Mensch & Arbeit

Mitarbeiterentwicklung

Wie Selbstverantwortung und Verbindlichkeit entstehen

«Codes of Conduct», Leitbilder sowie Führungsgrundsätze sind oft unpräzise, oberflächlich und schwammig. Weil damit die Rahmenbedingungen und die geforderten Haltungen nicht klar ausgesprochen werden, kann auch keine Identifikation entstehen.
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Vorgesetzte schützen sich mit Unverbindlichkeiten im Ausdruck, um nicht an der eigenen Inkonsequenz ihrer Ansprüche gemessen zu werden. Verbindlichkeit wirkungsvoll einzufordern, heisst auch, sich über Konsequenzen und Sanktionen im Klaren zu sein. In jeder Auftragserteilung sollte zudem der Sinn und Zweck bekannt sein, damit die Konsequenzen oder sogar Sanktionen festgelegt werden können. In der Klarheit der gegenseitigen Erwartungshaltung darf Selbstverantwortung eingefordert werden.

Die Gewohnheit, mit Aufgabenstellungen auf diese Weise umzugehen, zeugt von Ernsthaftigkeit gegenüber Mitarbeitenden und ihrem Verantwortungsbewusstsein. Vom jeweiligen Vorgesetzten erfordert das Gewissenhaftigkeit, Zeit, Geduld und konsequente Begleitung – es sind Führungseigenschaften, die weder gekauft noch gelernt werden können.

Identität verleiht Sicherheit

Erfährt der Mitarbeitende vom Vorgesetzten Aufmerksamkeit, Respekt sowie Verbindlichkeit, gelangt er in eine moralische Verpflichtung gegenüber sich selbst und durch das ihm entgegengebrachte Vertrauen. So beginnt Selbstverantwortung zu entstehen. Ein massgebender Antreiber, Selbstverantwortung ausüben zu wollen, ist der gegenseitige Umgang. Ist er von Anstand geprägt, wird die Bereitschaft geweckt, das entgegengebrachte Wohlwollen zurückzugeben. Als Anstand wird ein als selbstverständlich empfundener Massstab für ethisch-moralischen Anspruch und Erwartung an gutes oder richtiges Verhalten bezeichnet. Anstand bestimmt die Umgangsformen und die Lebensart. Dies liegt jedoch in der Selbstverantwortung und kann nicht auf andere Personen übertragen werden. So entsteht Verbindlichkeit.

Selbstverantwortung und Verbindlichkeiten sind wiederum mit Gewohnheiten verknüpft, deren Handlungen und Sprache von Anstand begleitet sind. Oft sind sie auch mit sich wiederholenden, zweckdienlichen Ritualen verbunden. Rituale sind in sozialen, partnerschaftlichen und familiären Beziehungen von grosser Bedeutung, fördern und stabilisieren Bindungen, Gemeinsamkeiten, Harmonie, Kommunikation und Intimität. Mit ihrer Hilfe können Ordnungen wiederhergestellt werden, wo sie nicht mehr als Struktur vorhanden sind. Scheinen die Rituale für die Beteiligten nachvollziehbar und sinnvoll sowie machbar, wird eine gemeinsame Wertehaltung eingenommen. So entsteht Identität.

Identität respektive Identifikation ist die wichtigste Mitarbeiterbindung. Identität steht für die «Echtheit» einer Person oder einer Sache und dafür, mit anderen oder mit einer Sache (zum Beispiel einer Meinung oder einer politischen Bewegung) übereinzustimmen. Kann oder will sich eine Person nicht mehr weiter mit seinen Gruppen identifizieren, wird sie physisch sowie psychisch bewusst oder unbewusst isoliert.

Keine Bindungen ohne Rituale

Die Wirkungen von Ritualen werden oftmals unterschätzt, weil sie nicht bewusst durchgeführt werden. Sie können Bindungen stärken, Identifikationen auslösen sowie Versprechen einlösen. Unterschätzte Rituale sind: Beförderung, Dank aussprechen, Mitgefühl, Pensionierung, Entlassungen, Entschuldigungen und Rituale der Fehlerkultur. Ein Missbrauch von Ritualen bleibt besonders lange in Erinnerung wie zum Beispiel das Weglassen von Ritualen als Bestrafung nutzen, den Geburtstag oder die geleistete Arbeit des austretenden Mitarbeitenden nicht würdigen, beim Firmenanlass austretende Mitarbeitende ausschliessen oder an Sitzungen Fehlbare blossstellen.

Rituale werden oft automatisiert und entpersonalisiert. Beispiele: statt persönlich anwesend zu sein, jemanden delegieren. Statt individuell zu antworten, eine Mitteilung als Standardtext versenden. Ein Blumenstrauss, ein Catering oder ein Geschenk, aus Bequemlichkeits- oder Kostengründen standardisiert, wird unpersönlich. Werden Rituale bedeutungslos, ist der Sinn des gesellschaftlichen Zusammenhalts wenig erkennbar. Dann ist nachvollziehbar, dass Vorgesetzte ausschliesslich über monetäre Anreize führen. So sind hohe Fluktuationsraten erklärbar und es werden jene Menschen angezogen, die im Arbeitsalltag keine Bindungen und Verbindlichkeiten eingehen wollen. In diesen Firmen werden Mitarbeitende und Kunden als Ressourcen dargestellt und auch so behandelt.

Die formale Pflichterfüllung

Weshalb wird Selbstverantwortung nicht eingefordert? Ist es die Unfähigkeit, klare Aufträge zu formulieren, oder ist es der Wille, wenig Selbstverantwortung zu leben? Oder wird die Verantwortung in jeglicher Form wenig gelebt und gefordert, weil damit keine Konsequenzen verbunden sind? Es lohnt, diese Fragen sich selbst zu stellen. Die Antworten führen zur eigenen Identität und zeigen auf, wie das eigene Führungsverständnis geprägt ist. Die Identifikation mit der Firma sollte viel stärker in den Fokus der Führung rücken. Eine nur formal wahrgenommene Pflichterfüllung genügt nicht. Sie ist weder materiell nachhaltig noch emotional befriedigend. In keinem Arbeitsvertrag wird die Identifikation mit dem Arbeitgeber eingefordert. Und trotzdem ist damit eine stillschweigende Vereinbarung respektive Erwartungshaltung verbunden. Erstaunlich ist also, wenn diese Erwartungshaltung weder überprüft noch gefördert wird und zwar auf allen Hierarchiestufen. Und noch mehr, dass eine rein formale Pflichterfüllung wird hingegen mit monetären Anreizen belohnt. Dies im Bewusstsein, dass diese Anreizsysteme lediglich das Erreichen der Wirtschaftlichkeit, im engsten Sinne, unterstützen. Aber genügt dies?

Wenn das Engagement fehlt

Erste Anzeichen von mangelndem Engagement sind, wenn die folgenden Redewendungen als Argumente vorgetragen werden:

  • «Ist nicht mein Bier.»
  • «Geht mich nichts an.»
  • «Wer ist schuld.»
  • «Ich weiss es nicht.»
  • «Man muss halt schauen.»
  • «Machen wir später.»
  • «Ich hab keine Zeit.»
  • «Es nützt sowieso nichts.»
  • «Warum immer ich?»

Tiefer greifende Ursachen könnten aber auch im organisatorischen Umfeld liegen, deren Sinn und Zweck nicht verstanden wird. Dadurch kann sich kein Antreiber/keine Identifikation entwickeln, der/die zielführend ist. Um eine Transparenz für einen allgemeinen Antreiber herzustellen, braucht es minimale, aber verständliche Formulierungen der Unternehmenstätigkeit und deren Zweck. Nämlich:

  • Was soll verwirklicht werden? (Eine Beschreibung der Ausrichtung und des Zwecks)
  • Welche Vereinbarungen versprechen und halten wir ein? (Produktbeschrieb, Dienstleistungen und deren konkreter Nutzen oder Wirkung)
  • Wie erbringen wir unsere Dienstleistung oder stellen wir unsere Produkte her? (Die Qualität, die Prozesse und die Nachhaltigkeit)
  • In der Regel werden die Antworten in der Vision, der Strategie, im Leitbild und in den Führungsgrundsätzen abgebildet, die vielleicht leider in den Schubladen oder im Intranet verstauben. Trotzdem sind diese Dokumente verbindlich. Gestützt auf deren Inhalt gelten drei Grundsätze, die Engagement fördern und die Zielfokussierung unterstützen:

1. Machbare und verständliche Ziele formulieren
Die unpräzise und unvollständige Sprache im Auftritt schafft Konflikte. Anglizismen bringen Unsicherheit, wenn die Umgangssprache Deutsch ist.

2. Integrität und Loyalität vorleben und bei anderen anerkennen
Mangelnde Bekenntnisse zu Werten, die im Leitbild stehen, fördern Unglaubwürdigkeit. Versprechen und Handlungen müssen für den Kunden und die Mitarbeitenden überprüfbar sein.

3. Nur das versprechen, was auch eingehalten werden kann
Je schneller die Unternehmung wächst, desto schneller vernachlässigt sie den Dienst am Kunden. Im Detail liegt der Teufel der Verbindlichkeit und des Vertrauens.

Die nachfolgenden Beschreibungen sollen Beziehungen aufzeigen, weshalb ein Engagement nicht selbstverständlich ist. Wenn ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, wurde vereinbart, dass eine bestimmte Leistung für ein zuvor definiertes Ent­gelt erbracht werden muss. Die Erwartungshaltung des Arbeitgebers geht jedoch über die schriftliche Vereinbarung hinaus. Er erwartet vernetztes Denken, Einfühlungsvermögen, Offenheit, Flexibilität, ständige Bereitschaft zu Mehrarbeit, Eigeninitiative, Loyalität und vieles mehr.

Diese Erwartungen werden zusammengefasst Engagement genannt und sind nicht im Arbeitsvertrag vermerkt, weil sie nicht gemessen und angeordnet werden können. Engagement ist eine Haltung, die massgeblichen Einfluss auf die Qualität und die Quantität der Arbeit nimmt. Sie prägt auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Engagement ist nicht selbstverständlich. Um diese Energie zu fördern, braucht es ein bewusstes Umfeld, das Identifikationsmöglichkeiten zulässt. Abbildung 4 zeigt die drei Stufen, die zu einem selbstverständlichen Engagement führen können.

Engagement hat auch etwas mit Mitarbeiterbindung zu tun. Mitarbeitende, welche sich nicht mehr stark mit dem Arbeitgeber identifizieren können oder wollen, machen im besten Falle nur noch Dienst nach Vorschrift. Die Lebendigkeit der Organisation nimmt ab und die Kosten für Rekrutierungen nehmen zu. Menschen übernehmen Verantwortung für Menschen und nennen dies Führung. Sie nehmen diese Verantwortung wahr, wenn sie Mitarbeitende zur Selbstverantwortung führen und Verbindlichkeit einfordern. Dadurch entsteht Glaubwürdigkeit über die eigene Identität.

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