Mensch & Arbeit

Mitarbeiterführung

Speak up – schwelende Konflikte lösen

Schwelende Konflikte zwischen Mitarbeitern und/oder Führungskräften sind ein grosses Hindernis für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung. Eine sogenannte Speak-up-Kultur zu etablieren, in der Mitarbeitende auch sensible Themen offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen kommunizieren können, kann diesen innerbetrieblichen Stolperstein ausräumen.
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Verschiedene Faktoren können dazu beitragen, dass die Kommunikation zwischen Mitarbeitern in Betrieben erschwert ist. Da können zum Beispiel innerbetriebliche Defizite bei der Organisation von Bedeutung sein, dass Sicherheitsbedenken nicht angesprochen werden. Wenn Mitarbeitende schweigen, ist dies oft das Resultat eines Abwägens – «soll ich, soll ich nicht?». Sie haben Angst, Berufskollegen zu ­diskreditieren, gute Arbeitsbeziehungen zu gefährden und weitere Stakeholder zu verunsichern. 

Voraussetzung für Speak up

Bevor Mitarbeitende das Gefühl haben, am Arbeitsplatz immer ehrlich sein zu können, müssen sie erst einmal Vertrauen aufbauen. Dieses Gefühl wird unter dem Begriff «Psychologische Sicherheit» zusammengefasst und bezeichnet eine vollkommen angstfreie Umgebung. Abbildung 1 zeigt, dass Verantwortungsübernahme und psychologische Sicherheit nicht auf einem Kontinuum liegen (was entweder Verantwortungsübernahme oder psychologische Sicherheit bedeuten würde), sondern erfolgreich zusammenwirken können und damit auch Speak up zur Norm wird.

Der Begriff Speak-up-Kultur bezeichnet eine Umgebung, in der Mitarbeitende auch sensible Themen offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen kommunizieren können. Unternehmen pro­fitieren von solch einer Kultur in mehr­facher Hinsicht: Gerade kritisches Feedback von Angestellten ist besonders wertvoll für die Weiterentwicklung in allen Geschäftsbereichen. Ausserdem können schwelende interpersonelle Konflikte und unaufgeklärte Fälle von Fehlver­halten grossen Schaden anrichten. 

Eine Speak-up-Kultur ist abhängig von Normen und Erwartungshaltungen, es ist eine Kultur gegen Mobbing, Diskri­minierung und Belästigung. Sie ist wichtiger Bestandteil zur Schaffung eines vielfäl­tigen und inklusiven Umfelds, das von ­Respekt gegenüber jeder Person und jeder Meinung geprägt ist. Eine Speak-up-­Kultur hat nur Vorteile. Sie bezeichnet eine Umgebung, in der Mitarbeitende auch sensible Themen offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen kommunizieren können. 

Unbequem, aber nützlich

Es kann für Führungskräfte erst einmal unbequem erscheinen, wenn Angestellte sagen, was sie wirklich denken. Die Mitarbeitenden kennen die Prozesse in den einzelnen Geschäftsbereichen sehr gut, sprechen mit vielen Kunden und erkennen Schwachstellen oft früher als das ­leitende Management. Nicht selten sind Mitarbeitende für kritische Mitteilungen befangen. Studien zeigen zum Beispiel, dass mehr als die Hälfte aller Betroffenen schweigen, wenn sie dadurch am Arbeitsplatz persönliche Benachteiligung erfahren. Wieso werden viele Zwischenfälle nicht gemeldet? Prinzipiell gibt es zwei Dimensionen, die darauf einwirken, ob Menschen das Risiko eingehen, über kritische Themen zu sprechen. Introvertierte oder schüchterne Personen bringen von Natur aus weniger Bereitschaft mit, Probleme anzusprechen. 

Parallel dazu kommt die Angst vor Sanktionen oder sozialen Ablehnungen. Niemand möchte als illoyal wahrgenommen werden, wenn er sich kritisch zu Wort meldet. Deshalb ist es wichtig, zu kommunizieren, dass das Melden von Missständen ein wesentlicher Bestandteil des langfristigen Unternehmenserfolgs ist. Die Angst vor ­einer Entlassung ist der häufigste Grund, warum Mitarbeiter stumm bleiben. Das Melden von Abweichungen bleibt deshalb für viele Mitar­beiter ein schwerer Schritt. 

Mögliche Hürden

«Soll ich etwas sagen oder lieber den Mund halten?» Diese Frage stellen sich Arbeitnehmer immer wieder, wenn im Arbeitsalltag die Sicherheit durch falsches Verhalten von Kollegen, Kunden und das Unternehmen dadurch gefährdet ist. Warum ist es wichtig, seine Be­denken zu äussern, und wie kann man sich auf ein Speak up vorbereiten? Was hindert Mitarbeiter daran, Fehlverhalten und Missstände im Unternehmen zu melden? Verantwortliche sollten deshalb regel­mässig darüber informieren, dass das Melden von Missständen in den Verantwortungsbereich jedes Mitarbeiters fällt – unabhängig von der Position. Veranstaltungen, Schulungen, Feedback-Gespräche und Team-Besprechungen sind hierfür gute Gelegenheiten. Entscheidend ist, dass Vorgesetzte mit ­gutem Beispiel vorangehen, ihre Mitarbeitenden immer wieder zu Speak up ermuntern und diese positiv entgegennehmen.Wenn ein Mitarbeiter den Mut fasst, einen Verdacht zu melden, kann es entmutigend sein, wenn er oder sie kein Feedback zum Ergebnis der Meldung erhält. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihre Bedenken ernst genommen und untersucht werden und dass sie vom Unternehmen informiert werden, welche Konsequenzen sein Hinweis auf den Missstand hatte. Es bestehen nicht selten Unsicherheiten darüber, was wie gemeldet werden sollte und zu welchem Zeitpunkt. Deshalb ist von den Unternehmen eine Kultur zu ­fördern, in der auch einfache Bedenken vorgebracht werden können. So ist man eher auf der richtigen Seite, um Reputationsschäden zu vermeiden. Der Hinweis von der Firma Burckhardt Compression könnte als Anregung dienlich sein (siehe Box «Beispiel für eine Speak-up-Policy»).

Respektvolle Meldekultur

In der Luftfahrt-Industrie wird grosser Wert auf eine offene und faire Melde­kultur gelegt. Dadurch wird ein Umfeld geschaffen, in dem Menschen Sicherheitsbedenken melden können, ohne Angst vor Schuldzuweisungen oder Vergeltungsmassnahmen zu haben. Auch ­andere Branchen ziehen mittlerweile nach. Unternehmen stehen in der Pflicht, ihren Mitarbeitern zuzusichern, dass das Melden von Missständen keinen nega­tiven Einfluss auf die Karriere des Hinweisgebers hat. 

Eine Speak-up-Kultur liegt vor, wenn eine Organisation das Ansprechen von Bedenken und Fehlverhalten fördert, schätzt und schützt. Eine Speak-up-Kultur fusst vor allem auf vier Grössen: «Risiken eingehen, Fehler eingestehen, Fragen stellen, Probleme ansprechen».

Speak up, also das Äussern von Bedenken, wenn das Verhalten eines Kollegen oder auch eines Vorgesetzten eine potenzielle Gefahr darstellt, gehört zum guten Ruf eines Unternehmens. Es ist die verbindliche Kommunikation von Sicherheitsbedenken in betrieblichen Situationen, in denen es akuten Handlungsbedarf gibt – zum Beispiel durch Informationen, Fragen, oder Meinungsäusserungen. Oft funktioniert das auch ohne Worte – durch Mimik oder Gesten. Allerdings ist nicht jede kritische Äusserung im Arbeitsalltag als Speak up zu verstehen. Davon abzugrenzen sind Nörgeln, Kritik an den Bedingungen im Betrieb oder am grundsätzlichen Verhalten von Kollegen, ebenso auch das In­formieren der Belegschaft oder sogar der Öffentlichkeit über Missstände innerhalb ­eines Unternehmens. Es ist respektvoll und geschieht im besten Fall mit der Überzeugung, dass der Kollege nicht absichtlich gegen eine für die Sicherheit wichtige ­Regel verstösst oder einen Fehler macht.

Sicherheitsbedenken ansprechen

Das Ansprechen von Sicherheitsbedenken ist auch Basis für individuelle und organisationale Lernprozesse, die dazu beitragen, dass es sich in Zukunft nicht wiederholt. Die häufigste Motivation für Speak up ist es, Kunden und Mitarbeiter vor Fehlern und unerwünschten Ereignissen zu schützen. Gründe für Zurückhaltung und Schweigen ist häufig durch Hemmungen, vor allem gegenüber Vorgesetzten auf mögliche Gefahren ihres Verhaltens hinzuweisen. Gründe für Zurückhaltung und Schweigen gibt es viele. Der Wunsch, Kollegen nicht vor anderen blosszustellen oder nicht zu verunsichern, kann ebenso eine Rolle spielen wie die Angst vor der Reaktion des Angesprochenen oder vor negativen Folgen für das eigene Image und die Karriere. Auch die Unsicherheit über den richtigen Ton kann eine Barriere sein. Beim Speak up ist oft sofortiges Handeln nötig. In der Medizin müssen in Sekunden Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken abgewogen werden. Es lässt sich auch nicht genau voraussehen, ob eine Handlung negative ­Folgen haben wird, zum Beispiel ob der Patient durch die vergessene Desinfektion der Hände eine Infektion bekommen wird oder die Sache gut ausgeht. Obwohl Speak up unmittelbar geschieht, ist das Ansprechen von Sicherheitsbedenken auch Basis für individuelle und organi­sationale Lernprozesse, die dazu beitragen, dass Mitarbeiter und Kunden nicht demselben Risiko ausgesetzt sind.

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