Mensch & Arbeit

Arbeitspsychologie II

Zukunftsmut und Flexibilität gehören zum Mitarbeiterprofil

Damit Unternehmen in einer Zeit, in der der Wandel zur Normalität wird, mithalten können, benötigen sie Menschen im Hause, die sich den Gegebenheiten schnell anpassen, mit neuen Ideen aufwarten und diese auch in die Tat umsetzen. Hierzu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Mitarbeitenden in den Fokus nehmen und stärken.
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Unternehmen müssen innovativ sein, um zu überleben. Das zeigt sich immer wieder in der Transformation und aktuell in der Corona-Krise einmal mehr. Wichtig dabei: Mitarbeiter mit Ideen an Bord zu haben. Doch Ideen zu haben, ist das eine. Diese Impulse dann auch konsequent zu verfolgen und tatsächlich umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. Und genau daran hakt es oftmals, wie wissenschaftliche Studien zeigen: Auch wenn Menschen und Unternehmen Innovationen wollen, lehnen sie diese zugleich ab, weil sie die bestehende Ordnung bedrohen.

Das «psychologische Kapital»

Was also müssen wir in Zukunft tun, damit Ideen umgesetzt werden? Wie kann man eine Brücke über den Graben bauen, der die Idee von der Umsetzung trennt? Die Antwort liegt im Zukunftsmut – jene Eigenschaft, die Menschen laut wirtschaftspsychologischer Forschung leistungsfähiger, kreativer und eben inno­vativer macht. 

In einer gemeinsamen Studie mit Dr. Thea Zander-Schellenberg habe ich heraus­gefunden, dass Zukunftsmut die Unterschiede im Innovationsverhalten von Menschen zu 76 Prozent erklärt. Zukunftsmut steht für das Konstrukt des psychologischen Kapitals. Dieses wie­derum umfasst vier Eigenschaften, die sich gegenseitig stärken: Zuversicht, Widerstandskraft, Selbstwirksamkeit und Optimismus. Wollen Unternehmen zukunftsfähig werden beziehungsweise bleiben, sollten sie ver­suchen, diese Eigenschaften bei ihren Mitarbeitenden zu fördern. 

Förderung von Zuversicht

Mit Zuversicht ist weniger Hoffnung als das Vertrauen auf mehrere, zielführende Optionen gemeint. Im Grunde geht es darum, lösungsorientiert zu arbeiten – angetrieben von der Überzeugung, dass immer mehrere Wege zum Ziel führen, dem Denken in Alternativen und dem Willen, diese alternativen Wege auch zu beschreiten.

Damit die Mitarbeitenden Zuversicht entwickeln, sollten Führungskräfte nicht nur Ziele (samt Unterzielen) mit diesen vereinbaren. Wichtig ist vor allem auch, dem Team von Anfang an den Auftrag zu geben, verschiedene Wege parallel zu bedenken. Auch tun sie gut daran, bereits in einem frühen Stadium Strategien mitdenken zu lassen, die helfen, mögliche Hindernisse bei der Zielverfolgung zu überwinden. Das schliesst das Bedenken der für die Lösung notwendigen Res­sourcen mit ein. Nur wenn die Teams diese klar benennen können, wissen sie, welche Lösungswege tatsächlich machbar sind.

Förderung von Widerstandskraft

Es kann durchaus sein, dass der Weg, den man gewählt hat, der Holzweg ist – dass man auf Widrigkeiten stösst, es Konflikte gibt und/oder man Misserfolge in Kauf nehmen muss. Um dies alles schnell wieder abzuschütteln und sich von dem Erlebten zu erholen, brauchen wir Widerstandskraft. Wer widerstandsfähig ist, sieht Herausforderungen grundsätzlich als vorübergehend an und weiss, dass man sie bewältigen kann. Das führt unter anderem dazu, in Stresssituationen länger durchzuhalten, und macht uns gleichzeitig gelassener und kreativer beim Lösen von Herausforderungen. 

Widerstandskraft im Alltag entsteht durch Emotionsmanagement. Diejenigen unter uns, die mit den unschönen Gefühlen, die mit Niederlagen und Konflikten einhergehen, umgehen können, sind die Widerstandsfähigen. Dazu gehört auch, die Niederlage als Lernvorlage zu nehmen und nutzenbringende Erkenntnis aus dem Unangenehmen herauszulösen. 

Führungskräfte können die Widerstands­fähigkeit ihrer Mitarbeiter erhöhen, indem sie gezielt diese nutzenorientierte Bewertung von Rückschlägen und anderen Widrigkeiten vorleben. Ein zentraler Wirkhebel, der in diesem Zusammenhang sehr unterschätzt wird, ist die Möglichkeit der Führungskraft, für eine stärkere Vernetzung der Mitarbeiter untereinander zu sorgen und so Widerstandsfähigkeit durch ein aktives, soziales Netz aufzufangen.

Förderung von Selbstwirksamkeit

Es ist immer wieder bemerkenswert, zu sehen, dass Menschen mit viel Hingabe aufzählen können, was sie alles nicht können, und wie selten sie sich ihrer tatsächlichen Fähigkeiten bewusst sind. Mehr Selbstwirksamkeit bedeutet aber, dass wir nicht nur wissen, dass wir etwas können, sondern auch davon überzeugt sind, dieses Können einsetzen zu können. Die Konsequenz: Wir halten länger durch.

Den laut dem Psychologen Albert Bandura grössten Einfluss auf die Selbstwirksamkeit haben die eigenen Erfolgs-Erfahrungen. Sie sind der Beleg dafür, dass wir das Recht haben, zu denken: «I have got what it takes!» Die zweite grosse Quelle für mehr Selbstwirksamkeit: andere Menschen. Da kommen die Führungskräfte wieder ins Spiel. 

Bereits in den 1990er- Jahren verdichtete Dov Eden, Professor für Corporate Leadership an der Coller School of Management in Tel Aviv, deren Anteile an der Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden auf eine Frage: «Wie oft habe ich meinem Mitarbeite gesagt, dass ich davon überzeugt bin, dass er die notwenigen Skills besitzt, um erfolgreich zu sein?»

Diese sogenannte verbale Persuasion ist eine Goldmine. Wenn Teamleiter positive Erwartungen über die Leistungsfähigkeit der Teammitglieder haben und zum Beispiel davon überzeugt sind, dass diese ein herausforderndes Problem lösen können, steigt die Leistung der Teammitglieder nachweislich an.

Aber auch die Beobachtung von Erfolgen anderer ist sehr hilfreich – insofern sie relevant für die eigenen Ziele sind. In einer uns unbekannten Situation sollten wir also fragen: «Wer ist diesen Lösungsweg bereits vor uns gegangen? Was hat derjenige gemacht und wie erfolgreich war es?» 

Meine Empfehlung ist, sich Impulse in Form des «Lunch & Learn»-Ansatzes ins Haus zu holen: Das heisst, im lockeren Rahmen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden – also das Mittagessen mit Wissenstransfer –, ein bestimmtes Thema in den Mittelpunkt stellen und hierzu Redner aus anderen Branchen einladen, die aus ihrer Perspektive dieses Thema beleuchten. 

Nur eines sollten Sie anders machen als die anderen: Stimmen Sie mit dem Learn-Impulsgeber nicht nur das Thema ab, sammeln Sie im Vorfeld bereits beim Team, was es gerne von diesem Menschen wissen möchte. Nur so kann gesichert werden, dass der eingeladene Referent auch das vermittelt, was den Zuhörern wichtig ist.

Förderung von Optimismus

Vorweg: Es geht nicht um Gute-Laune-Attacken oder eine Haltung wie «Alles wird gut». Es geht auch nicht um halbvolle oder halbleere Gläser, sondern um eine ganz bestimmte Erklärungsart – eine Art individuelles Erwartungsmanagement. 

Das wirkt laut dem Psychologen Martin Seligman in zwei Richtungen: Menschen nutzen es, um Vergangenes zu erklären und um zukünftige Handlungserfolge einzuschätzen. Entscheidend ist dabei, dass sie sich selbst als eine belegbare Quelle ihrer Erfolge ansehen und weniger die Umstände oder den Zufall. 

Eine Studie von Kenneth W. Green und Kollegen von 2004 zeigt, dass CEOs, Geschäftsführer wie auch Menschen der mittleren Führungsebene und angestellte Mitarbeitende andere leistungsmässig weit hinter sich lassen, wenn sie mit einem solchen Optimismus ausgestattet sind. 

Wie sich das letztlich in der Praxis auswirken kann, verdeutlicht das Beispiel der amerikanischen Versicherung Met Life, die eine Optimismus-Skala in ihren Bewerbungsprozess eingebunden hat. Das Unternehmen konnte damit erkennen, dass die optimistischen Mitarbeitenden 21 Prozent mehr Lebensversicherungen verkauften als die weniger optimistischen Kollegen. 

Gesichert ist auch, dass Führungskräfte in der Lage sind, den erlernten Optimismus ihrer Mitarbeitenden weiter zu steigern, wenn sie ihnen helfen, Misserfolge adäquat zu verarbeiten. Sie richten den Fokus dann auf die Stärken der jeweiligen Person, erinnern an die Erfolge in Vergangenheit und Gegenwart und bieten plausible Erklärungen für die Verarbeitung des Erlebten an.

Ständige Neuausrichtung 

Wer Zukunftsmut fördert – also sowohl Zuversicht als auch Widerstandskraft, Selbstwirksamkeit und realistischen Optimismus – steigert im Übrigen nicht nur das Innovationsverhalten im Unternehmen, sondern auch Arbeitszufriedenheit sowie Veränderungsbereitschaft und die flexible Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Situationen. 

Letzteres ist von besonderer Bedeutung. Denn hat unser traditionelles Denken uns in der Vergangenheit noch gezwungen, in Beständigkeit und der Aufrechterhaltung von Routinen zu denken, sind Stabilität und Beständigkeit in unserer heutigen und erst recht in der zukünftigen Arbeitswelt eher die Ausnahme. Permanentes Neuausrichten wird stattdessen zur Normalität, Mitarbeitende müssen sozusagen superflexibel werden.

Superflexibel zu werden – das hört sich erst einmal recht übertrieben oder gar  unrealistisch an. Tatsächlich ist Superflexibilität ein in der Organisations-Psychologie erforschtes Konstrukt vor dem Hintergrund der Frage, wie Unternehmen in volatilen Märkten agieren sollten. Es ist somit also nicht nur für den Einzelnen wichtig.

 Da Superflexibilität die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Individuums in dynamischen, sich verändernden und unsicheren Arbeitssituationen erhöht, wird sie auf dieser Ebene entscheidend für das Überleben der Organisation. Man könnte sagen: Die Superflexibilität der Menschen sagt die Zukunftsfitness des Unternehmens voraus. 

Die «Superflexibility»

Doch was macht individuelle Superflexibilität aus? Wenig überraschend, unser Denken: Wie schon angedeutet, enthält Superflexibilität Komponenten von Zukunftsmut. So spielt auch hier eine Rolle, wie sehr wir in Alternativen denken können (Zuversicht). Wichtig ist zudem, wie sehr wir davon überzeugt sind, die Fähigkeiten zu besitzen, die wir für den Umgang mit Veränderung und Dynamik brauchen (Selbstwirksamkeit). Hinzu kommen «Kontrollüberzeugungen», das heisst, wie sehr wir davon überzeugt sind, das Wissen darüber zu haben, dass wir diejenigen sind, die eine Situation beeinflussen. 

Doch ohne Fühlen, kein Denken. Studien zeigen deutlich, dass sich Menschen in positiver Grundstimmung viel leichter mit der Reaktion auf Veränderungen tun. Nun sind wir als Spezies nicht mit einer Gute-Laune-Flatrate ausgestattet. Folgerichtig zählt hier die Fähigkeit, seine Gefühle zu managen, zu regulieren und zu steuern. Und schliesslich spielt das Verhalten bei Superflexibilität eine Rolle: Nehmen wir die Herausforderungen einer Veränderung an oder verfallen wir eher in eine stabile Duldungsstarre? 

Superflexible Menschen bleiben dran, wenn sich die Aufgabenstellung ändert. Sie hängen bei neuen Prozessen nicht an alten Routinen fest, und sie finden sich schnell in neuen Arbeitsrollen zurecht. Doch die wenigsten Menschen sind so gepolt. Sie brauchen eine Organisation, die ihnen hilft, sich dieser Fähigkeiten zu bemächtigen.

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