Mensch & Arbeit

Gesundheitsmanagement

Mit Körperübungen den Stress abschütteln können

Stress wirkt sich negativ auf die Gesundheit und Produktivität aus. Auch die Motivation ist gefährdet, wenn über längere Zeit die Belastungen zu gross sind. Sieben Körperübungen, die in der Krisenhilfe entstanden sind, bauen Stress wirkungsvoll ab, erhalten die Leistungsfähigkeit und beugen dem Burn-out vor. Der Beitrag zeigt, wie das geht.
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Die neueste Erhebung des Job-Stress-Index in der Schweiz zeigt, dass der Anteil der Personen mit mehr Belastungen als Ressourcen erneut gestiegen ist; von 25,4 Prozent (2016) auf 27,1 Prozent (2018). Ein schlechtes Verhältnis von Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz ist nicht gut für Gesundheit und Motivation. 

Die Folgen von Stress sind zum Grundproblem für Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Methoden, die die Menschen nicht nur im Hamsterrad am Funktionieren halten, sondern die Lebensqualität und Gesundheit nachhaltig verbessern, sind heute wichtiger denn je.


Stressprävention

Um Stressprävention erfolgreich im Berufsleben zu betreiben, kann man per­sönlich einiges tun. Bekannt sind Sport, Yo­ga, Meditation als Ausgleich. Be­wegen, gesund essen, entspannen. Zu den konkreten Handlungsmöglichkeiten kommt eine weitere Methode, mit der sich Energiemangelzustände und Burn-outs vor­beugen lassen. Sie vermag Spannungen, Schmerzen, Stressverarbeitungsstörungen und sogar Trauma­ta aufzulösen. 

Die Methode heisst TRE, was abgekürzt steht für «Tension and Trauma Release Exercises», Anspannung und Trauma lösende Übungen. TRE ist eine Abfolge von Körperübungen, die das neurogene Zittern im Körper auslösen. Das Buch «Neuro­genes Zittern – Stress und Spannungen lösen. Das Original-TRE-Übungs­programm» fasst die letzten 15 Jahre (Stress-) Forschung zusammen und präsentiert die Übungen zur Selbsthilfe vollständig in Text, Bild und Video. Es beschreibt diesen neuen Ansatz zur Stressbewältigung und Burn-out-Prävention im Job, den man zu Hause einfach ausprobieren, erlernen und im Berufsalltag umsetzen kann. 


Heilsames Zittern

TRE sind sieben nicht anstrengende Körperübungen, die im Körper das neu­rogene Zittern auslösen. Die Idee, dass Zittern heilsam sei, ist für die meisten Menschen der westlichen Welt eher ungewöhnlich. Spontan hält man Zittern
oft für etwas Schlechtes, für ein Zeichen von Schwäche oder gar für ein Zeichen einer Erkrankung. In den meisten Fällen ist Zittern jedoch eine gesunde und gesunderhaltende Reaktion des Körpers.

Wenn man beispielsweise versucht, die Hände ein paar Minuten ganz ruhig frei in der Luft zu halten, kann man ein leichtes Zittern oder Zucken einzelner Finger oder auch der ganzen Hand be­obachten. Auch wenn unser Körper unter einem Mangel leidet, zeigt uns das Zittern, dass etwas fehlt: Zittern vor Kälte wärmt unsere Muskeln, so dass der Körper nicht geschädigt wird. Sobald der Mangel behoben ist, hört auch das Zittern wieder auf. 

Besonders nach einer grossen Anstrengung, aber auch nach aufwühlenden Situationen ist dieses normale, gesunde Zittern stärker. Die Sprache kennt viele Beschreibungen von Zittern in Zusammenhang mit starken Gefühlen: «Beben vor Wut», «Zittern wie Espenlaub». Das Zittern löst körperliche Anspannung, wenn die Anstrengung oder Bedrohung vorbei ist. Es ist ein evolutionär entstandener Reflex, über den Säugetiere verfügen. Tiere zittern auch oft spontan und bauen so Spannung ab. Bei vielen Naturvölkern ist das Zittern Teil von religiösen oder heilenden Ritualen. 


Körperliche Selbstheilung

Zittern oder Schütteln begünstigt die körperliche Leistungsfähigkeit und Selbst­heilung. Seit den 1960er-Jahren werden Vibrationen zur Leistungssteigerung bei Sportlern eingesetzt, niederfrequent und niederamplitudig, die EMS-Elektrosti­mulation. Sie regt die Muskulatur zu Regeneration und Wachstum an, und dies ohne Verletzungsrisiko. Neurogenes Zittern lockert aber nicht nur die Musku­latur und löst Steifigkeiten.

Es gibt erste Hinweise aus der Forschung, dass das neurogene Zittern positiven Einfluss auf unsere Darmflora hat. Die Schichten von Bakterien werden durch Vibrationen neu geordnet. Durch das Zittern, Schütteln und Vibrieren entstehen neue Verbindungen im Körper, die Durchblutung wird angeregt, entzündliche Prozesse reduziert. Durch die geringere Verspannung in Muskeln und Faszien verbessert sich das Körpergefühl: Dass die Grundstimmung und damit die Lebensqualität steigt, ist denn auch die häufigste Rückmeldung in den Wirkungsforschungsstudien zu TRE.

Die TRE-Übungen wurden von Dr. David Berceli in der Krisenhilfe entwickelt und in Englisch erstmals 2005 publiziert. Berceli hatte die Selbsthilfeübungen zuerst für Krisenhelfer zusammengestellt, damit diese nicht in ein Burn-out geraten und leistungsfähig in ihrer Arbeit bleiben. Dann wurden die Übungen in der Krisenhilfe selbst eingesetzt, um den Betroffenen nach Naturkatastrophen, Kriegen und Gewaltverbrechen zu helfen. 

Es ging nicht lange, da wurde das Militär auf TRE aufmerksam und setzte es in Veteranen-Programmen, aber auch Eliteeinheiten ein. Allmählich fasst TRE nun auch in der Therapie Fuss, vor allem in der Psychotherapie und Körpertherapie. Die Selbsthilfemethode wirkt auch dann, wenn man nicht über Belastendes sprechen will oder kann. Heute wird TRE in über 60 Ländern weltweit von zertifizierten TRE-Providern vermittelt, die Einzelpersonen und Gruppen das Loslassen und Zittern näherbringen.

Wie TRE wirkt

Das TRE-Übungsprogramm besteht aus sieben einfachen Körperübungen. In fünf vorbereitenden Übungen wird der Körper sanft gedehnt, die Nervenenden im Gewebe werden so stimuliert und das Körpergewahrsein gesteigert. Wichtig ist, dass man die Übungen im Wohlfühlbereich durchführt, ohne Leistungsdenken, fast ohne Anstrengung. David Berceli sagt von seinen Übungen, sie seien die «laziest exercises of the world», die faulsten Übungen der Welt. Die fünf Übungen lösen das neurogene Zittern im Körper aus, das man dann in den folgenden beiden Übungen stehend an der Wand und liegend am Boden erleben und geschehen lassen kann. 

Das neurogene Zittern senkt die Akti­vierung im Nervensystem und hat dadurch das Potenzial, den Organismus wieder in sein Gleichgewicht zurück­zubringen. Erfahrbar wird dies durch innere Ruhe, die sich einstellt, durch eine bessere Regulationsfähigkeit, mehr Energie und Resilienz. 

Je nachdem, wie gestresst der Orga­nismus ist, wenn man mit den Übungen startet, ist der Effekt unterschiedlich. Be­sonders deutlich wirkt TRE bei einer sehr hohen Aktivierung des Nervensystems. Dies ist bei einem Burn-out, bei Erschöpfung der Fall oder auch bei einer Depression.

Selbst wenn der Körper scheinbar keine Energie mehr hat, ist das Nervensystem nicht etwa schlaff, sondern teilweise überaktiviert, innere Ruhe und Erholung sind deshalb auch nicht mehr möglich. TRE hilft mit dem neurogenen Zittern, das Nervensystem zu deaktivieren, herunterzufahren. 

Durch die Bewegungen, die der Körper autonom – also von selbst – macht, kann die Erstarrung nach und nach verschwinden. Das neurogene Zittern aktiviert den Sympathikus, den Ast unseres autonomen Nervensystems, der unseren Organismus in die Zone des aktiven Bewältigens zurückbringt. Hier empfinden wir uns wieder als handlungsfähig und auch wieder leistungsfähig. 

Wer das neurogene Zittern unterbricht und Pausen macht, kann seine eigene Entspannung noch mehr fördern. Wenn wir Bewegung stoppen und anschliessend eine Weile regungslos sind, reagiert auch das Nervensystem. Der Teil des Parasympathikus, der für Entspannung zuständig ist, wird aktiviert: der ventrale Vagus. Die Entspannungsreaktionen werden dann direkt erlebbar: Der Speichelfluss steigt, die Augen sind wieder feucht, vorher schmerzhafte oder angespannte Muskeln können loslassen und in den Gedanken und Gefühlen kehrt Ruhe ein. Mit jeder Wiederholung lernt das Nervensystem, sich schneller und flexibler wieder selbst zu regulieren, und bleibt weniger in den hochaktivierten Zuständen stecken. 


Regelmässiges Praktizieren

Wird TRE über mehrere Monate regel­mässig angewendet, hat es sogar das Potenzial, dass es stressbedingt ent­standene Symptome lindern und ganz zum Verschwinden bringen kann. Schlafprobleme zum Beispiel oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Auch eigene Verhaltensweisen, die stressbedingt entstanden sind: Aggressionen zum Beispiel oder unterdrückte Wut, aber auch Flucht- und Rückzugsbedürfnisse zeigen sich
immer weniger. 

Grund dafür ist, dass das regelmässige Praktizieren von TRE nach und nach das gesamte Aktivierungsniveau des Ner­vensystems senkt. Durch das Erfahrbarmachen der inneren Ruhe und Entspannung. Und die sind mit fortschreitendem Üben nicht nur während des Übens er­lebbar, sondern immer mehr auch im Berufsalltag.

Erklärbar werden diese Effekte mit der Polyvagaltheorie von Dr. Stephen Porges. Dieser hat erst vor wenigen Jahren entdeckt, dass das parasympathische Nervensystem aus zwei Nervensträngen besteht: dem ventralen (bauchwärts, also zur Körpervorderseite hin) und dem dorsalen (zur Körperrückseite hin). Gut, sicher und verbunden fühlen wir uns, wenn der ventrale Nervenast aktiv ist. Gelähmt, ohnmächtig und einsam fühlen wir uns, wenn der dorsale Nervenast überwiegt. Die positiven Effekte von TRE beruhen auf der Aktivierung des ventralen Nervenstrangs. 

Besonders spannend an den Ergebnissen aus fünf Jahren Wirkungsforschung zu TRE ist, dass die Menschen sehr oft berichten, dass sie wieder Spass an ihrer Arbeit haben, dass sie wieder motiviert sind und dass sich ihre Beziehungen bei der Arbeit verbessert haben. Dass sie mehr Anerkennung erhalten. Dass sie konzentrierter und aufmerksamer bei der Arbeit sind. Dass sie weniger Fehler machen, bessere Entscheidungen treffen. Für viele ist TRE zu einem wichtigen Werkzeug geworden, mit dem sie die eigene Lebendigkeit und Leistungsfähigkeit im Berufsleben erhalten. 

Porträt