In der Pause einer Konferenz berichtet die Führungskraft eines international aufgestellten mittelständischen Unternehmens von zu langen Projektlaufzeiten, nicht einhaltbaren Lieferzusagen und der allgegenwärtigen Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung, sodass man zusätzliche Aufträge angenommen habe, obwohl dafür eigentlich keine Kapazitäten vorhanden seien. Am Ende dieser dramatischen Zustandsbeschreibung hält die Gesprächspartnerin kurz inne, zuckt mit den Schultern und erklärt resigniert: «Aber momentan können wir daran nichts ändern. Denn es gibt gerade einen Wechsel im Vorstand.» Auch wenn der Handlungsdruck akut ist und man deshalb eigentlich keine Zeit verlieren darf, soll also erst einmal alles beim Alten bleiben? Dies mit der Begründung, dass man einen neuen Vorstand mit etwaigen Veränderungen doch nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen möchte.
Vermeintliche Zwickmühle
Einige Wochen später ergibt sich erneut ein interessantes Gespräch mit der Führungskraft eines kleineren Betriebes. Er erzählt, dass hoher Kostendruck und lokale Optimierungen dazu geführt hätten, dass eigentlich notwendige Investitionen «für morgen» eingespart würden. Mittelfristig sehe er dadurch sogar die Liquidität des Unternehmens gefährdet. Aber zu handeln, sei momentan unmöglich, da in zwei, drei Monaten ein neuer Geschäftsführer käme und man diesem keinesfalls vorgreifen dürfe.
Beide Führungskräfte erkennen die Probleme im Unternehmen, entscheiden aber auch, diese Probleme jetzt nicht zu lösen. Spürbar hadern sie mit der Situation und fühlen sich sichtlich in einer Zwickmühle, sprich «einer schwierigen, verzwickten Lage, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint» (zitiert nach Duden).
Ein gefährlicher Irrtum
Ein Vorstandswechsel steht an – in einigen Monaten. Die Selektionsphase für den vakanten Posten im Topmanagement hat gerade erst begonnen. Oder die neue Geschäftsführung ist noch in
der Einarbeitungs-/Orientierungsphase. Entscheidungen werden in die Zukunft verschoben, weil ein Wechsel in den Schlüsselpositionen ansteht. Dass hier so vorgegangen wird, erfolgt in allerbester Absicht, zum Beispiel um der neuen Führungspersönlichkeit einen guten Einstieg zu ermöglichen, der neuen Führungspersönlichkeit nicht vorzugreifen, sie nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen oder sich selbst zu schützen, das heisst, vor möglichen ungünstigen Auswirkungen von Entscheidungen, die dann von der neuen Führungskraft kritisiert und gegebenenfalls sogar sanktioniert werden könnten.
Alles soll so bleiben, wie es ist, bis zum Zeitpunkt X. Die Organisation, das Unternehmen soll auf Basis bereits getroffener Entscheidungen auf Kurs bleiben, sicher und stabil im Tagesgeschäft weiterfunktionieren. Kurzum: Man möchte den Status quo einfach konservieren. Eine Wunschvorstellung. Und ein gefährlicher Irrtum. Einerseits ist das Erhalten von Stabilität ein wichtiges Unternehmensziel, denn ein instabiles Unternehmen hat nur geringe Chancen auf langfristigen Erfolg.
Um allerdings langfristig stabil zu bleiben, muss ein Unternehmen den Fokus vor allem in die Zukunft richten können. Denn Veränderung findet permanent statt – und das mit einer ständig zunehmenden Dynamik, in der sich Märkte oder auch Kundenbedürfnisse wandeln und Produktlebenszyklen verkürzen. Veränderung ist für Unternehmen deshalb Alltag und es ist überlebenswichtig, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und dafür auch notwendige Entscheidungen jederzeit herbeiführen zu können.
Fehler der Unterlassung
Stabilität sichern, das Unternehmen auf Kurs halten, Risiken vermeiden. Vor lauter guten Absichten («Man will niemanden vor vollendete Tatsachen stellen beziehungsweise niemandem vorgreifen») müsste man sich vor allem fragen: Sind die Auswirkungen dieser Entscheidung tatsächlich die gewünschten? Dr. Alan Barnard, international führender TOC-Experte, unterscheidet zwischen Fehlern der Handlung (das Falsche tun oder das Richtige falsch tun) und der Unterlassung (das Richtige nicht tun).
Die Angst zu scheitern verleitet Menschen dazu, lieber nichts zu unternehmen als das Falsche. Dabei kann ein «Fehler der Unterlassung» oft ebenso grosse negative Folgen haben, durch verpasste Gelegenheiten etwa oder dadurch, dass ein Problem nicht beseitigt wird. Gute Absichten und potenziell ungünstige Auswirkungen liegen also eng zusammen. Denn mit dem «Warten» und den damit verbundenen guten Absichten können zugleich auch folgende negative Konsequenzen verbunden sein:
Die neue Geschäftsführung/Führungskraft trifft in der Regel erst einige Monate nach ihrem Eintritt grundlegende Veränderungsentscheidungen. Erst wenn eine Entscheidung getroffen und umgesetzt ist, kann sie ihre Wirkung für das Unternehmen entfalten. Auf die neue Führungsperson zu warten, verzögert den Eintritt der Wirkung also um mehrere Monate. Das kann dramatische Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit (das Image, den Gewinn …) des Unternehmens haben und damit auch die neue Führungskraft erheblich beeinträchtigen.