Mensch & Arbeit

Leadership

Mit couragiertem Führen brenzlige Situationen meistern

Es gibt Kontexte, in denen eine Führungspersönlichkeit darauf angewiesen ist, couragiert und mutig zu agieren. Dazu benötigt sie ein Kompetenzset, zu dem Fähigkeiten wie etwa Selbstreflexion und Potenzialentwicklung gehören.
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Warum überhaupt sollten Eigenschaften wie Courage oder Mut im Führungsrepertoire einer Führungspersönlichkeit eine dominante Rolle spielen? Das lässt sich am besten an Beispielen erläutern.

Wann es Mut braucht

Wenn eine Geschäftsführerin oder ein Inhaber in der Krise vor die Belegschaft, die Führungsriege oder die Presse tritt – oder besser gesagt: treten muss –, benötigt sie oder er Courage und Mut, um unliebsame Wahrheiten zu verkünden und zur eigenen Position zu stehen, insbesondere, wenn es unpopuläre Massnahmen zu vermelden gibt. Oder: Wenn es im Mitarbeitergespräch etwas zu kritisieren, zu tadeln, einen Konflikt zu lösen oder gar eine Kündigung an- und auszusprechen gilt und die Emotionen hochschlagen, ist eine Führungspersönlichkeit gleichfalls auf Courage und Mut angewiesen.

Letztes Beispiel: Die meisten Mitarbeitenden, insbesondere die engagierten und ehrgeizigen, wollen beurteilt werden – ehrlich, pointiert, zukunftsorientiert. Bei empfindlicheren Mitarbeitenden ist ein sensibleres Vorgehen not­wendig, und auch die kritikresistenten Mitarbeitenden brauchen Orientierung, selbst wenn sie das nicht immer akzeptieren wollen. Fest steht: In allen Fällen sind Courage und Mut erforderlich, um schmerzhafte und unbequeme Tatsachen motivierend und zielführend formulieren zu können.

Und dies umso mehr, als wir in einer Zeit leben, in der auf den Führungsetagen zuweilen zu viel Zuckerbrot verteilt wird und viele Führungskräfte in problematischen Situationen allzu vorsichtig agieren, um niemandem auf die Füsse zu ­treten. Weil sie die Störung des Wohl­fühlklimas befürchten, weichen sie der konfrontativen Auseinandersetzung aus und bevorzugen die Friedhofsruhe und eine Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre.

Es gibt viele weitere Beispiele, und darum lohnt sich der Blick auf das, was Courage überhaupt ist.

Courage und Integrität

Im Zusammenhang des couragierten Führens bedeutet Courage mehr als nur eine mutige Haltung. Denn auch eine entschlossene Führungskraft kann mit dem Mut der Verzweiflung untergehen, weil sie unnötigerweise zu hohe Risiken eingeht. Courage ist positiver besetzt, denn eine couragierte Haltung beruht auf ­Authentizität, Integrität und einem stabilen Rückgrat, das die Führungsper­sönlichkeit selbst bei heftigstem Gegenwind aufrecht voranschreiten lässt.

Während Mut oft einer konkreten Situation geschuldet ist, verdankt sich Courage einer zukunftsorientierten Haltung. Mut kann also einem Strohfeuer entspringen, Courage verdankt sich eher einer Gesinnung. Entscheidend ist, aus der couragierten Haltung verbindliche Handlungsprinzipien abzuleiten. Dazu gehört, zu sich selbst zu stehen und in jeder Führungssituation die Werte, Normen und moralisch-ethischen Überzeugungen mit Herzblut und Leidenschaft zu vertreten, für die man sich entschieden hat.

Führungspersönlichkeiten verfügen mithin über einen hohen Grad an Integrität und Stimmigkeit. Bei ihnen gibt es kaum oder selten einen Widerspruch zwischen dem, was sie tun, denken und äussern. Und als kongruente Menschen lassen sie sich nicht so rasch verbiegen.

Umfangreiches Kompetenzset

Eine Führungskraft wird nicht von heute auf morgen zu einer couragierten Führungspersönlichkeit. Und es gibt kein seriöses Seminar, nach dessen Besuch sie sich einen couragierten Menschen nennen darf. Was es jedoch gibt, ist ein Ka­talog an Kompetenzen, die sie sich an­trainieren kann, um sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln und das Konzept des couragierten Führens umzusetzen. Die Abbildung zeigt elf elementare Courage-Kompetenzen. Das Set beruht auf ­einer subjektiven Auswahl und liesse sich gewiss erweitern, aber die Kompetenzen gehören zu den Kernfähigkeiten.

Selbstreflexion als Basis

Die couragierte Führungspersönlichkeit hat keine Angst vor dem regelmässigen Blick in den Spiegel. Sie stellt die eigenen Entscheidungen und Handlungen fortwährend selbstkritisch infrage, denn nur so sind Fortschritt und Weiterentwicklung möglich. Die Selbstreflexion verlangt von ihr den Mut, von den eigenen Positionen zurückzutreten und andere Perspektiven einzunehmen, um diese möglichst unvoreingenommen zu prü­fen. Unumgänglich ist die Verabschiedung der eigenen standpunktverhafteten Sichtweise, das Verlassen des egozentrierten und oftmals egoistischen Standpunkts, der es unmöglich macht, nach Alternativen jenseits des konventionellen Denkens zu suchen.

Götz Werner, der kürzlich verstorbene Gründer von «dm-drogerie markt», hat dazu in einem persönlichen Gespräch ­gesagt: «Führungskräfte müssen sich aus Führungssituationen oder -aufgaben einfach mal gedanklich herausziehen, auf ­einen Berg steigen und das Ganze sinnbildlich von oben betrachten. Da wird manches schnell klarer.»

Leistung fordern und bieten

Liegen die Gründe für Minderleistungen allerdings im mangelhaften Willen eines Mitarbeitenden, verfügt die Führungspersönlichkeit über das Rückgrat, die Standfestigkeit und die Durchsetzungsstärke, sich notfalls von ihm zu trennen und ihm zu kündigen.

Zudem scheut sie sich nicht, in Zeiten, in denen Mitarbeitende aller Ebenen zu­weilen eine übertriebene Anspruchs­haltung an den Tag legen und vor allem damit beschäftigt sind, ihre Rechte einzufordern, ohne an ihre Pflichten zu denken, dezidiert auf die Beachtung eben- dieser Pflichten hinzuweisen. Oft heisst es, vollkommen richtig: «Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten.» Umgekehrt sollte es aber auch heissen: «Wer Sinn und Möglichkeiten zum eigenständigen Handeln und Entscheiden vom Unternehmen ­fordert, muss Leistung erbringen.»

So wichtig es ist, Mitarbeitende zu in­spirieren und ihnen Gründe zu geben, sich zu engagieren: Diese müssen auch bereit sein, etwas zu leisten und sich selbst dann einzusetzen, wenn dabei nicht immer ein sofort spürbarer Nutzen für sie herausspringt.

Gemeinsam über die Ziellinie

Führungspersönlichkeiten denken stets an das «grosse Ganze», übernehmen für sich, die Mitarbeitenden und ihren Zuständigkeitsbereich Verantwortung und agieren fokussiert und sehr ziel­orientiert. Letztendlich geht es darum, mit dem couragierten Führungsverhalten ­Zukunft zu gewinnen und Zukunft zu ­gestalten. Oft ruhen sie in sich selbst – sie haben ihr persönliches Kraftzentrum gefunden, von dem aus sie die Mitarbeitenden mit auf die Reise zur Zielerreichung nehmen. Durch die Konsequenz, mit der sie das tun, fungieren sie als Vorbilder.

Albert Schweitzer hat dazu einmal gesagt: «Das gute Beispiel ist nicht nur eine Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen. Es ist die einzige.» Die Vorbildwirkung hilft, das Engagement der Mitarbeitenden zu erhöhen. Sie ist eine direkte Dienstleistung an die Mitarbeitenden, weil die Führungspersönlichkeit ihre Handlungen und Entscheidungen an ihren Werten so ausrichtet, dass sich die Mitarbeitenden zur Nachahmung eingeladen fühlen. Auch das gehört zum Führen mit Courage: die Mitarbeitenden einerseits anzuleiten, zu führen und ihnen den Weg zu weisen – und sich andererseits als ihre Dienstleisterin zu verstehen, die den Weg freiräumt für gemeinsame bessere Arbeitsergebnisse.

Gegen den Mainstream

Mit einer couragierten Haltung gelingt es der Führungspersönlichkeit, strittige Themen und herausfordernde Führungssituationen anzupacken, eine nach vorn gerichtete Streitkultur zu etablieren, Konflikte lösungsorientiert anzugehen und Kritik förderlich zu äussern. Zudem kann sie schwierige, aber notwendige Ent­scheidungen rechtzeitig treffen, sich bei Widerständen durchsetzen und komplexe Veränderungsprozesse konstruktiv gestalten.

All dies gelingt ihr, weil sie sich traut, gegen den Mainstream zu argumentieren und mutig zu ihren Ecken und Kanten zu stehen. Sie will aktiv Seitenwege einschlagen, auf denen sich nicht die Mehrheit tummelt, und heisse Eisen und Probleme auch unter der Gefahr anpacken, sich die Finger zu verbrennen. Sie weiss: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, und nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt zur Quelle.

Potenziale entwickeln

Die Selbstreflexion im Besonderen und die Reflexionskraft im Allgemeinen bilden das Fundament für viele der weite­ren Inhalte des Kompetenzkatalogs, etwa die Entwicklung der eigenen Potenziale und die der Mitarbeitenden. Zur Entfaltung der persönlichen Potenziale betreibt die Führungspersönlichkeit Selbstmanagement. Während die Selbstreflexion ihr hilft, Verbesserungsbereiche zu identifizieren, versetzt sie das Selbstmana­gement in die Lage, entsprechende Umsetzungsmassnahmen zu ergreifen und durchzuführen. Selbstreflexion und umsetzungsorientiertes Selbstmanagement sind die zwei Seiten der Medaille «individuelle Weiterentwicklung».

Dezidiertes Ziel der couragierten Führungspersönlichkeit ist es, die Potenziale aller Mitarbeitenden zu entwickeln und auszuschöpfen, auch die der Low Per­former, also der Beschäftigten, deren ­Arbeitsergebnisse trotz ihrer fraglos vorhandenen Fähigkeiten zu wünschen übrig lassen.

Viele Führungskräfte tendieren dazu, die «Geringleister» aussen vor zu lassen und sich primär um die Weiterentwicklung der Topleute zu kümmern. Denn das ist die einfachere Aufgabe. Es erfordert Courage, sich auf die mühsame Suche nach den Stolpersteinen zu begeben, die die Low Performer daran hindern, bessere Ergebnisse zu erzielen, und dann die Blockaden aus dem Weg zu räumen und die brachliegenden Potenziale auch dieser Beschäftigten zu heben.

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