Mensch & Arbeit

Mitarbeiterentwicklung

Wie Empowerment­ die Eigenverantwortung fördert

Vier von fünf Mitarbeitern sind nur halbherzig bei der Sache und leisten weit weniger, als sie könnten. Dieser Artikel zeigt, wie Unternehmen durch gezieltes Empowerment die ­Motivation und Leistung ihrer Mitarbeiter steigern können und welche Stolpersteine es zu beachten gibt.
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Empowerment, auf Deutsch «Ermächtigung», stammt vom englischen Wort ­«power» ab und bedeutet eine Umver­teilung von Entscheidungsbefugnissen innerhalb des Unternehmens. Anstatt ­Entscheidungen von der Führungskraft abzuholen, können empowerte Mitar­beitende selbst Entscheidungen treffen. Dies bringt mehrere Vorteile mit sich: Mitarbeitende arbeiten weniger nach Vorschrift, da sie ihre eigenen Ideen einbringen sollen. Entscheidungen werden schneller getroffen von denjenigen, die unmittelbar betroffen sind und über die nötige Kompetenz verfügen. Dadurch werden Unternehmen innovativer und die Reaktionsgeschwindigkeit des Un­ternehmens wird beschleunigt.

Neben den grossen Vorteilen für die Produktivität der Mitarbeitenden und den Unternehmenserfolg trägt das Empowerment-Konzept auch den jüngsten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung. Die Erwartungen der Mitarbei­tenden haben sich in den letzten drei Jahrzehnten stark gewandelt: Arbeit soll nicht nur das Einkommen sichern, sondern auch das Leben bereichern und zur Selbstentfaltung beitragen. Diese tiefgreifenden Veränderungen – oft als «New Work» bezeichnet – erfordern ein neues Führungsverständnis, bei dem Führungskräfte mehr befähigen und weniger kontrollieren. Der Empowerment-Ansatz ist damit ein zentraler Bestandteil dieser neuen Führungsphilosophie.

Bessere Rahmenbedingungen

«Empowerment» wird oft als Buzzword verwendet: Manchmal wird es mit agilem Entscheiden gleichgesetzt. Manchmal mit mehr Entscheidungsfreiraum. Doch Empowerment ist weit komplexer und vielschichtiger. Mehr Entscheidungs- und Gestaltungsfreiraum für Mitarbeitende wirkt sich nur bedingt auf deren Motivation und Produktivität aus.

Empowerment bedeutet vielmehr, die organisationalen Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass Mitarbeitende ihr ­volles Potenzial entfalten können. Wichtig ist das Zusammenspiel dieser Rahmenbedingungen. Denn Empowerment hat vier Hebel. Und es hat nur den gewünschten Effekt, wenn konsequent alle vier Hebel eingesetzt werden. Neben Entscheidungs- und Gestaltungsfreiraum spielen auch Anreize, Informationstransparenz und Ressourcen eine entscheidende Rolle. Dazu gehören nicht nur zeitliche Ressourcen, sondern auch qualifiziertes Feedback, Rat und die Bereitschaft von Kollegen und Vorgesetzten. Diesen Ansatz nennen wir «strukturelles Em­powerment», denn der Fokus liegt auf der Gestaltung von Organisationsstrukturen. Wie Empowerment im Unternehmen ganzheitlich umgesetzt werden kann, zeigt die Abbildung.

Vier Hebel für Unternehmen

  • Informationstransparenz: Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeitenden relevante Informationen haben, um ihre Aufgaben effektiv erfüllen zu können. Fördern Sie die Kommunikation und Informationstransparenz durch ­interne Kommunikationssysteme wie Intranet-Portale und regelmässige Meetings.
  • Entscheidungsfreiheit: Erlauben Sie Ihren Mitarbeitenden, in einem festgesetzten Rahmen Entscheidungen zu treffen. Eine dezentrale Entscheidungsstruktur ermöglicht es ihnen, Projekte eigenverantwortlich zu leiten oder Budgetentscheidungen zu treffen, allerdings innerhalb klar definierter Leitplanken.
  • Ressourcen: Bieten Sie die notwendigen Ressourcen, um ihre Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Organisieren Sie Schulungs-, Mentoring- und Weiterbildungsprogramme, um die Fähigkeiten der Mitarbeitenden zu entwickeln.
  • Anreize: Setzen Sie finanzielle Belohnungen wie Boni und nichtmonetäre Anreize wie Anerkennung, Beförderungen oder Entwicklungsmöglichkeiten ein. Leistungsbezogene Belohnungssysteme basierend auf Teamleistungen sind ein gutes Beispiel.

Psychologisches Empowerment

Diese vier Hebel – Zugang zu Informa­tionen, Entscheidungsfreiheit, Ressourcen und Anreize – betrachten Empowerment aus der Unternehmensperspektive. Hier geht es um die Schaffung organisationaler Strukturen, Bedingungen und Arbeitsformen, die Mitarbeitenden ermöglichen sollen, sich zu entfalten. Jedoch greift die Unternehmensperspektive in puncto Empowerment zu kurz. Flexible und agile Arbeitsformen, beispielsweise, können zwar ein wichtiger Bestandteil eines empowernden Arbeitsumfeldes sein, sind aber nur eine Seite der Medaille (Schermuly, 2019). 

Entscheidend ist, wie die Mitarbeitenden ihr Arbeitsumfeld wahrnehmen. Selbst wenn Unternehmen alle vier Hebel des strukturellen Empowerments umsetzen, könnte es sein, dass die Mitarbeitenden dies persönlich nicht als echtes Empowerment empfinden. Dieses subjektive Erleben von Empowerment nennen wir psychologisches Empowerment (Spreitzer, 1995). Auch hier gibt es vier Di­mensionen:

  • Sinnhaftigkeit / Bedeutsamkeit: Mitarbeitende empfinden ihre Arbeit als sinnvoll und bedeutsam, wenn sie im Einklang mit ihren persönlichen Werten und Zielen steht. Eine Mitar­beitende in einer gemeinnützigen Organisation empfindet beispielsweise ihre Arbeit als besonders sinnvoll, weil sie zur Gesellschaft beiträgt.
  • Kompetenz: Mitarbeitende haben Vertrauen in ihre Fähigkeiten und ihr Wissen. Regelmässiges Feedback und Weiterbildungsmöglichkeiten stärken dieses Vertrauen.
  • Einflussnahme: Mitarbeitende können Einfluss auf Entscheidungen und Prozesse nehmen, die ihre Arbeit betreffen. Ein Teammitglied, das in Entscheidungsprozesse eingebunden wird und ihre Ideen umsetzen kann, fühlt sich stärker mit dem Unternehmen verbunden.
  • Selbstbestimmung: Mitarbeitende sollten die Freiheit haben, ihre Arbeit eigenverantwortlich zu gestalten. Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, von verschiedenen Orten aus zu arbeiten, können diese Selbstbestimmung unterstützen. 

Empowerment bedeutet also weit mehr als nur Autonomie und Freiraum. Arbeitgeber müssen ein ganzheitlich empowerndes Arbeitsumfeld schaffen. Nur wenn Mitarbeitende dieses Arbeitsumfeld als wirklich empowernd wahrnehmen, ist der Ansatz nutzenstiftend.

Aktiv nach Aufgaben suchen 

Empowerment nimmt sowohl Arbeit­geber als auch Arbeitnehmende in die Pflicht. Eine Seite der Medaille ist, dass Arbeitgeber bereit sind, ihre Mitarbeitenden zu empowern. Die andere Seite der Medaille ist, dass Arbeitnehmende auch empowert werden wollen. Empowerment bedeutet für Arbeitnehmende, Verantwortung anzunehmen und aktiv mitzudenken. Es ist eine Abkehr von einer konsumistischen Arbeitseinstellung. Aufgaben werden nicht mehr mundgerecht serviert. Jeder empowerte Mitarbeitende sollte aktiv nach Aufgaben suchen, die zur langfristigen Vision des Unternehmens beitragen. Damit dies gelingt, müssen alle im Unternehmen eine klare Vision, Mission und Werte kennen, mit ­denen sie sich identifizieren und die sie als inspirierend empfinden. 

Ein positives Menschenbild

In der Arbeitswelt haben wir es grundsätzlich mit zwei Menschenbildern zu tun. Diese beruhen auf der Theorie X und der Theorie Y (McGregors, 1964). Theorie X geht davon aus, dass Menschen von Natur aus faul, arbeitsscheu und ­ver­antwortungsscheu sind. Sie müssen kon­trolliert und oft mit Strafen oder Anreizen motiviert werden. 

Diese Sichtweise steht im Widerspruch zum Empowerment, das auf Autonomie und Selbstbestimmung setzt. Ganz anders ist die Theorie Y. Diese besagt, dass Menschen von sich aus motiviert sind, Ver­antwortung zu übernehmen, und gerne arbeiten. Theorie Y unterstützt die Prinzipien des Empowerments, indem sie davon ausgeht, dass Mitarbeitende am besten arbeiten, wenn sie autonom sind, ihre Fähigkeiten nutzen können und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

In anderen Worten: Der Empowerment-Ansatz beruht auf einem positiven und emanzipierten Menschenbild. Menschen und Mitarbeitende haben hiernach die Fähigkeit und den Wunsch, ihre Arbeit aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. Empowerment setzt also voraus, dass Führungskräfte das Potenzial der Mitarbeitenden sehen und ihnen Vertrauen schenken (wollen). 

Eine Frage des Mindsets

Damit der Empowerment-Ansatz gelingt, müssen Mitarbeitende bereit sein, dieses Empowerment mit all seinen Konsequenzen anzunehmen und zu nutzen. Wenn Mitarbeitende über Jahrzehnte hinweg zur Unmündigkeit und zum Abarbeiten von Aufgaben «erzogen wurden», fällt es ihnen oft schwer, plötzlich empowert zu werden. Es ist nachvollziehbar, wenn Mitarbeitende anfangs zögern oder Angst vor Fehlern haben. Denn Empowerment erfordert Mut von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – den Mut, Fehler zu machen und darin Chancen zur Verbesserung zu erkennen. Empowerment ist nicht nur eine Ansammlung organisatorischer Massnahmen. Es ist ein Mindset, das auch Führungskräfte annehmen müssen. 

Empowerment heisst im Grundsatz eine Demokratisierung von Verantwortung – sprich, die Verantwortung wird über die Hierarchieebenen verteilt. Was für Mit­arbeitende ein Zugewinn von Entscheidungsfreiraum ist, kann von Führungskräften als Entmachtung wahrgenommen werden. Dies kann zu Angst und Widerstand unter Führungskräften führen: Einerseits die Angst vor Kontrollverlust, andererseits die Angst, Ressourcen und Geld in transparente Kommunikationskanäle zu investieren. Diese Bedenken sind berechtigt, denn aus Sicht der Vorgesetzten bedeutet Empowerment auch, Kontrolle und Macht abzugeben. Daher ist klar: Empowerment erfordert Unterstützung und Rat nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für Führungskräfte. Es setzt eine Vertrauenskultur voraus – von beiden Seiten.

Porträt