Recht

Arbeitsrecht

Die Kehrseite des Kündigungsschutzes

In den vergangenen Monaten konnte man durch die Medienberichterstattung den Eindruck gewinnen, die Arbeitgeber würden plan- und rücksichtslos Kündigungen aussprechen. An dieser Stelle soll aus der Sicht der Arbeitgeber gesprochen und die Kehrseite des gesetzlichen Kündigungsschutzes beschrieben werden.
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Gleich in zwei Sendungen («Kassensturz» und «10 vor 10») hat das Schweizer Fernsehen im Mai die Kündigungsproblematiken thematisiert. Befeuert von einer publizierten Studie, welche ein Marktforschungs- und Coachingunternehmen durchgeführt hatte. Die Arbeitgeber kommen dabei schlecht weg. Die Vorgehensweisen bei Kündigungen seien schlecht, Gespräche würden zu spät geführt und Kündigungsgründe blieben häufig unklar. Und zu guter Letzt würde knapp die Hälfte aller Kündigungen vom Arbeitgeber aus Bequemlichkeit mit einer Freistellung verknüpft.

Berechtigte Zweifel

Nicht erwähnt wird, was der Arbeitgeber nach einer Kündigung oft erdulden muss. Wie Arbeitnehmer während der verbleibenden Kündigungsfrist kaum mehr arbeiten und plötzlich Anschuldigungen vorbringen mit dem Ziel, anwaltschaftlich vertreten, eine finanzielle Entschädigung erwirken zu können.

In der Beratungspraxis haben speziell in den letzten Jahren die Fälle stark zugenommen, in welchen nach einer Arbeitgeberkündigung die Mitarbeitenden einerseits die Kündigung anfechten und andererseits die Kündigungsfrist infolge einer geltend gemachten Krankheit erstrecken. Gegen ein Arztzeugnis kann man nichts machen, so die Meinung vieler Arbeitgeber. Nein, das stimmt so nicht, denn ein Arztzeugnis allein ist noch kein Beweis für eine Arbeitsunfähigkeit. Gibt es berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann man diese durchaus infrage stellen. Als Arbeitgeber muss man ein Arztzeugnis nicht akzeptieren. Will der Arbeitgeber aber die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit infrage stellen, sollte er schon einiges entgegenhalten können.  

Und plötzlich krank

Es ist schon auffallend, wie häufig Krankheitsfälle unmittelbar nach einer Kündigung auftreten. Dabei macht es keinen Unterschied, aus welchem Grund die Kündigung ausgesprochen wurde, ob schon früher mit dem Mitarbeitenden Gespräche geführt wurden oder ob es für diesen tatsächlich überraschend kam.

Wohlwissend, dass eine Kündigung jemanden durchaus aus der Bahn werfen und Sorgen bereiten kann, so muss man sich dennoch fragen, warum dies in den letzten Jahren fast immer zu einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führt. Ist es automatisch krankhaft, sich Sorgen zu machen? Oder ist jemand tatsächlich  krank, wenn er oder sie nach der Kündigung nicht mehr an den Arbeitsplatz zurückkehren will? Und hat eine durch eine Kündigung ausgelöste Unsicherheit wirklich immer eine mehrmonatige Arbeitsunfähigkeit zur Folge? Fragen, mit denen sich Mediziner ernsthaft befassen sollten.

Rücksicht auf Mitarbeitende

Allzu oft aber stellen sie ein Arztzeugnis aus, ohne sich bewusst zu machen, dass sie damit dem Arbeitgeber einen finanziellen Schaden verursachen und ihn zusätzlich vor eine organisatorische Herausforderung stellen. Viele Arbeitgeber erkennen durchaus, dass eine Weiterarbeit für den gekündigten Mitarbeitenden emotional schwierig sein kann, und bieten ihm daher eine Freistellung an. Eine solche Freistellung wird auch stets gerne entgegengenommen.

Mit der Mutmassung, eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Freistellung sei eine Demütigung des Mitarbeitenden, macht man den Bock zum Gärtner. Man verkennt dabei den Umstand, dass eine Freistellung häufig auch aus Rücksichtnahme auf den Mitarbeitenden erfolgt. So gibt es denn auch kaum Fälle, in welchen der Mitarbeitende eine angebotene Freistellung abgelehnt und ersucht hätte, während der Kündigungsfrist weiterhin zu arbeiten.

Erstaunt reagieren die Arbeitgeber, wenn sie trotz der Entbindung von der Arbeitspflicht vom Mitarbeitenden bald darauf ein Arztzeugnis erhalten und sich somit die Kündigungsfrist entsprechend verlängert. Viel Unverständnis entsteht, denn sie hatten die Freistellung ja als Entgegenkommen erachtet. Doch gerade durch die Distanz wird es für einen Mitarbeitenden viel einfacher, ein Arztzeugnis – auch wenn nur für drei Tage – einzureichen. Er muss seinem Vorgesetzten dabei ja nicht mehr in die Augen sehen, ein kurzes Infomail mit Anhang reicht völlig aus, um einen weiteren Monatslohn erhalten zu können.

Die Missbräuchlichkeit

Die viel beschworene Kündigungsfreiheit im Schweizer Arbeitsrecht ist politisch unter Beschuss. Und auch das Bundesgericht verlangt mehr als das Gesetz, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Dies führt dazu, dass fast jede Arbeitgeberkündigung postwendend durch einen Rechtsvertreter des Mitarbeitenden schriftlich angefochten wird, verbunden mit der zusätzlichen Forderung einer finanziellen Entschädigung infolge Missbräuchlichkeit. Um es dem Arbeitgeber leicht zu machen, quantifizieren viele Anwälte ihre Forderungen gleich schon mal – lange bevor überhaupt feststeht, ob es sich denn überhaupt um einen Tatbestand der missbräuchlichen Kündigung handelt.

Wie erwähnt, die Rechtsprechung hilft den Arbeitnehmenden dahingehend, dass die Hürden für eine Missbräuchlichkeit nicht mehr gleich hoch sind. Arbeitgeber tappen vor allem dann in die Falle, wenn sie überstürzt und ohne klare Grundangabe kündigen. Keine Lösung ist übrigens, jede Kündigung als wirtschaftlich bedingt zu taxieren. Das ist eine Vorgehensweise, die sich einige Unternehmen zu eigen gemacht haben, einerseits damit die Kündigung vermeintlich nicht angefochten werden kann und andererseits um dem Mitarbeitenden keine Steine in den Weg zu legen. Dieser «Pauschalkündigungsgrund» sollte aber wirklich nur dort angebracht werden, wo es auch tatsächlich stimmt.

Kein Freistellungsanspruch

Wie bereits beschrieben, eine Freistellung ist der freiwillige Verzicht des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung seines Mitarbeitenden. Es stellt kein Recht des Mitarbeitenden dar, dieser hat also keinen Anspruch auf Freistellung. Ob aus Unkenntnis oder aus Dreistigkeit heraus, fordern viele Mitarbeitende eine Freistellung nach der Kündigung. Nicht selten mit der Bemerkung verbunden: «Wenn ich nicht freigestellt werde, dann bring ich halt ein Arztzeugnis.» Selbst die Anwälte scheuen nicht davor zurück, stellvertretend für ihre Mandanten gegenüber dem Arbeitgeber solche Forderungen zu erheben.

Dass knapp die Hälfte der Arbeitgeberkündigungen mit einer Freistellung verbunden würden (so die erwähnte Studie), muss wohl relativiert werden. Zum einen kommt es sehr darauf an, um welche Positionen es sich bei den befragten Mitarbeitenden gehandelt hatte, denn je vertrauenswürdiger die Position, desto eher wird eine Freistellung vollzogen. Auf der anderen Seite wird nicht immer klar unterschieden zwischen einseitiger Freistellungserklärung durch den Arbeitgeber und zweiseitiger Aufhebungsvereinbarung mit verhandelter Freistellung.

Die Reaktion der Arbeitgeber

Um es vorab deutlich festzuhalten: Es gibt sie, die Mitarbeitenden, die in der Kündigungsfrist erkranken. Genau für sie hat der Gesetzgeber den Sperrfristenschutz verankert, mit dem Grundgedanken, der Mitarbeitende, welcher von einer Arbeitgeberkündigung überrascht wurde, soll seine ganze Kündigungsfrist Zeit für seine Stellensuche haben. Wenn die Arbeitsleistung infolge einer Krankheit oder eines Unfalls nicht erbracht werden kann, soll die gekündigte Person während dieser Zeit geschützt sein und sich die Kündigungsfrist deshalb erstrecken.

Der Sperrfristenschutz ist gut und richtig. Er wird aber von vielen Mitarbeitenden ausgenutzt, was einerseits zu einer härteren Gangart im Trennungsprozess zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt und andererseits erheblich zu den hohen Gesundheitskosten beiträgt, welche von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen. Diese Perversion des Sperrfristenschutzes führt dazu, dass Arbeitgeber nicht mehr jede Arbeitsunfähigkeit als gegeben hinnehmen. Sie werden künftig vermehrt vertrauensärztliche Untersuchungen durchführen lassen und erpresserische Forderungen des Mitarbeitenden als Indiz dafür werten, dass die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit keine sei oder wenn doch, dann lediglich eine rein arbeitsplatzbezogene – ohne entsprechenden Sperrfristenschutz.

Trennungskultur

Was ursprünglich im Bewerbungsprozess stattgefunden hat, nämlich die Annäherung der beiden künftigen Vertragspartner Arbeitgeber und Arbeitnehmender, geht leider oft vergessen. Damals hatten beide beschlossen, ein Arbeitsverhältnis miteinander einzugehen. Menschen und Unternehmen entwickeln sich und es gibt viele Gründe, warum die vielleicht einst so gut passende Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert und man sich deshalb trennen will. Diese Erkenntnis ist selten ein Spontaneinfall des Arbeitgebers, sondern ein länger dauernder Prozess, in welchem sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer bewusst wird, dass es über kurz oder lang zu einer Trennung kommen wird. Diesen Prozess sollte man bewusst machen und zunächst in Standortbestimmungen gemeinsam festhalten, was es denn braucht, damit die Zusammenarbeit weitergeführt werden kann. Diese Gespräche ebnen den Weg für eine gütliche Trennung, wenn sie denn unumgänglich wird. Vorausgesetzt allerdings, dass die Gespräche auf Augenhöhe geführt werden. Dominiert der Arbeitgeber zu stark, fühlt sich der Arbeitnehmende in der Defensive und genötigt, sich wehren zu müssen. Eine gute Trennungskultur macht es möglich, dass der Gekündigte seine Würde behalten und über die Art der Trennung mitreden kann.

Kann der Mitarbeitende mit einem guten Gefühl abschliessen, bleiben Racheakte aus und er kann sich voll auf seine Zukunft konzentrieren. Dazu braucht es aber Zeit und Gespräche. Deshalb sollten Kündigungsgespräche nicht erst am Monatsende und schon gar nicht vor einem Wochenende erfolgen. Allenfalls werden sie auch nicht mehr Kündigungsgespräche genannt, da dabei kaum eine zweiseitige Kommunikation stattfindet. Es sollte eher von einer Verhandlung über die Beendigung der weiteren Zusammenarbeit die Rede sein. Tatsächlich so gelebt, dient die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses allen Beteiligten gleichermassen.

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