Ist ein Arbeitnehmer an seinem vertraglich definierten Arbeitsplatz vorübergehend nicht einsetzbar, obwohl er eigentlich normal arbeiten könnte und auch sein Privatleben nicht stark eingeschränkt ist, liegt eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vor. Solche Konstellationen gab es schon immer; man denke an einen Sänger, der seinen Auftritt aufgrund einer starken Erkältung nicht wahrnehmen kann, oder an eine Mitarbeiterin im Lieferdienst, die aufgrund eines gebrochenen Beins keine Lieferungen ausführen kann.
Seit einigen Jahren treten Fälle von arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit aber vermehrt im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen auf, die mit erhöhter psychischer Belastung am Arbeitsplatz zusammenhängen, beispielsweise infolge von Mobbing, Konfliktsituationen oder auch Stress. Dem Arbeitgeber stellen sich in diesen Fällen insbesondere die Fragen, ob dem Arbeitnehmer andere Aufgaben übertragen werden können, ob ihm während der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit Lohn zu entrichten ist und wann dem Arbeitnehmer gekündigt werden darf. Diese Fragestellungen werden nachfolgend analysiert und mit einem Hinweis auf mögliche rechtliche Probleme beantwortet.
Übertragung anderer Aufgaben
Steht fest, dass es sich tatsächlich ausschliesslich um eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit handelt, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestützt auf das in Artikel 321d des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) festgehaltene Weisungsrecht sowie auf die Treuepflicht des Arbeitnehmers eine andere Aufgabe zuweisen, sofern im Betrieb eine vorhanden ist. Eine solche einseitige Zuweisung darf nur von vorübergehender Dauer und muss dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Dies ist nicht der Fall, wenn dadurch der Heilungsprozess des Arbeitnehmers verlangsamt oder verhindert wird.
Voraussetzung für die vorübergehende Zuweisung einer anderen Aufgabe innerhalb des Betriebs ist wie bereits erwähnt, dass tatsächlich eine ausschliesslich arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Ohne Arztzeugnis, das eine Arbeitsunfähigkeit explizit als arbeitsplatzbezogen ausweist, darf vom Arbeitgeber nicht angenommen werden, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich arbeitsplatzbezogen ist. In diesem Fall darf der Arbeitnehmer die Zuweisung einer anderen Aufgabe ohne negative Konsequenzen ablehnen. Kann der Arbeitgeber im Nachhinein nachweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich arbeitsplatzbezogen war, und hat der Arbeitnehmer die Ausführung einer ihm zugewiesenen zumutbaren Aufgabe abgelehnt, verliert der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch für die Dauer, während der ihm eine andere Aufgabe zugewiesen war, und der Arbeitgeber kann allenfalls Schadenersatz geltend machen. Aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Treuepflicht ist der Arbeitnehmer seinerseits verpflichtet, den Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit ihm die temporäre Ausführung anderer zumutbarer Aufgaben ermöglicht.
Anspruch auf Lohnfortzahlung
Ist ein Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen an der Arbeitsleistung verhindert, besteht nach Art. 324a OR während einer beschränkten Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Dies trifft jedoch nur zu, wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate gedauert hat oder für eine Dauer von mehr als drei Monaten abgeschlossen wurde. Massgebend für die Arbeitsverhinderung ist ausschliesslich, ob der Arbeitnehmer seine vertragliche Arbeitstätigkeit ausüben kann oder nicht. Demnach hat der Arbeitnehmer auch bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Es spielt dabei keine Rolle, ob der arbeitsunfähige Arbeitnehmer in seiner Lebensgestaltung ausserhalb des Arbeitsplatzes eingeschränkt ist oder nicht, ob er also zum Beispiel seinen üblichen Freizeitaktivitäten wie gewohnt nachgehen kann. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen gehört es sogar oft zu den Therapiemassnahmen, dass der Betroffene während des Heilungsprozesses lernt, seinen Alltag wieder zu bewältigen und Freizeitaktivitäten nachzugehen. Die strikte Bettruhe würde den Krankheitsverlauf in vielen Fällen verschlimmern.