Mensch & Arbeit

Führungskräfteentwicklung

Neu in der Chefrolle – Hürden und Hilfen

Nachwuchsführungskräfte haben zu Beginn eine Vielzahl von neuen Herausforderungen zu bewältigen. Die Einarbeitung und Eingewöhnung in die erstmalige Führungsfunktion ist eine anspruchsvolle und prägende Zeit für alle «Neulinge». Wie sie den Wechsel von der Fach- zur Führungskraft meistern können, skizziert dieser Beitrag.
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Paese & Mitchell halten in einer Studie aus dem Jahr 2007 fest, dass gute zwei Drittel der untersuchten Führungskräfte auf der untersten Führungsebene den ersten Schritt in die Führung als sehr bis extrem herausfordernd erlebten. Zudem besteht bei diesem Wechsel auch das Risiko, dass die ehemaligen Spitzenfachkräfte am Übergang scheitern. Dies kann dann auch durchaus zum Nachteil des Unternehmens sein. Daher ist es auch für die Unternehmung von gros­ser Wichtigkeit, dass die «Erstlinge» eine entsprechende Unterstützung beim Start erhalten. Hier kommen sowohl die direkten Vorgesetzten wie auch ausgewählte Coaches zum Zuge.

Die Herausforderungen

Erstmalige Führungskräfte sehen sich in ihrer neuen Rolle mit sechs spezifischen Herausforderungen konfrontiert.

  • Verantwortung für die Gruppe
  • Delegation
  • Fehlende Unterstützung
  • Soziale Isolation und Einsamkeit
  • Stress und Emotionen
  • Sandwichposition

Verantwortung für die Gruppe

Eine erste Herausforderung besteht darin, von der Koordination der eigenen Aufgaben zur Verantwortung für die Agenda einer Gruppe überzugehen. Miller (2006) vergleicht diesen Übergang zur erstmaligen Führungskraft mit dem Schritt von der Einzelperson zum Leben als Eltern. Der Fokus verschiebt sich dabei von den eigenen Bedürfnissen stark zu den Bedürfnissen von anderen. Dieser Wechsel geschieht dabei in einer derart kurzen Zeit, dass die nötige Lernkurve sehr steil sein muss.

Um in der neuen Rolle erfolgreich zu sein, muss die neue Führungskraft wirkungsvoll kommu­nizieren, delegieren, als Coach fordern und fördern sowie Ziele und Probleme auf dem Team-Level erreichen respektive lösen können. Es geht somit um die soziale Kompetenz, mit menschlichen Unterschieden und Problemen umgehen zu können. Erstmalige Führungskräfte müssen somit in der neuen Rolle einen komplett neuen Beruf erlernen, auf den sie trotz aller Managementausbildung oft schlecht vorbereitet sind. Genau diese Umstellung vom Lösen technischer und fachlicher Probleme zum Lösen von menschlichen Problemen wird von den neuen Führungskräften oft als besonders schwierig erlebt.

Delegation

Durch den Antritt der ersten Führungsfunktion sind die ehemaligen Fachkräfte gezwungen, von einem ausschliesslichen Selbstmanagement zu einem Management von anderen Menschen zu wechseln. Wenn man mit einer Beförderung zur Führungskraft belohnt wird, gilt es vorhandene Kompetenzen durch neu zu erlernende zu ergänzen und nicht mehr nur für sich selbst, sondern für ein ganzes Team verantwortlich zu sein. Eine erste Hürde bildet dabei das Lösen von der alten Rolle und das Abgeben von wesentlichen Teilen der früheren Aufgabe. Damit lässt sich die oft festgestellte Schwierigkeit, effektiv zu delegieren erklären. Es geht darum, sich neu an den Leistungen der einzelnen Mitarbeitenden und des Teams zu messen und zu definieren und nicht mehr, wie bisher, rein am persönlichen Beitrag.

Fehlende Unterstützung

Von Arnim (2001) hält in seinen Studien fest, dass den Befragten Neu-Führungskräften keine Unterstützung zur Verfügung stand, weder durch den Vorgesetzten noch durch die Personalabteilung oder durch interne oder externe Mentoren, Coaches oder Ähnlichen. Tobin & Edwards (2007) berichten, dass ihre Studienteilnehmenden zum Schluss kamen, dass sie in der neuen Rolle eher das Gefühl von Sicherheit und Kompetenz gehabt hätten, wenn sie in einer frühen Phase des Übergangs unterstützt worden wären. Bischoff (2004) hält in seiner Studie als Ursache für die fehlende Unterstützung fest, dass Fehler und Unsicherheiten von den erstmaligen Führungs­kräften gegenüber dem eigenen Netzwerk selten offen zugegeben, sondern eher vertuscht und getarnt werden. Man möchte nach aussen das entsprechende Idealbild abgeben und die Beförderung rechtfertigen. Sobald sie mit Vorgesetzten oder Kollegen aus dem eigenen Unternehmen über Ängste, Fehler und Unzulänglich­-keit reden, besteht das Risiko, dass die Gesprächspartner diese Informationen gegen sie verwenden. Dies erklärt womöglich, dass die durchaus hilfreiche Unterstützung nicht eingefordert wird. Bei allen Führungskräften, die erstmals in einer Führungsposition sind, treten Defizite auf. Diese gilt es rasch möglichst auszumerzen. Ohne Unterstützung von Dritten ist dies jedoch nur schwer möglich.

Soziale Isolation und Einsamkeit

Bischoff (2004) vergleicht die erste Führungsfunktion mit einem eigentlichen Seitenwechsel. Die bisherige schützende Verbindung mit Kollegen und der funktionierenden Zugehörigkeit zur Gruppe der Mitarbeitenden wird getauscht mit einer unbekannten Gruppe von Führungskollegen. Diese stärkere soziale Isolation in der Führungsposition wird von von Armin (2001) als ganz wesentliche negative Erfahrung in der neuen Führungsposition beschrieben.

Schafft eine neue Führungskraft den Rollenwechsel und den Anschluss an die neue Gruppe nicht und sucht weiterhin die Akzeptanz und Wertschätzung bei seinen ehemaligen Kollegen, dann ist die Gefahr gross, fehlzuschlagen. Es ist unbedingt erforderlich, sich zu lösen, um richtige und möglicherweise auch unan­genehme Entscheidungen unabhängig treffen zu können.

Stress und Emotionen

Neue Führungskräfte stellen schnell fest, dass der Stress in der neuen Position grös­ser und entkräftender ist, als gemeinhin angenommen. Zum Stress des Übergangs kommt noch der Positionsstress. Letzterer gehört zu einer Führungsfunktion zwar dazu, jedoch leiden erstmalige Manager häufiger darunter, als dies bei Erfahrenen der Fall ist. Man stellt schnell fest, dass man jeden Tag mit Problemen und Konflikten konfrontiert wird, die man meist nicht zur vollen Zufriedenheit aller lösen kann.

Neue Führungskräfte sind oft überrascht, mit wie vielen Problemen sie sich tatsächlich beschäftigen müssen. Der Umgang damit, vor allem mit Problemmitarbeitenden, kann für erstmalige Führungskräfte recht aufreibend sein. Erschwerend kommt dabei die stärkere soziale Isolation (Einsamkeit) hinzu.

Sandwichposition

Gemäss Bischoff (2004) ist unter Sandwichposition die Herausforderung zu verstehen, sowohl den Erwartungen der Vorgesetzten (übergeordnete Führungsebene) wie auch den Erwartungen der Mitar­beitenden gegenüberzustehen und zu erleben, dass diese zum Teil auch widersprüchlich sind. Dies kann zu Konflikten und einem Identitätsdilemma führen. Es braucht hier also die Fähigkeit, die divergierenden Erwartungen zu gewichten und mit sich und allen Anspruchsgruppen so weit wie möglich in Einklang zu bringen.

Rolle der Vorgesetzten

Um sicherzustellen, dass erstmalige Führungskräfte beim Einarbeiten in ihre Rolle erfolgreich sein werden, braucht es, wie eingängig dargelegt, die Unterstützung der vorgesetzten Führungsebene. Diese müssen fähig sein oder lernen, als Coach zu handeln sowie schnelles, ehrliches und konstruktives Feedback zu geben. Ist die vorgesetzte Person dazu nicht willens (keine Zeit) oder nicht in der Lage (fehlende Fähigkeiten), multipliziert sich deren Unfähigkeit weiter in das Unternehmen hinein. Reine Trainings und Seminare genügen hier nicht. Zwar können die wesentlichen Grundkenntnisse des Managements sowie einer Führungsaufgabe vermittelt werden, um diese aber auch in den Arbeitsalltag transferieren zu können, bedarf es einer erfahrungsbasierten und individuellen Unterstützung der neuen Führungskraft.

Unterstützungsmassnahmen

Unterstützung kann eine erfahrene vorgesetzte Person bieten. Als wirksame und wichtige Massnahme zur Unterstützung werden von neuen Führungskräften professionelle Mitarbeitendengespräche, offenes Feedback und aktives Coaching genannt und gewünscht.

Mitarbeitendengespräch

Ein wirkungsvoll geführtes Mitarbeitendengespräch ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt aller Qualifizierungsmassnahmen. Diese periodischen Rück- und Ausblicke haben zusammenfassend zum Ziel, die Erwartungen der vorgesetzten Stelle an die unterstellte Führungskraft und an deren Team auszutauschen, die Leistungen zu beurteilen, Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zu diskutieren sowie künftige Ziele und Entwicklungsmassen zu vereinbaren. Derartige Standortbestimmungen sind dabei mit erstmaligen Führungskräften nicht nur einmal jährlich, sondern mindestens semesterweise zu führen.

Feedback

Feedback ist ein unabdingbares Mittel, um Mitarbeitende gezielt und zügig zu fördern. Damit werden zwei Ziele erreicht: Mit positivem Feedback soll erfolgreiches und erwünschtes Verhalten stabilisiert und verstärkt, Abweichungen vom gewünschten Verhalten sollen hingegen durch konstruktives Feedback korrigiert werden. Auf diesen Rückmeldungen kann der entsprechende Veränderungs- und Entwicklungsbedarf abgeleitet werden.

Effektives Feedback ist jedoch nicht einfach zu geben. Manche Vorgesetzte sind sehr zögerlich damit, weil sie Angst vor unliebsamen Reaktionen des Empfängers haben und keinen Konflikt oder Demotivation schüren wollen. Jedoch sind das Bedürfnis und der Wunsch nach Feedback bei neuen Führungskräften eindeutig vorhanden, um die beschriebenen Herausforderungen gut meistern zu können.

Coaching

Gutes Coaching, also Hilfe zur Selbsthilfe, gilt als eine der besten Methoden, Mitarbeitende wirkungsvoll zu unterstützen und erfolgreich zu machen. Coaching kann bei einer Vielzahl von Herausforderungen und Situationen, wo das bisherige Verhaltensrepertoire nicht mehr genügt, wertvoll sein. Sei dies bei Schwierigkeiten zu delegieren, beim Umgang mit menschlichen Problemen, bei der eigenen Aussenwirkung, bei störenden Verhaltensmustern, beim Umgang mit stärkerer sozialer Isolation, bei Schwierigkeiten mit der Sandwichposition wie auch bei unerfüllten Erwartungen.

Ob dabei die direkten Vorgesetzten aufgrund der für das Coaching notwendigen Fähigkeiten und der fehlenden Unabhängigkeit die richtigen Personen sind, muss im Einzelfall entschieden werden. In meinem Alltag als Coach erlebe ich, dass gerade für erstmalige Führungskräfte auch die vorgesetzte Führungsperson oft Teil der Problemsituation und ein «Stressor» ist. Der eigene Chef ist somit meist der letzte, den neue Führungskräfte um Hilfe bitten. Damit das Coaching gelingen kann, sind die Unternehmen angehalten, ihre Vorgesetzten zur Übernahme dieser Rolle entsprechend zu qualifizieren oder interne oder externe qualifizierte Coaches beizuziehen, die durch ihre Unabhängigkeit und Neutralität einen Vertrauensbonus haben und dadurch oftmals mehr erreichen.

 

Autorisierte Quelle zu diesem Beitrag:

Barmet Erich, Brun Christoph: Heraus­forderungen der ersten Führungsfunktion und der Beitrag der vorgesetzten Stelle, Masterarbeit an der Kalaidos Fachhochschule Wirtschaft, 2013

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