Mensch & Arbeit

Gesundheitsmanagement

Übertriebene Präsenz macht krank und unproduktiv

In vielen Unternehmen sind Mitarbeiter und Führungskräfte immer erreichbar – und erscheinen sogar krank zur Arbeit. Das kann zu Burnouts und längeren Ausfallzeiten führen. In einer positiv gelebten Unternehmens- und Führungskultur muss das nicht sein.
PDF Kaufen

Gesunde Mitarbeitende sind während der Arbeitszeit produktiv und engagiert. Sie zeichnen sich durch tiefe Fehlzeiten aus und halten Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Gesunde Mitarbeitende sind jedoch keine Selbstverständlichkeit. Das sollte jeder Führungsperson klar sein.Trotzdem erkennen die meisten Führungskräfte nicht die Alarmsignale, die anzeigen, dass ihre Mitarbeitenden gefährdet sind.

Dazu weiss Karin Ramseier, Case Managerin bei der Kranken- und Unfallversicherung Concordia, zahlreiche Beispiele. Hier eines davon: «Hans M. hatte die Bedeutung nicht erkannt, weshalb sein Mitarbeiter Fritz K. bis in die Nacht arbeitete und sich dabei immer mehr Überstunden anhäuften. Fritz K. erschien trotz seiner Grippe mit 39 Grad Fieber am Arbeitsplatz und schuftete weiter. Trotzdem kam K. mit seinen Aufgaben nicht ans Ziel.» Dies sei ein klassisches Beispiel von Präsentismus, wie es heute in zahlreichen Dienstleistungsunternehmen vorkomme, so Ramseier. Obwohl gesundheitliche Gründe dagegen sprechen, erscheint jemand am Arbeitsplatz – oft aus Angst vor Arbeitsplatzverlust.

Tag und Nacht E-Mails checken. Das ist eine Entwicklung, die Tim Bendzko in seinem Song «Nur noch kurz die Welt retten» sehr anschaulich beschreibt. Karin Ramseier kann in dieses Lied einstimmen: «Abends nochmals schnell online gehen, heisst für viele Manager, sich nochmals ins Geschäft einloggen und Mails schreiben. Dabei feststellen, dass auf versendete Mails auch um diese Zeit noch geantwortet wird, und schon sind zwei bis drei Stunden Freizeit abgearbeitet.» Offenbar nimmt der vermeintliche Erwartungsdruck an flexible Arbeitnehmende ständig zu (iga.Fakten 6). Mit modernen Kommunikationsmitteln – wie Smartphone, Internet und Notebook – fällt es heute niemandem mehr schwer, abends, am Wochenende oder sogar in den Ferien online zu sein und jederzeit auf E-Mails zu antworten.

Arbeitsmodell Home Office

Nicht, dass die modernen Kommunikationsmittel und die damit verbundene Erreichbarkeit per se schlecht wären. Viele Arbeitnehmende schätzen es sehr, dass sie sich die Arbeits- und Freizeit viel flexibler einteilen können. Home-Office-Days, wie der institutionalisierte 13. Juni, der 2013 zum vierten Mal stattfand (www.homeofficeday.ch), werden heutzutage in vielen Unternehmen als beliebtes Arbeitsmodell gelebt. Ein gut geplanter Home-Office-Day ist nicht nur eine Abwechslung zum Büroalltag. Arbeitnehmende, die davon profitieren, berichten, dass sie an solchen Tagen besonders effizient und kreativ arbeiten (iga.Report 23). Zudem fällt am Home-Office-Day der Arbeitsweg weg, was einen zusätzlichen Freizeitgewinn bedeutet. Und die Umwelt freut sich über viel weniger CO2-Ausstoss.

Wenn die permanente Erreichbarkeit jedoch dazu führt, dass jemand rund um die Uhr arbeitet und sogar krank der Arbeit nicht fern bleibt, müssen diese Zeichen als Warnsignale erkannt werden. Oftmals ist es den Betroffenen selber nicht bewusst, in welchem Zustand sie sich befinden und worauf sie zusteuern (blog.kvbern.ch). Dadurch, dass keine «natürlichen» Grenzen zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen vorhanden sind (nämlich ein klar definierter Ort und klar definierte Zeit, in der gearbeitet wird), liegt die Verantwortung zur Abgrenzung mehr und mehr beim Mitarbeitenden. Auch «Management by objectives», also die rein zielorientierte Mitarbeiterführung, fördert die Entgrenzung von Arbeit und anderen Lebensdomänen, sagt Karin Ramseier von der Concordia.

Die Realität zeigt es: Wer dauernd erreichbar ist, steuert auf einen Burnout zu. Denn niemand kann auf Dauer rund um die Uhr arbeiten. Oft sind Schlafstörungen, Nervosität und das Phänomen, dass Mehrfachbelastungen (Beruf und Familie) nicht mehr bewältigt werden können, einhergehende Phänomene. Es bildet sich ein Teufelskreis. (Kissling, 2011)

Die Folgen von Präsentismus betreffen nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch das Unternehmen. Krank zur Arbeit zu gehen, bedeutet für Betroffene, dass sich ihr Heilungsverlauf verzögert oder sie sogar verunfallen. Ebenso resultiert aus dem Verschleppen von Krankheiten und dem fehlenden Auskurieren oft ein län­gerer Arbeitsausfall. Weil kranke Mitarbeitende am Arbeitsplatz nicht die erwarteten Leistungen erbringen, schadet dies dem Unternehmen finanziell. Experten haben analysiert, dass die dadurch entstehenden Kosten höher sind als die eines effektiven Arbeitsausfalls. (iga.Fakten 6)

Die Generation Y (geb. ab 1980) hat Spass an der Technologie und am ständigen Onlinesein. Dagegen muss die Generation X (geb. 1960 – 1980) lernen, mit der permanenten Erreichbarkeit massvoll umzugehen (iga.Report 23). Es obliegt zu einem gewissen Teil den Betroffenen selber, den richtigen Umgang zu erlernen: Das Geschäftshandy ist in der Freizeit abgeschaltet und die geschäftlichen E-Mails werden am Abend und am Wochenende nicht mehr abgerufen. In einer guten Unternehmenskultur sind die Gesundheit der Mitarbeitenden und deren Life-Domain-Balance feste Bestandteile. Im ganzheitlichen Ansatz, der die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden und des Unternehmens berücksichtigt, ist die Erreichbarkeit optimal eingebettet (iga.Report 23).

Dem Begriff Präsentismus steht der Absentismus gegenüber. Das heisst aber nicht, dass die beste Prävention von Präsentismus in jedem Fall der Absentismus ist. Arbeitsmediziner empfehlen bei Rückenschmerzen keine Arbeitspause, bei psychischen Erkrankungen sogar am Arbeitsplatz zu bleiben respektive schnell an diesen zurückzukehren. Und das, obwohl ihnen bewusst ist, dass die Produktivität während solcher Präsentismuszeiten eingeschränkt ist (iga.Fakten 6).

Gesundheitsmanagement

Dem entgegen steht die betriebswirtschaftliche Betrachtung. Darin gilt Präsentismus und Absentismus als krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Arbeit. In diesem Fall ist betriebliches Gesundheitsmanagement die Lösung. An erster Stelle stehen beim betrieblichen Gesundheitsmanagement die Arbeitnehmenden. Diese sollen unbeeinflusst selber entscheiden, wann sie gesund oder krank sind und ob sie sich arbeitsfähig fühlen oder nicht. Um dies zu ermöglichen, müssen die Arbeitsbedingungen klar geregelt sein. Zudem bedarf es einer funktionierenden Arbeitsorganisation sowie einer entsprechenden Unternehmens- und Führungskultur.

Die Unternehmen sind zudem gefordert, den Arbeitnehmenden ergonomisches Arbeiten zu ermöglichen und die nötigen Voraussetzungen zum Erledigen der Arbeit zu schaffen. Arbeiten darf nicht krank machen. Dementsprechend muss die Arbeitsbelastung realistisch und erträglich sein. (iga.Fakten 6)

Wenn Mitarbeitende dennoch krankheitsbedingt fehlen, signalisieren Vorgesetzte Hilfsbereitschaft und Verständnis und führen, sobald wie möglich, Rückkehrgespräche mit ihnen. Wichtig ist dabei, Wertschätzung über die Präsenz glaubwürdig zu vermitteln und Vertrauen zu schaffen, dass der Arbeitsplatz wegen der Krankheit nicht gefährdet ist. Dafür braucht es eine entsprechende Führungskultur, die vom Unternehmen getragen wird, sagt Karin Ramseier.

In einer achtsamen Unternehmenskultur steht die Gesundheit der Mitarbeitenden im Vordergrund. Denn nur mit gesunden Mitarbeitenden sind Unternehmen erfolgreich. Eine nachhaltige Gesundheitskultur soll sowohl aus ethischen Gründen als auch aus ökonomischem Eigeninteresse etabliert werden.

Die Vorgesetzten in ihrer Vorbildfunktion spielen eine wichtige Rolle und müssen Teil einer positiv gelebten Führungskultur sein. So erreichen Unternehmen, dass ihre Mitarbeitenden gesund, produktiv und engagiert sind. «

 

Quellen

iga.Aktuell / iga.Fakten / iga.Report, www.iga-info.de

blog.kvbern.ch

Dr. med. Dieter Kissling (2011), «Wann macht Arbeit krank?»

Prof. Dr. Heike Bruch (2013), «Gesunde Führung»

Porträt