Mensch & Arbeit

Positive Leadership

Wie auch Emotionen der Team­entwicklung helfen

Emotionen zu zeigen ist im Arbeitsalltag oft verpönt. Dabei spielen Gefühle im menschlichen Zusammenleben und -arbeiten stets eine grosse Rolle. Deshalb müssen Führungskräfte feine Antennen für offen und versteckt artikulierte Emotionen haben.
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Montagmorgen. Der Führungskreis eines mittelständischen Unternehmens tagt. Debattiert wird aufgrund der schlechten Auftragslage darüber, wie der Mittelständler auf die aktuelle Wirtschaftsflaute reagieren kann. Ein Vorschlag lautet: Die Verkäufer sollen für Abschlüsse niedrigere Provisionen erhalten. Daraufhin ergreift Vertriebsleiter Huber das Wort und sagt erregt: «Das geht nicht! Sie können meinen Leuten doch jetzt, wo sie um jeden Auftrag und Euro Umsatz hart kämpfen müssen, nicht auch noch die Prämien kürzen. Das…» Doch bevor der Vertriebsleiter seine Aussage begründen kann, fällt ihm der Firmeninhaber ins Wort und sagt: «Herr Huber, jetzt bleiben Sie mal ruhig. Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen – auch Ihre Mitarbeiter.»

Falsche Interpretation

Ähnliche Situationen erlebt man oft in Unternehmen. Immer wieder registriert man in ihnen: Wenn Mitarbeiter Gefühle zeigen und sich für eine Sache auch emotional engagieren, wird dies von ihren Gesprächspartnern als unangemessen erachtet oder als Schwäche interpretiert. Doch nicht nur dies. Die Mitarbeiter werden zudem oft mundtot gemacht mit Aussagen wie «Nun lassen Sie uns mal sachlich bleiben» oder «Jetzt malen Sie nicht gleich den Teufel an die Wand». Die Tatsache, dass eine Person Gefühle zeigt, wird also als Legitimation genutzt, um sich mit ihrem Anliegen nicht ernsthaft zu befassen und zuweilen sogar als Instrument, um sie ins Abseits zu manövrieren. Und zeigt eine Person regel­mäs­sig Gefühle? Dann wird sie schnell in eine Schublade gesteckt, aus der es nur schwer ein Entrinnen gibt. «Ach, der Huber, der macht aus jeder Mücke einen Elefanten.» Oder: «Ach die Vögler, die wird wie viele Frauen schnell hysterisch.» 

Ineffizienzen als Folge

Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb sind sie in der Regel bemüht, am Arbeitsplatz wenig emotionale Betroffenheit zu zeigen. Stattdessen verbergen sie speziell ihre negativen Empfindungen oft hinter scheinbar rationalen Argumenten. Als Folge davon wird in Unternehmen häufig endlos über Nichtigkeiten diskutiert. Und erreichen die betreffenden Personen mit ihrer scheinbar rationalen Argumentation ihre Ziele nicht? Dann versuchen sie diese meist über Umwege zu erreichen – zum Beispiel, indem sie Aufgaben bewusst vergessen und Beschlüsse bewusst fehlinterpretieren.

Dies ist eine häufige Ursache, warum ­Unternehmen ihre Ziele nicht erreichen und Projekte scheitern. Denn letztlich besteht jedes Unternehmen aus einer Vielzahl von Menschen, die alle ihre eigenen Wünsche, Werte und Interessen sowie Erfahrungen, Meinungen und Bedürfnisse haben. Deshalb sind, wenn Menschen miteinander kommunizieren und ko­operieren, stets auch Emotionen im Spiel. 

Für Führungskräfte, insbesondere solche, die ein Positive Leadership anstreben – also ein Arbeitsumfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden auch als Mensch wertgeschätzt und fair behandelt fühlen – bedeutet dies: Sie müssen über die erfor­derliche emotionale Intelligenz verfügen, 

  • um Emotionen zu erkennen, 
  • diese richtig zu bewerten und 
  • auf sie so zu reagieren, dass die betreffenden Personen sich wahr- und ernstgenommen fühlen. 

Das setzt neben Antennen für die Gefühle anderer Personen ein feines Gespür für Menschen, Situationen und Konstella­tionen voraus.

Ein Praxisbeispiel

Ein feines Gespür für Situationen und Konstellationen ist wichtig, um Fehleinschätzungen und -entscheidungen zu vermeiden. Das sei an einem Praxisbeispiel illustriert. Vor einigen Jahren startete ein Dienstleistungsunternehmen ein Changeprojekt, das darauf abzielte, noch kundenorientierter zu werden. Alles lief aus Sicht der Unternehmensleitung gut, bis der Vorstand entschied: Künftig sollen alle Mitarbeiter mit persönlichem Kundenkontakt Firmenkleidung tragen – als Zeichen, dass sie für ein bestimmtes Markenversprechen unseres Unternehmens stehen. Daraufhin brach im Unternehmen eine mehr oder minder offene Revolte aus. Aus zwei Gründen: Zum einen machte die Bekleidungsvorschrift vielen Mitarbeitern erstmals klar «Unsere Chefs meinen es mit der Veränderung ernst», und zum anderen erlebten sie die Vorschrift als eine Einschränkung ihrer Selbstbestimmung und einen Eingriff in ihre Privatsphäre. Eine Zeit lang bestand die Gefahr, dass das gesamte Projekt an der Kleiderfrage scheitert – vor allem, weil der Vorstand nicht erkannte,  

  • welch grosse emotionale Bedeutung diese für die Mitarbeiter hatte und 
  • dass sich hinter dem Ablehnen einer einheitlichen Kleidung grundsätzliche Bedenken gegen das Veränderungsvorhaben verbargen. 

Warn- und Hab-Acht-Signale

Feine Antennen für die Emotionen vor allem ihrer Mitarbeitenden benötigen Führungskräfte unter anderem, weil Emotio­nen im Unternehmenskontext selten offen artikuliert werden. Deshalb kann zum Beispiel die Aussage eines Mitarbeiters «Das geht nicht» stets zweierlei bedeuten

  • «Das funktioniert aus fachlichen Gründen nicht» und 
  • «Ich möchte dies aus persönlichen Gründen nicht». 

Was zutrifft, müssen Führungskräfte zumeist erst ermitteln. Auch deshalb benötigen sie ein feines Gespür für Menschen, Situationen und Konstellationen, damit sie gewisse Aussagen richtig einschätzen und hierauf angemessen reagieren können. Deshalb sollten Führungskräfte ihren Mitarbeitenden eigentlich stets dankbar sein, wenn diese ihre Emotionen zeigen oder ihnen so signalisieren:

  • Achtung, hier sind Emotionen im Spiel. Und:
  • Vorsicht, hier sollten bei der Problemlösung Dinge beachtet werden, die ich beziehungsweise wir bisher nicht (ausreichend) auf dem Monitor hatten. 

Dies erleichtert es ihnen, tragfähige Lösungen zu erarbeiten. 

Emotionen anerkennen

Deshalb sollten Führungskräfte, die ein Positive Leadership anstreben, im Mit­arbeiterkontakt die Tatsache, dass eine Person emotionale Betroffenheit zeigt, zunächst würdigen und anerkennen. Zum Beispiel mit folgenden Worten: «Ich sehe, dass Sie das Thema sehr interessiert.» Oder mit Worten wie «Es freut mich, dass Sie sich so stark dafür enga­gieren, dass…».

Keinesfalls sollten sie auf emotionale Äus­serungen mit Killerphrasen reagieren wie «Regen Sie sich nicht so auf» oder «Lassen Sie die Kirche mal im Dorf». Denn solche Aussagen verursachen beim Gegenüber schnell emotionale Verletzungen, die nur schwer verheilen. Sie zer­stören letztlich das, was sich Führungskräfte von ihren Mitarbeitern wünschen: 

  • Identifikation mit ihrer Aufgabe sowie dem Unternehmen und 
  • die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren. 

Denn diese Tugenden setzen auch ein emotionales Engagement voraus.

Entsprechend sensibel sollten Führungskräfte reagieren, wenn Mitarbeiter Emotionen zeigen oder artikulieren. Denn dies kann verschiedene Ursachen haben. Emotionen können daraus resultieren, dass sich eine Person sehr stark mit ihrer Aufgabe identifiziert, weshalb sie auch für bestimmte Lösungen kämpft. Sie können aber auch daraus resultieren, dass sich ein Mitarbeitender zu wenig mit seinem Job identifiziert und zum Beispiel bei neuen Aufgaben stets sogleich denkt «Verflixt, jetzt muss ich den Kram auch noch erledigen». Dann ist eine andere Reaktion angesagt, als wenn die Emotion aus einer hohen Identifikation mit der Aufgabe und dem Unternehmen resultiert. 

Doch auch in einer solchen Situation sollten Führungskräfte auf die emotionale Äusserung nicht mit einer Killerphrase reagieren wie «Nun regen Sie sich mal nicht so auf». Denn dies trägt selten zur Problem- beziehungsweise Konfliktlösung bei. Zielführender ist es, dem Mitarbeiter zunächst zu signalisieren, dass man seine Emotionalität registriert hat – zum Beispiel mit den Worten «Herr Fischer, ich merke, dass meine Aussage bei Ihnen auf wenig Begeisterung stösst. Trifft dies zu?» Antwortet der Gesprächspartner «ja», kann die Nachfrage folgen: «Würden Sie mir bitte erläutern, was aus Ihrer Warte dagegen spricht, dass… » Das heisst: Die Führungskraft sollte sich zunächst nochmals ein Bild davon verschaffen, warum der Mitarbeiter so reagiert, um vorschnelle Schlüsse zu vermeiden. 

Konsequent handeln 

Zeigt sich dann beispielsweise, dass sich der Mitarbeiter zurecht überfordert fühlt, dann kann mit ihm eine tragfähige Lösung erarbeitet werden. Zeigt sich hingegen, dass der Mitarbeiter sich nicht ausreichend mit seinem Job identifiziert, dann sollte – sofern möglich – ebenfalls die Ursache hierfür ermittelt werden, um anschlies­send eventuell gemeinsam eine «Problemlösung» zu finden. Dies kann zum Beispiel eine neue Aufgabenverteilung sein.

In Einzelfällen kann es jedoch auch nötig sein, dem Mitarbeiter klipp und klar zu vermitteln: «Herr Fischer, vielleicht sollten Sie einmal Ihre Einstellung zu Ihrer Arbeit überdenken. Ich als Ihre Führungskraft und als Verantwortlicher für diesen Bereich erwarte von Ihnen, dass Sie… Und wenn Sie diese Erwartungen nicht erfüllen, dann sollten Sie mit folgenden Konsequenzen rechnen: … » Auch dies ist zuweilen eine angemessene Reaktion – selbst wenn darin ein gewisses Konfliktpotenzial ruht.

Denn Positive Leadership bedeutet keinesfalls, als Führungskraft jedes Mitar­beiterverhalten zu tolerieren. Dies verbietet sogar die Verantwortung gegenüber dem Unternehmen. Positive Leadership bedeutet jedoch, als Führungskraft erkennbar stets für gewisse Werte zu stehen, so dass die Mitarbeitenden auch in Konfliktsituationen die individuelle Wertschätzung spüren und das Führungsverhalten für sie berechenbar bleibt, weshalb das Vertrauensverhältnis «Führungskraft-Mitarbeiter» nicht gestört wird.

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