Wer neue Wege beschreitet, geht dabei notgedrungen Risiken ein. Nicht selten ergeben sich aber gerade aus diesen Risiken und auftauchenden Problemen neue Impulse und Chancen. Diese Erkenntnis ist für viele, die mitten im Berufsleben stehen, nichts Neues. Trotzdem wird die Möglichkeit des Scheiterns als vitales und vitalisierendes Element in jedem Handlungsablauf und in Entstehungsprozessen häufig missverstanden und verspielt. Es wird versucht, ein Scheitern um fast jeden Preis zu vermeiden.
Die Angst-Weltmeister
Studien belegen, dass in der EU die Angst vor dem Scheitern viel grösser ist als zum Beispiel in Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Kanada. Ausgerechnet bei jungen Menschen zeigt sich dieser Trend am deutlichsten. Der Amway Global Entrepreneurship Report von 2015 mit dem Titel «Deutschlands Gründergeist unter den Schlusslichtern» besagt, dass sich 80 Prozent der Jungen gegen eine Selbstständigkeit entschieden haben – aus Angst vor Misserfolg. Obwohl im Vergleich zu anderen Ländern die staatlichen Förderungen für Start-ups überdurchschnittlich gut sind, rangieren die EU sowie die Schweiz, was Unternehmensgründungen betrifft, auf den hinteren Plätzen im internationalen Vergleich.
Viele junge Menschen entscheiden sich lieber für eine Stelle im öffentlichen Dienst oder bei einem Grossunternehmen. Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen dieser Gründungsmüdigkeit sind langfristig noch nicht absehbar. In den Vereinigten Staaten dagegen boomt die Gründersze-ne. Warum? Im Gegensatz zur EU hat sich in Amerika eine Fehlerkultur entwickelt, die das Scheitern nicht als Versagen wertet, sondern als Chance, besser zu werden.
Eine Frage der Bewertung
Amerikanische Führungskräfte schreiben sich sogar auf die Fahne, wenn sie einmal gescheitert sind. Denn dort gilt: Nur wer schon mal richtig auf die Nase gefallen ist, ist eine gute Führungskraft. Scheitern gleich Führungsqualität. Entscheidend ist natürlich, wie man nach der Pleite wieder aufsteht. Niederlagen zu vermeiden ist eine Sisyphusarbeit und leugnet die Tatsache, dass Stolpern schlichtweg zum Laufen dazugehört.
Was für den einen nur eine Etappe auf dem Weg zum Erfolg ist, bedeutet für den anderen jedoch eine Niederlage apokalyptischen Ausmasses, von der er sich nie wieder richtig erholt. Dazu kommt, dass viele Personaler von ihren Bewerbern einen lückenlosen Lebenslauf ohne Rückschläge erwarten. Eine fehlgeschlagene Existenzgründung oder ein anderer Stolperer in der Vita wirkt sich als Karrierebremse aus. Damit verwandelt sich der berufliche Misserfolg schnell zu einem persönlichen Makel, über den am besten geschwiegen wird.
Erkenntnisgewinn
Wer aber die eigene Niederlage sportlich nimmt und sogar spielerisch damit umgeht, erholt sich viel schneller von Fehlschlägen. Und es gibt sogar einen Bonus: Die neu gewonnenen Erkenntnisse können in zukünftige Projekte einfliessen. Mittlerweile gibt es auch in Europa erste Anzeichen, dass das Scheitern nicht länger das Stigma des Versagens trägt.
So erfreuen sich in einigen Grossstädten sogenannte «Fuckup Nights» zunehmender Beliebtheit. Statt Misserfolge zu vertuschen, betreten gescheiterte Gründer und Leader die öffentliche Bühne und schildern, wie sie auf die Nase gefallen sind.Sie zelebrieren es regelrecht.
Diese spielerische Form der Fehleranalyse wirkt Wunder. Menschen, die gescheitert sind, müssen sich nicht mehr verstecken und können andere davor bewahren, ähnliche Fehler zu begehen. Doch das ist nur ein erster Schritt.