Die Digitalisierung begleitet uns schon seit geraumer Zeit und wird auch zukünftig in allen Bereichen und Branchen eine wichtige Rolle spielen. Wenn es uns der eine oder andere auch immer noch weismachen will – sie ist weder Allheilmittel noch Jobkiller. Der Wandel ist einfach da. Punkt! Und je eher wir ihn weder als Fluch noch als Segen betrachten, sondern als Tatsache, können wir es gemeinsam schaffen, die Herausforderung nicht nur auf technischer Ebene zu lösen, sondern vor allem uns als Menschen dabei nicht zu verlieren.
Agilität ist nicht alles
Bevor wir uns den sogenannten «neuen» Strömungen Lean Management, Scrum, Design Thinking oder Canvas hingeben, ist es viel wichtiger und vor allem notwendig, sich erst einmal zu fragen: Was ist meine Aufgabe? Welche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erwarten mich in den vorhandenen Strukturen? Mit welchen chaotischen Systemen, beispielsweise in Change-Prozessen, muss ich rechnen? Erst dann können wir entscheiden, welche Probleme wir mit Best Practice lösen können und was wir notwendigerweise mit Trial and Error angehen müssen. Das Toolset ist ebenso vielfältig wie unsere Welt – und in Richtung Zukunft geht es einzig und allein darum, den jeweils passenden Weg zu finden.
Systeme und Strukturen
Viele Unternehmen haben es bereits erkannt und zahlreiche Führungskräfte wissen es längst: Agilität ist nicht die Antwort auf alles. Bereits 1999 hat der walisische Forscher auf dem Gebiet des Wissensmanagements Dave Snowden das sogenannte Cynefin-Framework entwickelt. Im Jahr 2002 zum allgemeinen Strategie-Modell geworden, beschreibt es vier unterschiedliche Systeme beziehungsweise Strukturen, in denen wir leben. Das gilt heute mindestens genauso, wenn nicht noch mehr. Wir können für eine erfolgreiche Zukunft – vor allem, wenn wir es adaptieren auf die fortschreitende Digitalisierung – also nur davon lernen.
Geordnete Strukturen
Der stetige Wandel begleitet uns. Zum Glück gibt es aber nach wie vor Strukturen, die uns in diesem Change zumindest ein Stück weit Sicherheit vermitteln: die sogenannten geordneten Strukturen, in denen es klare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt. Wenn ich einen Stift in der Hand halte und die Hand öffne, dann wird der Stift zu Boden fallen. Und jedes Mal, wenn ich wieder irgendetwas in die Hand nehme und meine Hand öffne, wird auch dieser Gegenstand zu Boden fallen. Warum? Das ist Physik.
Das Gravitationsgesetz besagt, dass Dinge vom Erdkern angezogen werden. Wir haben also eine klare Ursache-Wirkung: Ich öffne meine Hand, verliere damit die Kraft, die dazu nötig ist, den Stift zu halten, und egal was ich in der Hand halte, es fällt zu Boden. Das Schöne daran ist: Wir können vorausschauend denken, weil wir wissen: Auf A folgt B.
In geordneten Systemen, beispielsweise in der Fliessbandarbeit oder im Controlling, in denen es darum geht, Funktionalitäten zu berücksichtigen und Zahlen zu entwickeln, ist es sehr gut, Best-Practice-Erfahrungen zu teilen. Es reicht sozusagen, für jedes Problem einmal eine richtige Lösung zu erarbeiten. Umso mehr macht es allerdings Sinn, mit ganz viel Sorgfalt eine wohlüberlegte und gute Auswahl zu treffen, um letztendlich das Richtige zu tun und die beste Vorgehensweise herauszufinden. Denn wenn ich sie einmal gefunden habe, kann ich sie beliebig oft reproduzieren. Wir bewegen uns in Systemen, in denen Best-Practice-Ansätze extrem hilfreich und valide sind und unbedingt auch eingesetzt werden sollten.
Geordnete Systeme
Neben einfachen geordneten Strukturen, gibt es deutlich kompliziertere geordnete Systeme, die sich üblicherweise auseinander- und wieder zusammenbauen lassen. Nehmen wir beispielsweise ein Auto. Verliert dieses offensichtlich Öl, ist also zumindest ein dunkler Fleck darunter zu sehen, und wir würden das gleiche Auto in fünf verschiedene Werkstätten bringen, kann es passieren, dass wir fünf komplett unterschiedliche Rechnungen bekommen, weil jede Werkstatt völlig andere Arbeiten verrichtet hat. Der Erste wird vielleicht nur das Öl auffüllen, der Zweite vielleicht nach der Dichtung gucken, der Dritte wechselt vielleicht das ganze System aus und der Vierte sagt: «In dem Zustand ist das Auto Schrott. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: verkaufen oder den Motor auswechseln.» Und der Fünfte merkt vielleicht, dass der besagte Ölfleck gar nicht von diesem Auto stammt oder es vielleicht eine ganz andere Flüssigkeit war.
Was heisst das nun für uns Menschen in der digitalen Welt? Bei diesen komplizierten Systemen habe ich zwar immer noch klare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, aufgrund der teilweise be-reits bestehenden Komplexität muss ich aber Experten heranziehen. Auf die Wirtschaft übertragen, schauen wir ebenfalls erst einmal selbst, was passiert, und holen dann Experten dazu, um einen Prozess zu verbessern, um ein Controlling-System einzuführen, um eine neue Software zu integrieren, um … Bestenfalls kommen alle immer zu der gleichen Lösung, schlimmstenfalls haben wir am Ende abweichende Lösungen, es gibt aber immerhin mehrere Good-Practice-Ansätze.
Komplexe Systeme
Einen weiteren Bereich bilden die komplexen Systeme. Da folgt zwar auch auf A logischerweise B, aber die Strukturen sind so verschachtelt und teilweise so unbekannt, dass wir die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nur in der Rückschau erklären können – sie sind aber nicht vorhersagbar. Beispiele dafür sind die Entwicklung von Medizin oder das Wetter, das uns gerade aufgrund der extremen Entwicklungen in der heutigen Zeit vor Rätsel stellt. Warum gibt es einen Sandsturm hier, warum entsteht ein Wirbelsturm da? Wann gibt es einen Tsunami, warum genau da und wo löst er sich wieder auf beziehungsweise warum ausgerechnet dort? Natürlich lassen sich solche Vorgänge im Labor in kleinen Versuchsanordnungen nachstellen und wir können auch daraus lernen – was tatsächlich beim nächsten Mal in der Realität passiert, ist allerdings auch danach nicht vorhersehbar. Wir können rückblickend erklären, warum sich ein Tsunami aufgebaut hat, aber wir können nicht voraussagen, dass es am Tag X an Ort Y zu einem Tsunami kommen wird. Weil die Menge der Einflussfaktoren zu gross und zu unbekannt ist.