Mensch & Arbeit

Arbeitspsychologie

Sinnhaftigkeit – mehr als schöngeistige Philosophie

Statistisch hat der Mensch rund 30000 Tage Lebenszeit. Einen grossen Teil davon verbringt er in einer Arbeitswelt. Weil die Arbeit einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensgestaltung hat, lohnt es sich, hier genauer hinzusehen und neue Möglichkeiten und neue Ansichten zuzulassen.
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Schon seit vielen Jahrhunderten denken Philosophen über die eine Frage nach: Was ist der Sinn des Lebens? Die universelle Antwort wurde auch von diesen Denkern nicht gefunden. Diese Tatsache war für viele Menschen der Grund, sich nicht weiter mit diesem Thema zu befassen. Sucht man allerdings nach dem Sinn des Lebens, impliziert das, dass es einen universellen Sinn gibt, der für uns alle gilt. Dieser Sinn ist – wenn man alle religiösen und spirituellen Ansichten ausblendet – wahrscheinlich wirklich nicht zu finden. Viel konkreter wird es, wenn man vom individuellen Sinn des eigenen Lebens spricht. Hier kann jeder Mensch für sich selber definieren, was dies sein soll. 

In den letzten Jahrzehnten hatte diese Frage in der breiten Öffentlichkeit allerdings keine grosse Resonanz. Am ehesten bei Menschen in der Mitte ihres eigenen Lebens. Da macht man sich oft kurz Gedanken, ob es das jetzt war und wie es weitergehen könnte. Die junge Generation orientierte sich lange an den Denkmustern der Eltern, die vor allem «Weiterkommen» und «Karriere» im Sinn hatten und damit ein starres Bild von Erfolg, Karriere und Wohlstand vorlebten.

Sinn und Menschen

Das alles sind gute Gründe, das Thema Sinn (im Unternehmen, aber auch im eigenen Leben) näher anzuschauen. Schliesslich geht es um das wertvollste, das wir be­sitzen: Unsere 30000 Tage Lebenszeit, die wir rein statistisch geschenkt bekommen haben. Wer bereits 40 Jahre alt ist, hat immerhin noch rund 15000 Tage. Wenn wir uns jetzt aber ausmalen, dass viele Menschen bei ihrer täglichen Arbeit nicht glücklich sind, ist das erschreckend. Denn Montag bis Freitag verbringt man acht bis zwölf Stunden (je nachdem, wie hoch man schon die Erfolgsleiter erklommen hat) damit. Ist diese Zeit nicht erfüllend, wird man mit einer entsprechenden Energie und Laune nach Hause kommen und die eigene Familie damit «anstecken» und (die Kinder) prägen. 

Wir lernen heute kaum, dass Arbeit auch Spass machen kann. Dabei hat schon Mark Twain gewusst: «Je mehr Vergnügen du an deiner Arbeit hast, umso besser wird sie bezahlt.» Finnlands neue Regierungschefin Sanna Marin (34) bringt die Viertage-Arbeitswoche mit sechs Stunden pro Tag ins Gespräch.

Auch wenn viele bereits verbal auf diese Idee einhauen, ist es richtig und wichtig, dass man neue Konzepte der Arbeitswelt offen diskutiert. Dafür muss man allerdings offen sein und auch kritisch auf das Bestehende schauen können. Denn Anwesenheitszeit ist ja nicht gleich Produktivität. Was passiert an den Tagen vor dem Urlaub? Bei den meisten Arbeitnehmern steigt da die Produktivität unglaublich an. Warum? Weil man weiss, warum man heute den Schreibtisch leeren muss. Bestehendes hinterfragen und diskutieren. Dabei darf man allerdings auch überlegen, was heute schon sehr gut ist und was man vom Bewährten übernehmen will. Immer mit dem Ziel, eine Arbeitswelt zu schaffen, die echter und ehrlicher ist.

Viel Business-Theater 

Dazu ein Rat: Hängen Sie in Ihrem Unternehmen eine «Business-Bullshit-Wand» auf. Wir sollten offen darüber nachdenken, was wir im Business eigentlich wirklich tun, ohne dass wir noch darüber nachdenken, warum wir es tun. In Ihrem Unternehmen hängt noch ein verwaistes Leitbild? Fragen Sie drei Führungskräfte in Ihrem Unternehmen, welche Werte da in Schönschrift verewigt wurden. Meist ist die Erfolgsquote gleich null. 

Und sogar, wenn jemand einen Wert noch zitieren kann, scheitert er bei der zweiten Frage, wie dieser Wert gelebt und kommuniziert wird. Natürlich gibt es Unternehmen, die das hervorragend leben und machen. Der Grossteil allerdings macht aus dem Leitbild eine Alibi-Massnahme. Welche Meetings sind eigentliche «Müdings»? Bei dem immer der Gleiche spricht und die teilnahmslosen Teilnehmer in ihr Smartphone blicken? Und natürlich sind immer alle Teilnehmer perfekt auf das Meeting vorbereitet. Denn wenn man dies ja nicht tun würde, würde das die Effektivität und die Ergebnisse des Meetings massiv schmälern.

Unsere Arbeitswelt ist existenziell für uns. Nicht nur, weil wir sehr viele unserer statistischen 30000 Tage Lebenszeit hier verbringen, sondern weil wir uns auch über unsere Arbeit in der Welt «positionieren». Die Arbeit hat einen wesentlichen Einfluss auf meine Lebensgestaltung, meinen Lebensstil. Darum lohnt es sich, hier genauer hinzusehen und neue Möglichkeiten und neue Ansichten zuzulassen.

Sinn «implementieren»

Sinn im Unternehmen zu «installieren», funktioniert anders als alle Prozesse bisher. Sinn kann nicht befohlen oder vorgegeben werden. Sinn kann auch nicht erst ab einer gewissen Führungsstufe implementiert werden. Das ganze Unternehmen muss sich dazu bekennen. Führungskräfte dürfen lernen, dass sie noch mehr in eine Coach-Rolle wachsen dürfen. Aber vor allem muss ihnen selber ihr Sinn bewusst sein. Und dann darf die Führungskraft das tun, was in der Funktionsbeschreibung steht, wozu sie allerdings nur ganz selten kommt: führen. Führungskräfte managen zu oft und arbeiten somit im Unternehmen, als das sie wirklich führen und damit am Unternehmen arbeiten. Ein elementarer Unterschied. Unternehmen sollten ihre Vision und Mission auf Sinn abklopfen und auch den Mut haben, Dinge, die keinen Sinn (mehr) machen, einfach zu streichen. Als Führungskraft hat man dann die Aufgabe, die persönlichen Beweggründe (das Warum oder Wozu) den Mitarbeitenden immer wieder zu kom­munizieren. Der Sinn des Unternehmens muss in jeder Kommunikationsmassnahme mitschwingen und erkennbar sein.


Bisheriges Tun hinterfragen

In der Vergangenheit hat man versucht, Mitarbeiter zu motivieren und hat gelernt, dass dies nur sehr begrenzt und kurzfristig funktioniert. Dann wurde mit Goodies um sich geworfen, von kostenlosen Getränken bis zum eigenen Fitnesscenter. Menschen gewöhnen sich allerdings enorm schnell an eine verbesserte Lage. Das hat mit der (inneren, intrinsischen) Motivation allerdings nur wenig zu tun. Wir müssen erkennen, dass es nur dann eine Veränderung gibt, wenn immer mehr Menschen erkennen, wozu sie früh morgens aus dem Bett steigen. Dass sie wichtig sind und einen wichtigen Beitrag für andere Menschen leisten dürfen. 

Das Fazit: Wenn wir noch einigermassen erfüllend und vor allem bewusst leben möchten, kommen wir nicht an der Sinnfrage vorbei. Dieses Bewusstsein ist ein wesentlicher Faktor, der uns vor einem Burn-out fernhält und uns erlaubt, weiterhin die richtigen und wichtigen Fragen zu stellen. Fragen an uns selber, aber auch an die Arbeitswelt. Und die Arbeitswelt wird sich nur verändern, wenn wir uns immer mehr entscheidende Fragen stellen. Sie wird sich nur ändern, wenn wir offener sind, unser bisheriges Tun zu hinterfragen. Und sie wird sich nur ändern, wenn wir jetzt damit anfangen. Schliesslich geht es nicht nur um die gesamte Arbeitswelt. Es geht hauptsächlich um uns und unsere (statistischen) 30000 Tage – oder was davon noch übrig ist. 

Porträt