Mensch & Arbeit

Mitarbeiterentwicklung

Wie Kreativität gezielt gefördert werden kann

Fast jedes führende Unternehmen bezeichnet sich als kreativ. Schaut man genauer hin und fragt nach, stellt man schnell fest, dass es sich oft nur um ein Lippenbekenntnis handelt. Massnahmen, um das kreative Potenzial jedes Mitarbeiters zu fördern oder auszuschöpfen, sind nicht zu entdecken. Das sollte sich ändern.
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Von der Bedeutung der Kreativität sind die meisten Menschen überzeugt. Es herrscht aber der Irrglaube, dass es sich um eine angeborene Gabe handle und nicht oder nur wenig verbessert werden kann. Hier wird oft das schöpferische Talent von Künstlern mit der Fähigkeit, neue Ideen für Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse zu finden, verwechselt. Gleichzeitig herrscht bei vielen die Überzeugung, dass eine neue Idee durch ein zufälliges Zusammentreffen bestimmter Ereignisse und Umstände entsteht. Dahinter steht die Auffassung, dass es Geistesblitze geben kann, diese sich jedoch nicht steuern oder trainieren lassen. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass die Fähigkeit kreativ zu denken lernbar ist und verbessert werden kann.

Keine Spielerei

Die Angst sich zu irren oder Fehler zu machen, mindert die Risikobereitschaft des Einzelnen und somit die Kreativität. Manche glauben nun, dass die Beseitigung der inneren und äusseren Barrieren ausreicht, um die Kreativität der Mitarbeitenden auszuschöpfen. Aber Achtung: Der kreative Meetingraum mit den lustigen Bällen und den farbigen Postern verbessert die Kreativität nicht nennenswert. Das menschliche Gehirn ist von Natur aus nicht gemacht für kreatives Denken. Und so findet es auch nicht automatisch neue zündende Ideen, sobald diese Hindernisse beseitigt sind. Edward de Bono, einer der führenden Kreativitätsforscher, vergleicht dies wie folgt: «Nur weil Sie die Handbremse im Auto lösen, werden Sie nicht automatisch zu einem zweiten Michael Schumacher.» Das Brainstorming ist sozusagen der Star unter den Kreativitätstechniken, mit dem höchsten Bekanntheitsgrad. Werden neue Ideen gesucht, kann man einfach mal morgen früh im Büro ein paar Leute zusammentrommeln und sich gegenseitig zu kreativen Höchstleistungen antreiben. «Gute Idee», denken Sie. Sie sehen es schon vor Ihrem geistigen Auge, wie sich die wilden Assoziationen der Teilnehmer gegenseitig befruchten, wie eine Idee die andere aus den Köpfen der topmotivierten Anwesenden kitzelt und sich irgendwann aus dem wachsenden Wust ungefilterter Gedanken der geniale Geistesblitz herausschält. Haben Sie so ein Brainstorming schon einmal erlebt?

In vielen Teams funktioniert ein Brainstorming oft eher schlecht und kann sogar beträchtlichen Schaden anrichten. Mit Brainstorming geht die Überzeugung einher, dass die vorgetragenen Einfälle immer verrückt oder ausgeflippt sein müssen. Erfolglose oder übertriebene Brainstormingsitzungen haben dazu geführt, dass die Fähigkeit kreativ zu denken bagatellisiert und nicht ernst genommen wird. Man betrachtet sie als Spielerei, als nette Abwechslung, die gelegentlich gar zum Erfolg führen kann. Ganz nach dem Motto: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Durch seine Bekanntheit stellt das Brainstorming Kreativitätsmethoden in den Hintergrund, die weit besser und systematisch anwendbar sind. Die Ideensuche muss auch nicht nur auf Gruppenarbeit beschränkt sein. Der Einzelne kann im stillen Kämmerlein genauso produktiv oder gar noch findiger sein, falls er die richtigen Methoden kennt.

Methode «Konzeptextraktion»

Die Fähigkeit, auf einem sehr allgemeinen, abstrahierten Level zu denken bzw. zwischen der Makro- und der Metaebene hin und her zu springen, macht gute Denker aus. Die folgende Aufgabe soll dieses Hin-und-her-Springen aufzeigen und näher analysieren:
 
Wie kann man ein Glas gefüllt mit Wasser leeren, ohne es anzufassen, zu bewegen oder zu zerstören? Welche Lösungsvorschläge sind denkbar? Man könnte zum Beispiel einen Trinkhalm nehmen oder einen Blumenstrauss ins Glas stellen und warten, bis die Blumen das Wasser aufgesogen haben. Das Glas kann auch geleert werden, indem man das Wasser mit Druckluft herauspresst oder Kieselsteine reinschüttet. Möglich ist auch, das Wasser mit einem Tauchsieder zu erhitzen, bis das Wasser verdunstet ist oder das Glas einfach stehen zu lassen. Oder Sie stellen das Glas vor einen Elefanten, der es mit seinem Rüssel leer saugt. Jetzt fallen Ihnen vielleicht noch weitere Lösungen ein.

Interessant wird es, wenn man die gefundenen Lösungen genauer anschaut und hinterfragt. Aus allen genannten Möglichkeiten lassen sich drei Konzepte ableiten: 1. aufsaugen, 2. verdrängen und 3. verdunsten. Der Trinkhalm, die Blumen und der Elefant gehören zum Konzept aufsaugen. Die Druckluft und die Kieselsteine gehören zum Konzept verdrängen. Stehen lassen und der Tauchsieder gehören zum Konzept verdunsten. Es gibt somit drei Konzepte, um das Glas zu leeren. Ist erkannt, welches Konzept hinter einem Lösungsvorschlag steht, lassen sich daraus leicht weitere Möglichkeiten ableiten. Wir können uns überlegen, wie das Wasser noch verdrängt werden kann: Quecksilber ins Glas füllen, einen aufgeblasenen Ballon in das Glas pressen, ein weiteres Glas mit der gleichen Form reindrücken.

Noch ein Beispiel: Eine Fluggesellschaft möchte ihre Passagierzahl zwischen zwei Städten erhöhen. In einem Brainstorming macht ein Mitarbeitender den Vorschlag: «Lasst uns doch eine Sommeraktion ‹Kinder fliegen gratis› machen!» Der Vorschlag wird wohlwollend aufgenommen. Eine Mitarbeiterin aus der Marketingabteilung ist jedoch der Meinung, dass der Ansatz zwar gut, die Aktion jedoch etwas verbraucht sei. Sie fragt, welches Konzept hinter dieser ersten Idee steht – nämlich spezielle Preise für bestimmte Zielgruppen. Danach sprudeln plötzlich die Ideen: halber Preis für Grosseltern in Begleitung der Enkelkinder, Haustiere fliegen kostenlos mit, Pärchen auf der Hochzeitsreise zahlen nur einen Franken, Golfer dürfen ihre Golftasche gratis mitnehmen und so weiter.

Das Denken in Konzepten hilft, wenn zu einer Fragestellung nur eine oder eine unbefriedigende Antwort bereitsteht. Die Lösung ist, die Idee zu hinterfragen, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Welches Konzept steht dahinter? Wenn dieses erkennbar ist, werden sich leicht weitere Lösungsmöglichkeiten finden lassen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Vergessen Sie nie: Jede Idee, jede Massnahme, alles was Sie tun, hat ein Konzept. Das Denken in Konzepten erlaubt Ihnen, aufbauend auf einer ersten Idee weitere Ideen abzuleiten. Der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling war der Meinung: «Der beste Weg, eine gute Idee zu haben, ist, viele Ideen zu haben.»

Die Kundennutzen-Matrix

Bei kreativen Höhenflügen besteht natürlich die Gefahr, aus den Augen zu verlieren, was die Kunden wirklich wollen. Das ist aber gerade für KMU besonders wichtig. Die Kundennutzen-Matrix ist eine Kreativitätstechnik, die hilft, beim Ideenfindungsprozess die Sicht der Kunden im Blick zu behalten. Sie eignet sich vor allem, um ein Produkt oder eine Dienstleistung aus der Kundenperspektive heraus zu optimieren.

Die Matrix basiert auf der Tatsache, dass Kunden bei der Nutzung eines Produktes oder einer Dienstleistung mehrere Prozessschritte durchlaufen. Der Prozess erstreckt sich beispielsweise von der Information über die Dienstleistung bis hin zu deren Nutzung und Bezahlung. Dabei werden mehrere Handlungen vollzogen. Ziel der Methode ist es, Ansatzpunkte für innovative Lösungen zu finden, welche die Kundschaft bei der Ausübung dieser Handlungen noch besser unterstützen und somit mehr Nutzen stiften.

In einem ersten Schritt wird der Prozess aus Kundensicht systematisch dargestellt und skizziert, was der Kunde Schritt für Schritt erlebt, wenn er die Dienstleistung konsumiert. Die einzelnen Punkte bekommen je eine Spalte. Im zweiten Schritt werden Fragen gestellt, die für den Kundennutzen von besonderer Wichtigkeit sind. Diese kommen in die Zeilen der Matrix. Danach wird für jedes Feld in der Matrix nach Ideen gesucht.

Was ist Ihnen von Ihrem letzten Hotelbesuch in positiver Erinnerung geblieben? Hier ein Beispiel für den Einsatz der Kundennutzen-Matrix aus der Hotellerie. Die Aktivitäten, die der Gast durchläuft, wären hier der Reihe nach: Informationen über das Hotel einholen, Reservierung des Zimmers, Anmeldung an der Rezeption, Begleitung aufs Zimmer, Übernachten im Zimmer, Frühstücken. Typische Fragen wären: Wo kann ich für die Gäste etwas einfacher machen? Welchen zusätzlichen Nutzen können wir dem Gast bieten? Wie können wir mögliche Risiken minimieren? Wie unterhalten wir unsere Gäste, was könnte ihnen Spass machen? Was würde unsere Gäste so begeistern, dass sie «Wow!» rufen?

Nun werden für die Kästchen Ideen gesucht, indem man die Fragen zum Gästenutzen in Verbindung mit den einzelnen Kundenaktivitäten bringt. Oftmals fällt einem der Ideenfluss für einzelne Kästchen leichter, während andere Fragestellungen zur Herausforderung werden.

Porträt