Mensch & Arbeit

Persönlichkeitsentwicklung

Wie Selbstreflexion zu neuen Perspektiven führt

Die Wirkung der Selbstreflexion wird oft unterschätzt. Dabei bringt sie zahlreiche Vorteile und Erkenntnisse und ist eine Basis für Glück und Erfolg. Der Beitrag zeigt, wie die Selbstwahrnehmung geschärft werden kann und kluge Frage helfen, mehr über sich herauszufinden.
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Selbstreflexion ist eine Form der bewussten Selbstwahrnehmung oder Selbst­beobachtung. Sozialpsychologe E. Higgins hat die Selbstdiskrepanztheorie entwickelt, die besagt, dass es drei Arten von Selbstbildern gibt:

  • das tatsächliche Selbst: wie man ist
  • das ideale Selbst: wie man sein möchte
  • das geforderte Selbst: wie man sein sollte

Diese drei Selbstbilder können übereinstimmen oder voneinander abweichen. Wenn es eine Diskrepanz zwischen ihnen gibt, kann das zu Unzufriedenheit oder Stress führen. Durch Selbstdiskrepanzen werden häufig negative Emotionen und Coachingbedarf ausgelöst. Während kleine Abweichungen zu deren Über­windung motivieren, können grössere Diskrepanzen zwischen den Instanzen zu Zuständen wie Traurigkeit, Depression, Angst und Schuldgefühlen führen. In diesen Fällen kann mit Verhaltensänderungen bzw. der Veränderung von Bewertungen und Situationen an einer Reduktion von Diskrepanzen gearbeitet werden. Ideal-Selbst ist Gegenstand ­verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deshalb wird auf die Selbstdiskrepanztheorie in diesem Artikel nicht vertieft eingegangen.

Die zentralen Fragen

Wer bin ich?

Das Ziel ist es, mehr über sich selbst zu ­erfahren, sich besser zu verstehen und persönlich zu wachsen. Das Ergebnis erfolgreicher Selbstreflexion ist daher nicht nur Selbsterkenntnis, sondern immer auch eine Bildung zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Macht der Selbstreflexion wird gerne unterschätzt, be­ziehungsweise verdrängt, dabei kann das Nach- oder Überdenken enorm lehrreich sein. Es kann niemand ausser dir selbst so tief in dich hineinsehen. Die daraus ­gewonnenen Erkenntnisse werden ganz klar für mehr Freude und Erfolg im Leben sorgen. Übrigens: Der Begriff «Reflexion» stammt vom lateinischen Wort «reflexio» ab, was so viel wie «zurückbeugen» oder «widerspiegeln» bedeutet.

Warum ist Selbstreflexion so wichtig?

Nur wenn ich mich selber verstehe und Zusammenhänge erkenne, bin ich in der Lage, mich zu verbessern, weiterzuent­wickeln und Potenziale zu nutzen. Auch kann ich andere Menschen besser ver­stehen. Selbstreflexion erweitert unseren geistigen Horizont und das Bewusstsein im Wortsinn. Im Reflexionsprozess ver­suchen wir aus Erfolgen wie auch Rückschlägen zu lernen. Das schärft zugleich den Blick für die Gegenwart und liefert uns wichtige Schlüsse für die Zukunft. ­Dabei ist wichtig, eine Balance zu finden aus einer ehrlichen und kritischen Aus­einandersetzung. Erfolgreiche Selbstre­flexion funktioniert nur, wenn wir kon­struktiv mit uns umgehen und dabei ­positiv denken. Also eine grundsätzlich positive Sicht auf das eigene Leben etablieren.

Wie unterscheiden sich ­Selbstwahrnehmung und ­Selbstreflexion?

Selbstwahrnehmung, Selbsterkenntnis und Selbstreflexion liegen zwar eng beieinander und werden häufig auch sy­nonym verwendet. Allerdings unterscheiden sie sich in der Tiefe doch auch ­wesentlich voneinander. Bei der Selbstwahrnehmung handelt es sich um eine Momentaufnahme. Es geht um den Blick von aussen auf die eigene Person, das ist eine Betrachtung des Äusseren durch Sie selbst, wenngleich es auch Verhalten und Handlungen miteinschliesst.

Die Selbstreflexion geht noch einen gros­sen Schritt weiter, indem sie Ihr Inneres mit einschliesst bei der Betrachtung. Insofern betrachten Sie bei der Selbstre­flexion zudem auch die eigene Persönlichkeit im Zusammenhang mit den ei­genen Gefühlen, aktuellen Umständen und Situationen sowie auch die Hand­lungen und Reaktionen Ihres Umfeldes. Selbstreflexion ist ein permanenter Prozess auf dem Weg zur Selbsterkenntnis.

Selbstreflexion – die Vorteile

Bei der Selbstreflexion geht es darum, das eigene Handeln, Denken und Fühlen besser einschätzen zu können. Nur so können Sie Vorhersagen für zukünftige Si­tuationen und Ihr Verhalten treffen. Die Auswirkungen Ihres Tuns und Denkens werden für Sie deutlicher und Sie können diese vielleicht verändern oder bewusst wahrnehmen. Das ermöglicht Ihnen zudem, neue Perspektiven einzunehmen sowie Dinge und Situationen aus mehreren unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Daraus können Sie neue Erkenntnisse ziehen und das für den Umgang in der Arbeitswelt oder auch im Privaten nutzen. Wenn es Ihnen gelingt, sich immer wieder neu zu reflektieren, ist das ein fortwährender Arbeitsprozess und Sie erfahren mehr über Ihre Per­sönlichkeit. Das ermöglicht Ihnen, Denk- und Handlungsmuster in Situationen vor­auszusehen und deren Auswirkungen ebenfalls bereits vorab zu kennen. Diese Weitsicht hilft Ihnen, Konflikte zu er­kennen und zu vermeiden. Das verändert Ihre Kommunikation und auch den Umgang in Ihrem Umfeld.

Mit Fragen beginnen

Um sich selbst besser kennenzulernen, können Sie sich Fragen über Gewohn­heiten oder Verhaltensmuster stellen, oder sie dienen als Inspiration für die ­eigenen Fragen. Satzanfänge können eine Hilfestellung bei der Beantwortung der Fragen sein (siehe Abbildung 1).

Phasen der Selbstreflexion

Wenn Sie sich ernsthaft mit sich selbst auseinandersetzen und besser kennen­lernen möchten, eignen sich die folgenden fünf wichtigen Punkte zur Selbst­reflexion:

  • Aufgabenstellung: Es geht darum, den Ist-Zustand zu beschreiben. Diese Aufgabe scheint zu Beginn schwierig zu sein. Es ist deshalb wichtig, mit ­kleinen Schritten zu beginnen. Analysieren Sie bestimmte Verhaltensweisen, die Sie verunsichern, und nehmen diese als Ausgangspunkte.
  • Verantwortlichkeit: Nach der Beschreibung des Ist-Zustandes geht es darum, sich bewusst zu machen, wer hierfür die Verantwortung trägt. Nicht immer sind Sie selbst verantwortlich für die Situation, sondern beteiligte ­Akteure können ebenfalls in der Ver­antwortung stehen. Das gilt es, genauer zu beleuchten und herauszufinden.
  • Zielsetzung: Damit Ihr Vorhaben bei der Selbstreflexion auch erfolgreich wird, ist ein klares Ziel hilfreich. Daher hilft es, wenn Sie für sich formu­lieren, was Sie verändern möchten und wo Sie hin möchten. Diese klare Ziel­setzung garantiert einen genaueren Fahrplan für die weiteren Schritte und am Ende auch bei der Überprüfung, ob Sie Ihre Ziele auch erreicht haben.
  • Massnahmen: Nachdem das Ziel festgelegt wurde, können Sie anschlies­send überlegen, welche möglichen Wege Ihnen zur Verfügung stehen, um diese Ziele zu erreichen. Dabei sind verschiedenste Massnahmen möglich, um an sich zu arbeiten. Prüfen Sie genau und bewerten Sie, welche Massnahmen tatsächlich am besten für Sie und Ihre Persönlichkeit zum Ziel und damit auch zum Erfolg führen. Es geht um den Weg, der sich am besten für Sie und Ihre Person eignet. Das muss nicht die schnellste oder effektivste Massnahme sein, denn Sie gehen am besten den Weg, der zu ­Ihnen passt und Ihnen leichter fällt.
  • Erneute Analyse: In der letzten Phase der Selbstreflexion kommen Ihre Erfahrungen zum Einsatz, die Sie seither gesammelt haben, denn diese nehmen natürlich auch Einfluss. Umstände ändern sich und während des gesamten Prozesses verändert sich ja bereits etwas an den Gegebenheiten. Die Ver­änderung ist ständig im Fluss und daher gilt es, dass Sie immer wieder über­prüfen, ob die gewählten Massnahmen noch passen und funktionieren. Sich verändernde Umstände bedeuten, dass Sie sich an diese neue Situation anpassen und Ihren Weg fortsetzen.

Die Gefühlsebene

Eine tiefergehende Selbstreflexion hilft, Probleme besser zu verstehen und auf Schwierigkeiten anders als bisher zu reagieren. Ganz entscheidend im menschlichen Miteinander ist, die immer vorhandene Gefühlsebene («Beziehungsebene») ebenso wie die vermeintlich im Vordergrund stehende Sachebene gleichermassen wahrzunehmen und zu berücksichtigen. 

Wichtig ist auch, die Ansichten und Meinungen anderer zu erfragen und zu berücksichtigen. Erfolgreiche Menschen sind sozial kompetent, sie gleichen Selbstbild und Fremdbild oft miteinander ab. Sie verbessern Ihre Selbstreflexion,

  • wenn Sie nicht nur problemzentriert, sondern vor allem auch lösungsorientiert denken,
  • wenn Sie berücksichtigen, dass jeder Mensch eigene Werte, Anschauungen und Vorlieben hat,
  • wenn Sie sich überlegen, was Sie in einer ähnlichen Situation konkret anders machen könnten und
  • wenn Sie sich immer wieder bewusst daran erinnern, dass und warum Sie manche Dinge heute anders und besser machen als früher.

Der berufliche Aspekt

Reflektieren Sie, was Ihnen im Beruf wichtig ist.

  • Interessiert mich in erster Linie der Lohn?
  • Würde ich auch für weniger Gehalt ­arbeiten, um meinen Job zu behalten?
  • Denke ich manchmal darüber nach, ob mir die Tätigkeiten Zufriedenheit geben?
  • Ist glücklich sein bei der Arbeit ebenso wichtig?
  • Habe ich in der Vergangenheit Ver­änderungen vorgenommen, um im ­Beruf zufriedener zu sein?
  • Warum habe ich mich für meine jetzige Beschäftigung entschieden?
  • Würde ich diese Entscheidung heute wieder treffen?
  • Denke ich oft daran, lieber einen an­deren Beruf zu haben?
  • Merkt mein berufliches Umfeld, dass ich in meinem Job glücklich und zu­frieden bin?

Unzufriedenheit: Was stört mich im Beruf?

Wenn Menschen auffälligerweise eher die Nerven verlieren und schneller aus der Haut fahren als früher, gibt es dafür in der Regel Gründe. Nehmen Sie eine häufigere Unzufriedenheit und Unausgeglichenheit ernst, damit Sie wieder eine Handlungsperspektive einnehmen können.

Motivation: Was begeistert mich?

Es lohnt sich, die eigenen Antriebsmomente ab und an zu hinterfragen. Vielleicht begeistern manche Aufgaben weniger als früher. Dies kann auch an fehlender Motivation liegen.

Stärken: Welche kennzeichnen mich?

Setzen Sie sich, ganz unabhängig von Vorstellungsgesprächen und in Ruhe, mit Ihren Stärken auseinander. Wer seine Talente kennt und benennen kann, glaubt an sich selbst und kann Veränderungen gelassener und optimistischer meistern.

Schwächen: Wo liegen meine Grenzen?

Auch bei der Selbstreflexion gilt: Wer Stärken hat, hat auch Grenzen, also Schwächen. Seien Sie kritisch mit sich selbst, aber übertreiben Sie es nicht. Alles, was Sie bisher erreicht haben, ver­danken Sie Ihren persönlichen Stärken ebenso wie Ihren Schwächen. Orientieren Sie sich an Oscar Wilde, dem nachgesagt wird: «Ich gebe jeder Versuchung nach. Wer weiss, ob sie wiederkommt.»

Fazit

Es ist nicht immer einfach, sich und sein Handeln zu hinterfragen. Die meisten Menschen haben Angst davor, weil sie sich dadurch verletzlich fühlen. Aber richtig gemacht, ist Selbstreflexion eine kraftvolle und befreiende Erfahrung, die die Unebenheiten des Lebens ausgleicht, das eigene Glück steigert und dabei unterstützt, der einzigartige Mensch zu werden, der Sie sein möchten. Selbstreflexion ist ein zentraler Faktor zur Förderung der Empathie.

 Egal wie viel Fortschritt wir im Leben machen, gibt es immer noch etwas zu lernen. Das ist eines der Dinge, die diese Reise letztlich so spannend macht. Selbstreflexion sollte also zu einer dauerhaften und fortlaufenden Aufgabe zur Persönlichkeitsentwicklung werden.

Reflektieren und hinterfragen Sie Ihr Verhalten, Ihre Entscheidungen und Emotionen. Das hilft Ihnen dabei, ein immer genaueres und besseres Bild von sich selbst zu erhalten. Diese Erkenntnisse sorgen für eine gefestigtere Persönlichkeit.

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