Mensch & Arbeit

Psychologie

Warum Führungskräfte auch Gefühlsmanager sein sollten

Führungskräfte müssen ihren Gefühlshaushalt und ihr Verhalten steuern können. Nicht nur um ein persönliches Ausbrennen zu vermeiden, sondern auch damit ihr Verhalten für ihre Mitarbeiter berechenbar bleibt und sie dieses als gerecht empfinden.
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Unternehmen sind soziale Systeme. Das heisst, in ihnen und für sie arbeiten viele Menschen. Und diese sind über zahlreiche Kommunikations- und Arbeitsbeziehungen miteinander verbunden. Deshalb spielen im Betriebsalltag auch Emotionen eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen das Arbeitsklima und die Arbeitsmotivation und somit auch die Effektivität der Zusammenarbeit. Das belegen zahlreiche Studien.

Führungskräfte prägen

Doch ist es im Betriebsalltag überhaupt erlaubt, Gefühle zu zeigen – speziell als Führungskraft? Oder erwarten Unternehmen von ihren Schlüsselpersonen wie Führungskräften und Projektmanagern nicht nur, dass diese ein dickes Fell haben und scheinbar grenzenlos belastbar sind, sondern auch stets gute Laune und Zu­versicht ausstrahlen?

Zweifellos ist es wichtig, dass in einem Unternehmen im alltäglichen Miteinander eine weitgehend «gute Stimmung» herrscht, unter anderem, weil der Umgang miteinander von einer gegenseitigen Wertschätzung und einem wechselseitigen Respekt geprägt ist. Denn nur dann identifizieren sich die Mitarbeiter auf Dauer mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber, sind motiviert und haben auch eine gute Ausstrahlung nach aussen – zum Beispiel im Kontakt mit den Kunden. Doch wovon hängt eine «gute Stimmung» beziehungsweise Arbeitsatmosphäre ab? Selbstverständlich auch von äusseren Rahmenbedingungen wie, ob es einem Unternehmen wirtschaftlich gut geht oder dieses unter einem massiven Ver­än­derungsdruck steht. Doch weit entscheidender ist das Verhalten der Führungskräfte. Denn sie prägen durch ihre Entscheidungen und ihr Verhalten weit­gehend den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter.

Deshalb sollten Führungskräfte ihren Gefühlshaushalt steuern können – und zwar so, dass sie trotzdem auf ihr Ge­genüber authentisch wirken. Denn zum Beispiel ein maskenhaft zur Schau gestelltes Lächeln wird vom Gegenüber schnell als unecht, weil aufgesetzt, durchschaut, und es schafft oft eher Misstrauen und dadurch Distanz. Es bewirkt somit häufig sogar das Gegenteil der intendierten Wirkung.

Gefühlshaushalt steuern

Eine zentrale Voraussetzung für das Steuern des eigenen Gefühlshaushalts ist, dass Führungskräfte zunächst einmal ­akzeptieren: Auch wir sind emotionale Wesen (aus Fleisch und Blut) mit Wünschen und Bedürfnissen, Ängsten und ­Befürchtungen, Vorlieben und Dingen, die uns widerstreben.

Das klingt selbstverständlich. Ist es aber nicht. Denn nicht wenige Führungskräfte haben das Selbstbild verinnerlicht, (rein) rational zu handeln und zu entscheiden. Zudem sind sie überzeugt: Als Führungskraft muss man auch mal die Zähne zusammenbeissen und darf seine Gefühle nicht zeigen. So zum Beispiel, wenn es aufgrund der exponierten Position in der Organisation den Mitarbeitern eine negative Nachricht zu überbringen gilt. Dann werden nicht wenige Führungskräfte zu einer Art Apparatschiks, die zwar die ­Fakten verkünden, aber dabei keinerlei Emotion zeigen – zum Beispiel aus Angst,

  • dann wirke ich schwach und wenig ­umsetzungsstark oder
  • dann werde ich in endlose Diskussionen verwickelt.

Die Folge: Die Mitarbeiter nehmen ihre Führungskraft nicht mehr als einen Menschen mit Herz und eine Person mit Einfühlungsvermögen wahr. Das belastet ihre Beziehung zur Führungskraft und dies wirkt sich wiederum auf ihre Ar­beitsmotivation aus. Denn zahllose Studien belegen: Mitarbeiter engagieren sich umso stärker für ihre Arbeit, je mehr sie sich mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten (und Kollegen) identifizieren können. Stimmt die Beziehung zu ihnen, dann fühlen sie sich im Unternehmen wohl. Also engagieren sie sich auch für dieses.

Gerecht und berechenbar sein

Eine Voraussetzung hierfür ist, dass sie ­ihren Vorgesetzten nicht nur als eine «Maschine» erleben, die ihre Funktion erfüllt, sondern auch als Mensch, der ihnen zuhört, sie versteht und wie sie mal gute und mal eher schlechte Tage hat. Deshalb sollten Führungskräfte im täglichen Umgang mit ihren Mitarbeitern durchaus Emotionen zeigen. Und sie sollten diese gezielt einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen.

Hierfür müssen Führungskräfte ihre emotionalen Reaktionen zunächst kennen. Doch dies allein genügt nicht. Führungskräfte sollten auch wissen, welche Faktoren die jeweiligen Reaktionen bei ihnen auslösen. Sie sollten also zum ­Beispiel wissen:

  • Jetzt reagiere ich gereizt, weil ich gestresst bin. Oder:
  • Jetzt weiche ich aus, weil ich einen Konflikt scheue. Oder:
  • Jetzt reagiere ich wütend, weil ich mich gerade selbst über einen Lieferanten geärgert habe.

Denn sonst verhalten sie sich gegenüber Mitarbeitern schnell ungerecht.

Emotionen zeigen, heisst also nicht wild um sich schlagen, sondern diese kontrolliert zeigen. So darf eine Führungskraft ruhig auch mal ihrem Frust Ausdruck verleihen, solange sie weiss, dass dies die Mitarbeiter nicht infiziert. Geäusserte negative Gefühle können gerade in schwierigen Zeiten sogar ein Medium sein,
um in einen persönlichen Kontakt zu den ­Mitarbeitern zu treten und ihr Ver­ständnis zu gewinnen. So zum Beispiel, wenn eine Führungskraft ihre eigene ­Verunsicherung darüber artikuliert, dass seit einigen Jahren gefühlt permanent solche unvorhergesehenen Ereignisse wie die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und so weiter alle Planungen über den Haufen werfen.

Führungskräfte sollten also lernen und akzeptieren, dass auch ihr Verhalten Gefühlsschwankungen unterliegt. Das heisst auch: Während sie manchmal auf gewisse Verhaltensweisen von Mitarbeitern eher gelassen reagieren, bringen diese sie in anderen Situationen in Rage – zum Beispiel, weil sie gerade gestresst sind oder schlecht geschlafen haben.

Gefühle dürfen schwanken

In einem gewissen Umfang sind solche Gefühlsschwankungen für ihre Mitar­beiter akzeptabel – insbesondere, wenn sie wissen, was die Ursache hierfür ist. Schliesslich wollen sie ihren Chef ja auch als Mensch erfahren. Zum Problem werden Gefühlsschwankungen oder -ausbrüche für die Mitarbeiter erst, wenn das Verhalten ihres Chefs hierdurch für sie unberechenbar wird. Denn dann erfahren sie dieses oft als ungerecht beziehungsweise unangemessen. Also gehen sie zu ihrem Chef emotional auf Distanz – auch weil sie nicht mehr wissen, wie sie sich verhalten sollen, um beispielsweise seinen Wutattacken oder seiner beissenden Kritik zu entgehen.

Deshalb sollten Führungskräfte dafür sorgen, dass ihr Gefühlshaushalt weitgehend in Balance ist. Hierfür muss ihnen bewusst sein, dass ihr Verhalten am Arbeitsplatz auch dadurch beeinflusst wird, wie zufrieden sie ansonsten mit ihrem ­Leben sind. Dem Lebensbalance-Modell von Nossrath Peseschkian zufolge lassen sich in unserem Leben vier Bereiche unterscheiden. Neben dem Bereich «Arbeit/Beruf» gibt es die Bereiche «Sinn/Kultur», «Körper/Gesundheit» und «Familie/Beziehung».Zwischen diesen vier Lebensbereichen besteht eine Wechselbeziehung. Deshalb verliert, wer zum Beispiel den Bereich «Arbeit/Beruf» langfristig überbetont, auf Dauer neben seiner Lebensfreude, auch seine Leistungskraft. Denn:

  • Wer krank ist, kann weder sein Leben in vollen Zügen geniessen, noch ist er voller Leistungskraft. Und:
  • Wer einsam ist, ist weder «quietschvergnügt», noch kann er seine volle Energie auf seinen Job verwenden. Und:
  • Wer in einer Sinnkrise steckt, ist weder lebensfroh noch sehr leistungsfähig. Denn hinter allem Tun steht die Frage: Was soll das Ganze?

Folglich sollten Führungskräfte für die rechte Balance zwischen den vier Lebensbereichen sorgen – auch um emotionalen Kurzschlüssen vorzubeugen.

Ausgleich ist erforderlich

In unserer modernen, von rascher Ver­änderung und sinkender Planbarkeit geprägten Arbeitswelt können insbesondere die Leistungsträger in den Unter­nehmen diese Balance in der Regel nicht Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat bewahren.

Denn im Arbeits­leben zum Beispiel von Führungskräften gibt es immer wieder Phasen, die sehr stressig sind – zum Beispiel, weil

  • ein wichtiges Projekt bis zu einem bestimmten Termin abgeschlossen sein muss oder
  • das Auftragsvolumen gerade sehr hoch, die Personaldecke aber recht dünn ist oder
  • das Unternehmen gerade einen Stra­tegiewechsel vollzieht.

Speziell in solchen Phasen, in denen sie auf die Unterstützung ihrer Mitarbei­ter besonders angewiesen wären, neigen Führungskräfte dazu, unberechenbar und ungerecht zu werden – weil sie selbst am Limit agieren. Die Folge: Ihre Mit­arbeiter verweigern ihnen die Unter­stützung.

Deshalb sollten Führungskräfte gerade in Stresssituationen hochsensibel ihr ei­genes Verhalten beobachten und darauf achten, dass sie aus Mitarbeitersicht nicht unmotiviert überreagieren. Das können sie nur, wenn sie selbst innerlich eine gewisse Ruhe bewahren und in der Lage sind, ihren Gefühlshaushalt zu steuern – zum Beispiel, weil sie wissen, was ihnen in Stresssituationen «gut» und «weniger gut» tut.

Manager der eigenen Gefühle

Zu Hilfe kommt ihnen dabei das Lebens­balance-Modell von Nossrath Peseschkian. Denn wenn die vier Lebensbereiche in einer Wechselbeziehung zu­einander stehen, können Führungskräfte, die unter einer hohen beruflichen Be­lastung stehen, diese zumindest für eine gewisse Zeit durch ein entsprechendes Ausgleichsverhalten in den anderen Bereichen kompensieren.

So ist zum Beispiel klar, dass eine Führungskraft, die beruflich unter Strom steht, darauf achten sollte, dass ihr nicht zudem noch private Probleme Energie rauben. Sonst schlägt das Gefordert-sein schnell in ein Überfordertsein um. Ebenso einsichtig ist es, dass eine Führungskraft, wenn sich beruflich immer mehr Stress und Adrenalin aufbaut, dafür sorgen sollte, dass in ihrem privaten Bereich die nötige Entspannung erfolgt – zum Beispiel indem sie regelmässig joggt oder irgendetwas anderes tut, das dem Stressabbau dient.

Diesbezüglich sollten Führungskräfte eine höhere Sensibilität entwickeln. Sie sollten sozusagen ihre eigenen Gefühlsmanager werden. Das ist nicht nur wichtig, damit sie selbst nicht «ausbrennen» und beispielsweise einen Burn-out erleiden. Das ist darüber hinaus auch nötig, damit sie in Stresszeiten für ihre Mitarbeiter eine emo­tional relativ ausgeglichene und folglich berechenbare Führungskräfte bleiben, denen diese (wenn zuweilen auch nicht gerne, so doch) bereitwillig folgen.

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