Mensch & Arbeit

Mitarbeiterentwicklung

Teamentwicklung im digitalen Zeitalter

In den meisten Unternehmen ist die Teamarbeit gängige Praxis. Deshalb zielen ihre Teamentwicklungsmassnahmen darauf ab, aus bestehenden Teams Hochleistungsteams zu entwickeln. Ausserdem gewinnt in der digitalen Welt die Entwicklung bereichs- und unternehmensübergreifender, oft virtueller Teams an Bedeutung.
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Neben der Projektarbeit ist heute die Teamarbeit in den meisten Unternehmen gängige Praxis. Dies wirkt sich auch auf die Zielsetzungen und Designs ihrer Teamentwicklungsmassnahmen aus. 

Eher selten werden Trainingsanbieter heute noch mit Anfragen konfrontiert, bei denen der Auftrag lautet: Aus einer Gruppe von Einzelkämpfern soll ein Team formiert werden. Oder die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern soll verbessert werden. Stattdessen lautet der Auftrag meist: 

  • Die Leistung eines bestehenden Teams soll gesteigert werden. Oder:
  • Die bereichs- und hierarchieübergreifende, oft sogar standort- beziehungsweise unternehmensübergreifende Zusammenarbeit soll verbessert werden.

«Norming» und «Performing»

Die Teams, die heute an Teamentwicklungsmassnahmen teilnehmen, haben also häufig bereits – geht man von den vier Stufen der Teamentwicklung «Forming», «Storming», «Norming», «Performing» aus – zumindest die ersten zwei Stufen durchlaufen. Es klemmt aber noch beim Performing. Das heisst, der gemeinsame Output stimmt noch nicht. Das Team entfaltet also noch nicht die gewünschte Wirkung. Und bei den bereichs- oder gar unternehmensübergreifenden Teams? Bei ihnen fand zudem häufig noch keine Verständigung über die folgenden Punkte statt:

  • Was verbindet uns? 
  • Welche Regeln gelten für unsere Zusammenarbeit? Und: 
  • Welche gemeinsamen übergeordneten Ziele gilt es bei ihr zu erreichen?

Selbst wenn die (informellen) Teams zuweilen schon seit Jahren kooperieren.

Die Ursachen, warum das «Performing» nicht stimmt, können vielfältig sein. Zum Beispiel, dass das Team beim «Norming» – als es unter anderem die Regeln für die Zusammenarbeit definierte – gewisse Dinge vergass. Oder dass die Arbeitsbedingungen und -anforderungen sich so stark geändert haben, dass die einmal getroffenen Vereinbarungen nicht mehr zeitgemäss und tragfähig sind. Oder dass neue Mitglieder ins Team kamen, die andere Werte und Vorstellungen von der Zusammenarbeit haben – was zu Reibungen, sprich Effizienzverlusten, führt. 

In all diesen Fällen geht es nicht um ein klassisches «Teambuilding» – also das Neuformieren eines Teams. Vielmehr soll die Zusammenarbeit verbessert und die Wirksamkeit erhöht werden – und zwar ausgehend von den realen Herausforderungen, vor denen das Team beziehungsweise Unternehmen steht. 

Das wirkt sich auch auf das Design der Massnahmen aus. Als Teambildungs- und -entwicklungsmassnahmen eher «out» sind heute solche Survivaltrainings, wie sie zur Jahrtausendwende Mode waren, bei denen die Teilnehmer zum Beispiel in einem Schlauchboot gemeinsam einen reissenden Fluss hinab fuhren. Einen solchen Schnickschnack können und wollen sich die Unternehmen heute nicht mehr leisten. Sie kommen heute, wenn überhaupt, nur noch im Vertrieb zum Einsatz. Und dort haben sie meist auch eine Incentive-Funktion. 

Neue Verfahren und Methoden

Auch der High-Ropes-Anlagen-Boom ist abgeebbt. Nur noch selten verbringen Teams heute ein, zwei Tage in einem Hochseilgarten. Das heisst nicht, dass diese Anlagen nicht mehr genutzt werden: Sie werden jedoch anders genutzt. Grosser Beliebtheit erfreuen sie sich noch, wenn es um das Entwickeln eines «Teamspirits» geht. So schicken Unternehmen zum Beispiel nicht selten, wenn ein neues Traineeprogramm in ihnen startet, dessen Mitglieder gemeinsam auf einen solchen Parcours – auch damit zwischen den neuen Mitarbeitern persönliche Beziehungen entstehen und diese auch emotional in der Unternehmung ankommen.  Wenn es aber um das Entwickeln oder genauer gesagt das Weiterentwickeln eines Teams geht, dann setzen die Unternehmen zunehmend auf andere «Instrumente». Und zwar unabhängig davon, ob die Teams aus Mitarbeitern

  • einer Abteilung oder eines Bereichs,
  • mehrerer Abteilungen oder Bereiche oder gar
  • verschiedener Unternehmen bestehen.

So führen heute zum Beispiel manche Unternehmen Teamseminare durch, bei denen die Teilnehmer gemeinsam kochen. Bei anderen malen sie gemeinsam ein grossformatiges Bild. Das Ziel hierbei ist stets: Aus den Verhaltensmustern, die die Teilnehmer beim Lösen der Teamaufgabe zeigen, sollen in der «Reflektionsphase» zunächst Rückschlüsse auf das Verhalten im Arbeitsalltag gezogen werden. Und in der anschliessenden «Transferphase»? In ihr sollen Vereinbarungen getroffen werden, um die Zusammenarbeit zu verbessern und die Performance zu steigern.

Offener und selbstkritischer

Als Begründung für diesen «Umweg» wurde in der Vergangenheit oft genannt: Wenn die Teilnehmer zunächst ihr Verhalten zum Beispiel beim gemeinsamen Bauen eines Iglus oder Lenkdrachens reflektieren, dann nehmen sie, wenn «Knackpunkte» angesprochen werden, nicht sogleich eine Verteidigungshaltung ein – anders ist dies, wenn unmittelbar ihr Verhalten am Arbeitsplatz thematisiert wird. 

Zunehmend sind die Unternehmen jedoch nicht mehr bereit, solche «Umwege» zu gehen – oder sie erachten diese als nicht mehr nötig. Auch aus folgendem Grund: Die (jungen) Mitarbeiter der Unternehmen heute sind – verallgemeinert formuliert – andere Typen als die Mitarbeiter noch vor 15 oder 20 Jahren. Sie sind nicht solche «Betonköpfe», wie dies früher die Mitarbeiter zum Teil waren. Sie fragen sich auch nicht mehr, wenn sie mit einer neuen Anforderung oder Aufgabe konfrontiert werden, sogleich: Ist das mit meiner Stellenbeschreibung vereinbar? Die jungen Leute heute – zumindest die, die das Potenzial für exponierte Positionen haben – sind deutlich teamfähiger und offener für neue Aufgaben, als dies die Mitarbeiter früher waren. Ausserdem sind sie kritikfähiger und flexibler in ihrem Verhalten. Für die Unternehmen bedeutet dies: Sie müssen weniger Überzeugungsarbeit leisten, wenn es um notwendige Verhaltensänderungen geht. 

Dies gilt auch, weil die meisten Mitarbeiter heute verinnerlicht haben, dass sie letztlich sowohl als Individuum als auch als Team daran gemessen werden, welchen Beitrag sie zum Erreichen der Unternehmensziele geleistet haben. Bewusst ist dies heute fast allen Mitarbeitern. Unklar ist ihnen jedoch häufig noch, was dies für ihre Alltagsarbeit bedeutet. Ebenso ist ihnen oftmals nicht klar, wie sie sich verhalten müssen, wann und wie sie kooperieren sollen, um die gewünschten Resultate zu erzielen. 

Beziehungen analysieren

An diesem Punkt setzen denn auch fast alle «modernen» Massnahmen in der Team-entwicklung an. In ihnen wird, zumindest wenn die Teilnehmer bereits Teamerfahrung haben, meist darauf verzichtet, beispielsweise durch ein gemeinsames Floss-Bauen ein «künstliches Referenzerlebnis» zu schaffen. Stattdessen wird oft folgendes Vorgehen praktiziert. 

Zunächst werden mit einem Analysetool wie zum Beispiel dem Connection Scan der Charakter und die Intensität der Beziehungen zwischen den Teammitgliedern ermittelt. Untersucht werden in diesem Kontext unter anderem Fragen wie:

  • Wie viel Bereitschaft zu Kooperation sowie wechselseitiger Kommunikation und Information besteht im Team? 
  • Wer wird einbezogen und wer wird ausgegrenzt? 
  • Wer kommuniziert mit wem wie oft? 

Die hierbei gewonnenen Informationen werden danach grafisch so aufbereitet, dass letztlich eine Art Landkarte der Beziehungen zwischen den einzelnen Teammitgliedern entsteht. In dieser grafischen Darstellung der Analyseergebnisse gibt der Abstand zwischen den Personen Auskunft über die Nähe von deren Beziehung und die Frequenz, mit der sie miteinander kommunizieren. Zudem gibt die jeweilige Farbe die Anzahl der Verknüpfungen der betreffenden Person wieder, sodass die aktiven «Hotspots» und die eher inaktiven «Kältezonen» in dem Beziehungsnetzwerk sichtbar werden. 

Den Changebedarf definieren 

Basierend auf diesen Analyseergebnissen fragen sich anschliessend die Teammitglieder unter Anleitung eines Beraters oder Coaches anhand der Aufgaben und Herausforderungen, vor denen sie im Arbeitsalltag stehen: Wo besteht Veränderungsbedarf? Welche «Kältezonen» im Beziehungsnetzwerk sollten zum Beispiel eher «Hotspots» sein, damit wir als Team optimal funktionieren und die gemeinsamen Ziele erreichen? Was sollte sich hierfür im Bereich Zusammenarbeit, Information und Kommunikation verändern? Und: Welche Personen sollten zum Beispiel enger kooperieren und häufiger und intensiver miteinander kommunizieren?

Aus diesem Abgleich leiten die Teammitglieder dann konkrete Regeln sowohl für das kollektive als auch das individuelle (Kommunikations- und Informations-)Verhalten ab. Das heisst, sie verständigen sich auf Regeln und Standards, die künftig für ihre Zusammenarbeit gelten –  mit dem übergeordneten Ziel, die Wirksamkeit der einzelnen Mitglieder zu erhöhen und die Performance des Teams zu steigern.

Entwicklung «virtueller» Teams

Dieses Vorgehen gewinnt insbesondere bei der Entwicklung crossfunktionaler sowie bereichs- und hierarchieübergreifender Teams an Bedeutung – bei denen, wie Studien zeigen, aufgrund der zunehmend vernetzten Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen ein sehrgrosser Handlungs- beziehungsweise Optimierungsbedarf besteht; ausserdem bei der Entwicklung standortübergreifender sowie unternehmensübergreifender Teams, die in der digitalen Welt zunehmend an Bedeutung gewinnen. Denn bei diesen Teams handelt es sich in der Regel um mehr oder minder virtuelle Teams. 

Das heisst unter anderem: Die Teammitglieder treffen sich nicht mehr, weil sich ihre Arbeitsplätze unter einem Dach befinden, nahezu täglich und tauschen sich hierbei – und sei es nur im Flur – auch über ihre (Zusammen-)Arbeit aus. Deshalb besteht gerade bei standort- beziehungsweise unternehmensübergreifenden Teams die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit gezielt zu organisieren und die Teamentwicklung mit System zu forcieren, denn sonst erbringen sie die gewünschte Leistung nicht. 

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