Mensch & Arbeit

Leadership

Wie Mitarbeitermotivation nach dem Lockdown gelingt

Die Pandemie zeigt, dass ein vermeintlich sicherer Job keine Garantie auf eine Lebens­stellung ist. Die Motivation der Mitarbeitenden sinkt, ihre Wechselbereitschaft steigt. Um sie weiter ans Unternehmen binden zu können, müssen sich Führungskräfte künftig stärker an ihre Mitarbeitenden anpassen. Was das heisst und wie es gelingt, zeigt dieser Beitrag.
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Das Ende der Pandemie scheint absehbar. Die Impfungen gehen voran, die Inzidenzzahlen sinken, zurück zur Normalität. Doch für einen Grossteil der Arbeitnehmenden stellt diese Rückkehr eine grosse Hürde dar, für nicht wenige ist sie gar ein Albtraum. Sie haben während der Kurzarbeit schätzen gelernt, plötzlich mehr Zeit zu haben – für die Familie, für Hobbys, Sport oder die lange anstehende Haus­sanierung. Auch führt die Kurzarbeit vielen Mitarbeitenden vor Augen, dass ihr vermeintlich sicherer Arbeitsplatz doch nicht so sicher ist, wie immer gedacht. Darüber hinaus verlieren sie immer mehr den Blick für die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. 

Haben diese Menschen sich vor Corona trotz potenzieller Demotivation im Job arrangiert, wirkt die Pandemie nun wie ein Brennglas und lässt ihre bis dahin latente Unzufriedenheit aufflammen. Laut der aktuellen Gallup-Studie zur Mitarbeiterbindung, dem Gallup Engagement Index 2020, sind mehr als 70 Prozent der Mitarbeiter wegen der herrschenden Unternehmenskultur, schlechter Führung und Ähnlichem demotiviert. Der Anteil frustrierter Arbeitnehmer hat sich damit im Lockdown-Jahr vergrössert. Viele Mitarbeitende überlegen darüber hinaus, ob sie sich nicht nach anderen Positionen auf dem Markt umschauen sollten. Rund 37 Prozent mehr Mitarbeitende als im Vorjahr bemühten sich der Untersuchung zufolge im Corona-Jahr 2020 aktiv um einen neuen Job.

Grundlegende Vorgehensweise

Keine einfache Situation für die Führungskräfte, sind sie doch gefordert, zu verhindern, dass ihre Mitarbeitenden in naher Zukunft reihenweise abwandern. Wie können sie das verhindern? Wie gehen sie am besten mit ihrem frustrierten Personal bei der (schrittweisen) Rückkehr zum vollen Arbeitsbetrieb um? Folgendes Vorgehen hat sich in der Praxis bewährt, um Mitarbeitende speziell in Umbruchsituationen wie dieser, aber auch bei Unzufriedenheiten im Job generell zu motivieren:

Situation ansprechen

Wichtig ist, dass die Führungskraft achtsam ist, um die Demotivation einzelner Mitarbeitenden oder des gesamten Teams wahrnehmen zu können. Liegt spürbar Ärger oder Frust in der Luft, sollte sie dies offen ansprechen. Damit bringt sie den Mitarbeitern automatisch Aufmerksamkeit entgegen und zeigt ihnen, dass sie wichtig sind. Eine Empfehlung: die aktuelle Lage sowie anstehende Veränderungen offen im Team-Meeting ansprechen und den Teammitgliedern anschliessend Zeit und Raum geben, damit sie reflektieren können, welche Teile der Verän­derungen sie für gut und welche sie für schlecht befinden. Als unterstützendes Werkzeug eignet sich hier die SWOT-­Analyse. SWOT steht für S – (strengths) Stärke; W – (weaknesses) Schwächen; O – (opportunities) Gelegenheiten; T – (threats) Bedrohung. Das Instrument bietet die Chance, dass die Mitarbeitenden sich intensiv mit der vorhandenen Lage auseinandersetzen und eventuell in einer generell bedrohlichen Situation auch Stärken oder Gelegenheiten erkennen. Die Führungskraft indes erhält einen guten Überblick über die aktuelle Situation. Wie die Erfahrung zeigt, werden sich mit der Swot-Analyse die Themen herauskristallisieren, für die Handlungsbedarf besteht. 

Neugier wecken

Mit Anweisungen und auch mit direkten Lösungsansätzen sollten sich Führungskräfte zurücknehmen. Besser ist es, die Mitarbeitenden Fragen formulieren zu lassen. Dies steigert ihre Neugierde, welche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine erhebliche Rolle in Sachen Mit­arbeitermotivation spielt. Es empfiehlt sich, in mehreren Runden zu bestimmten Themen – zum Beispiel dem Arbeiten im Homeoffice – zirka 30 Fragen zu sammeln. Die Mitarbeitenden haben so die Chance, tiefer in die Thematik einzusteigen und gleichzeitig ihre Kreativität bezüglich der möglichen Lösungsansätze zu erweitern. 

30 Fragen zu einem Thema erscheinen viel. In der Tat fallen den Mitarbeitern zunächst meist auch nur an die zehn Fragen ein. Dann ist Geduld gefragt – und mehr Zeit für die Fragestellenden, um weiter zu überlegen. Auf diese Weise kommen fast immer schwer zu fassende Themen zum Vorschein, die sonst nie offengelegt würden.

Gemeinsam neue Wege gehen 

Im nächsten Schritt fassen die Mitarbeitenden ihre Lösungsansätze beziehungsweise mögliche neue Aktionen und Arbeitsweisen zusammen. Wichtig: Die Führungskraft sollte sie dabei selbstständig arbeiten lassen und nur bei Bedarf einen gewissen Rahmen vorgeben. Innerhalb dieses Rahmens haben die Mitarbeitenden Freiraum und dürfen selbst gestalten. Ziel ist, dass das Team sich ein eigenes Projekt erarbeitet, sich sozusagen ihr eigenes Baby schafft. Damit entstehen positive Emotionen, welche die Motivation weiter bestärken. Die Aktionen und Aufgaben erhalten eine besondere Bedeutung und damit einen Sinn für die Bearbeitenden. 

Antriebsenergie nutzen

Führungskräfte, die so verfahren, werden feststellen, dass die Mitarbeitenden die Aktionen und Aufgaben ihrer jeweiligen Stärken entsprechend ein- beziehungsweise aufteilen. Das funktioniert wie ein automatischer Mechanismus mit dem Ergebnis, dass alle motiviert bei der Sache sind. Denn die Aufgaben, die wir uns selbst delegieren, erledigen wir auch grundsätzlich motivierter – weil sie in der Regel unseren individuellen Motiven entsprechen.

Diese generell vorhandene Antriebsenergie der Mitarbeitenden gilt es zu nutzen; sie ist der Schlüssel für Motivation und Leistung. Folgerichtig müssen Führungskräfte umdenken: Anstatt vorauszusetzen, dass die Mitarbeitenden sich an ihren Führungsstil anpassen, sollten sie sich an die Mitarbeitenden und deren jeweils eigene Motive anpassen. Hierzu wiederum gilt es, herauszufinden, wofür die einzelnen Mitarbeitenden brennen. Das ist die Voraussetzung schlechthin, um sie jeweils individuell-intrinsisch motivieren zu können.

Individuelles Anpassen

An diesem Punkt kommen schnell Modelle der Persönlichkeitsdiagnostik ins Spiel, die Menschen in Motivationstypen einordnen. Denn die These solcher Modelle ist, dass bestimmte Menschentypen durch jeweils für sie typische Themen angetrieben werden und somit auch leicht motivierbar sind. Die Führungsstrategie lautet somit: Die Führungskraft muss den Typ des Mitarbeitenden erkennen und ihre «Delegations-Sprache» sowie Verhaltensweisen an die Bedürfnisse dieses Menschen anpassen.  Mitarbeiter sollten nicht in Schubladen gepackt werden. Typologien in der Wirtschaftspsychologie führen immer zur Spaltung; Führungskräfte aber haben die Aufgabe, ihr Team zu einer Einheit zu formen. Allerdings haben alle Modelle der Persönlichkeitsdiagnostik etwas grundlegend Sinnvolles gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass Mitarbeitermotivation in erster Linie damit anfängt, sich überhaupt einmal mit den Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Persönlichkeitsanalysen – insbesondere das Reiss Motivation Profile von Steven Reiss und die darauf ba­sierende, weiterentwickelte Motiv-Struktur-Analyse MSA – sind daher gute Ansatzpunkte, sich mit seinen Mitarbeitenden zu beschäftigen, sie besser kennenzulernen und ihre Motive zu verstehen.

Darüber hinaus ist es jedoch wichtig zu begreifen, dass jeder Mensch so individuell ist wie sein Fingerabdruck. Die Kunst ist es, diesen jeweiligen Menschen genauso zu nehmen, wie er ist, und ihn entsprechend seiner Fähigkeiten im Team einzusetzen. Das verlangt Fingerspitzengefühl, Interesse und Ausdauer. 

Die richtige Sprache sprechen

Merci d’avoir lu jusqu’ici. Je me sens très flatté. Für die, die kein Französisch lesen können: Ich habe gerade etwas Nettes gesagt. Pragmatikern wird diese Erklärung ausreichen. Wer aber stärker intellektuell motiviert ist, möchte mit aller Wahrscheinlichkeit wissen, was ich genau geschrieben habe. Das Beispiel soll zeigen, dass Sprache beziehungsweise die Art zu kommunizieren ein elementares Mittel ist, um sich bestmöglich an andere Menschen anzupassen.

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die zu Monologen neigenden Lehrer in der Schule: Bei pragmatisch motivierten Schülern waren diese Monologe ziemlich unbeliebt – und entsprechend auch die so unterrichtenden Lehrer. Die «Streber» hingegen hingen stundenlang an ihren Lippen. Schaffte ein Lehrender es, den Stoff so zu vermitteln, dass alle ihn verstanden, führte er oder sie die Beliebtheitsskala an. Ebenso sollten Führungskräfte einen Weg finden, für alle Teammitglieder die «richtige» Sprache zu sprechen. Es lohnt sich, hier den passenden Weg – die passende Sprache – zu finden, denn Mitarbeitende, die sich richtig angesprochen fühlen, entwickeln in der Regel auch eine stärkere Bindung zum Arbeitgeber.

Wege der Delegation

Wichtig ist auch die Art der Führung an sich. Mitarbeiter, die das Machtmotiv dominiert, die selbst gerne führen, brauchen viel Freiraum. Ihnen reicht es, wenn ihnen Ziele und Abgabetermin genannt werden, um zu liefern. Allerdings kann der Weg, die Aufgabe zu lösen, stark von dem Pfad abweichen, den die Führungskraft favorisieren würde. Das Ergebnis entspricht aber in jedem Fall den Anforderungen. Wer hier jeden Schritt kontrolliert, demotiviert den Anderen in der Regel. Ganz anders verhält es sich bei eher unsicheren Mitarbeitenden. Sie müssen stärker an die Hand genommen werden. Ihre Leistung ist dann am stärksten, wenn sie auch kleine Zwischenschritte mit der Führungskraft besprechen können. 

Zu achten ist wiederum darauf, ob jemand eher vom Intellekt oder vom Pragmatismus getrieben ist. Pragmatische Menschen lieben es, frei nach dem Motto «Trial and Error» einfach loszulegen. Die Aufgabe, eine Software zu testen und die Ergebnisse zwei Wochen später dem Team vorzustellen, beispielsweise, wird ihn oder sie nicht schrecken. Loslegen, sich den Weg durch das Programm probieren, das ein oder andere Mal hängenbleiben und sich die wesentlichen Schritte notieren – so wird die Herangehensweise des Pragmatikers sein. Einen vom Intellekt getriebenen Menschen hingegen stresst eine solche Aufgabenstellung. Er braucht Hintergrundinformationen, Halbwissen ist ihm ein Gräuel und so unvorbereitet von Kollegen zu präsentieren, treibt ihn schier in die Verzweiflung. 

Ein und dieselbe Aufgabe braucht bei Anpassung an die Mitarbeitenden also unterschiedliche Wege der Delegation. Zu umständlich und zeitaufwändig? Keiner hat gesagt, dass Mitarbeitermotivation einfach ist. Doch lohnen wird sie sich auf jeden Fall. Denn es sind die Menschen, die das Unternehmen bewegen. Deshalb sollte die Führungskraft auch einen Weg finden, ihre Mitarbeitenden zu bewegen.

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