuhandeln. Die SVP, die in dem EU-Dokument als «rechtspopulistisch und einwanderungsfeindlich» bezeichnet wird, wird nach Ansicht der Autoren die Regierung noch weiter unter Druck setzen, gegenüber der Europäischen Union unnachgiebig zu bleiben sowie die Abstimmung gegen Einwanderung umzusetzen. Im Weiteren sind die Autoren überzeugt, dass es schwieriger würde, eine Lösung für die Probleme in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zu finden, insbesondere im Hinblick auf die Personenfreizügigkeit, und eine institutionelle Einigung zu erzielen.

Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit ist mit den anderen Abkommen der Bilateralen I rechtlich über die sogenannte «Guillotine-Klausel» verknüpft. Sollte es innert dreier Jahre nicht möglich sein, eine Lösung zu finden, bei der die neuen Verfassungsbestimmungen mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbart werden, könnte die EU dieses kündigen. Dann würden auch alle anderen Abkommen der Bilateralen I innerhalb von sechs Monaten aufgelöst. Es fragt sich allerdings, ob die EU sich das leisten würde (siehe Kastentext über die wirtschaftlichen Beziehungen).

Ein mysteriöses Dokument

2014 wurde ein Dokument in der Sonntagszeitung publiziert, das die Zukunft der Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union beleuchten sollte. In der «Weltwoche» wurde es als «Dokument unbekannter Herkunft, aber offensichtlicher Gültigkeit» bezeichnet, «das in verdienstvoller Weise von der ‹Sonntagszeitung› publik gemacht wurde.» Der Inhalt stünde in jedem wichtigen Bereich in unversöhnlichem Widerspruch zu den schöngefärbten Verlautbarungen aus Bern. Auch mit intensiven Recherchen lässt sich das Dokument nicht mehr im Internet finden. Beispielsweise solle nach Meinung der EU-Vertreter die Rechtsübernahme durch die Schweiz automatisch, sogar rückwirkend erfolgen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll bei Streitigkeiten endgültige, bindende Urteile fällen, die von der Schweiz umgehend umgesetzt werden müssen. Weiter würde ein langfristiger, das heisst automatischer Finanzierungsmechanismus für den Kohäsionsfonds vereinbart.

Freihandelsabkommen

In Erfüllung eines Postulats von Ständerätin Karin Keller-Sutter hat der Bundesrat einen Bericht über die Möglichkeit eines umfassenden Freihandelsabkommens verfasst. Dieser wurde im Juni 2015 präsentiert. Das untersuchte Szenario eines «umfassenden Freihandelsabkommens» geht von Marktzugangserleichterungen aus, die man ohne Übernahme von EU-Recht und ohne vertraglich vereinbarte und überwachte Äquivalenz von Vorschriften durchführen kann, zum Beispiel der Zollabbau an der Grenze. Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass die bilateralen Abkommen die Interessen der Schweiz daher weit besser abdecken, als dies mit einem umfassenden Freihandelsabkommen je zu erreichen wäre. Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung mit den Nachbarstaaten habe die Schweiz in jedem Fall ein Interesse daran, eine gewisse Rechtsharmonisierung mit dem europäischen Umfeld sicherzustellen und unnötige Abweichungen zu vermeiden.

Wirtschaft wünscht Bilaterale

Nach Swissmem ist das oberste Ziel der MEM-Industrie die uneingeschränkte Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Die bestehenden bilateralen Abkommen sollen an Veränderungen des EU- sowie des Schweizer Rechts angepasst werden und es sei ständig zu prüfen, ob weitere Verträge in Betracht kommen, zum Beispiel Stromabkommen, Agrarfreihandelsabkommen. Ein EU-Rahmenabkommen erscheine aber derzeit nicht vordringlich.Das Ja des Volkes zur Masseneinwanderungsinitiative gilt es zu respektieren, meint man beim Kaufmännischen Verband und plädiert «dezidiert für die Beibehaltung der bilateralen Verträge mit der EU sowie für die Aufrechterhaltung des freien Personenverkehrs». In Bezug auf das Freizügigkeitsabkommen hat sich der Verband immer starkgemacht für griffige flankierende Massnahmen, die auch bestens funktionieren. Der Kaufmännische Verband vertraut auch künftig auf die Sozialpartnerschaft. Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB meinte man im Oktober 2015, dass der Entscheid des Bundesrates zur «Umsetzung» des Art. 121a BV «Masseneinwanderungsinitiative» für die Arbeitnehmenden in der Schweiz einige positive Elemente, aber auch Gefahren enthält. Positiv sei, dass der Bundesrat die Bilateralen erhalten und mit der Europäischen Union in erster Linie eine einvernehmliche Lösung suchen will. Denn für ein kleines Land sei es essenziell, mit dem wichtigsten Wirtschaftspartner EU geregelte Verhältnisse zu haben.

Volk gegen Rahmenabkommen

Im «EU-No»-Newsletter des Komitees gegen den schleichenden EU-Beitritt vom 7. Januar 2016 wurde eine im Auftrag der «Basler Zeitung» vom Institut marketagent.com durchgeführte Umfrage über ein Rahmenabkommen mit der EU vorgestellt. Die meisten Befragten äusserten sich skeptisch oder sogar ablehnend gegen ein Abkommen, das die automatische Übernahme des EU-Rechts vorsieht oder dem Europäischen Gerichtshof den endgültigen Entscheid über Meinungsverschiedenheiten zwischen Bern und Brüssel ohne den Einbezug von Schweizer Richtern überlässt. Am 21. August 1992 wurde die Unternehmer-Vereinigung gegen den EWR / EU-Beitritt gegründet. An der GV vom 16. April im Jahre 2010 wurde die Namensänderung zu Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt beschlossen. Heute hat die Unternehmer-Vereinigung über 1300 Mitglieder. «Mit der Wirtschaft in der Europäischen Union können wir Geschäfte machen, ohne unser politisches System aufzugeben», lautet das Motto.

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