Während über die Notwendigkeit eines effektiven Compliance-Management-Systems in Unternehmen wohl Einigkeit besteht, ist die wahrgenommene Bedeutung von organisationaler Integrität als Grundvoraussetzung für den Unternehmenserfolg noch vergleichsweise niedrig anzusiedeln. Die Gründe sind unterschiedlicher Natur.
Zum einen ist Integrität ein sehr abstrakter und erklärungsbedürftiger Begriff, unterschiedlich interpretierbar und daher auch schwer innerhalb der Belegschaft zu vermitteln. Zum anderen gelten ethische Prinzipien wie etwa Fairness, Solidarität, Transparenz und Gemeinwohl im zahlengetriebenen Managementverständnis eher als weiche, teils fragwürdige Faktoren, die traditionell weniger Aufmerksamkeit erhalten.
Vorbeugung durch Integrität
Blosse Compliance und ihr Management in Unternehmen reichen aber nicht aus. Compliance heisst ja nicht mehr, als die geschriebenen Regeln und Gesetze zu befolgen. Integrität dagegen bedeutet, sich aus eigener Überzeugung im Einklang mit dem eigenen Wertesystem an gesellschaftliche Werte und Normen zu halten, geschriebene wie ungeschriebene, im Sinne eines ethischen Rahmens. Es geht also darum, dass Compliance dafür sorgen soll, dass Gesetze eingehalten werden. Während Integrität im Unternehmen dafür sorgt, dass auch in Graubereichen und bei Unsicherheit das Verhalten der Organisation nicht nur legal, sondern auch legitim ist.
Insofern bündelt ein Unternehmen mit Compliance und Integrität legales und ethisches Verhalten. Und somit muss neben der Errichtung performanter Compliance-Management-Systeme die Stärkung der Integritätskultur eine besondere Rolle spielen. Sprich: Integrität sollte als Haltung und Verhalten für die Organisation definiert werden.
Die Menschen im Unternehmen müssen verstehen, worum es geht. Wenn Menschen nicht verstehen, was gemeint ist, macht sich jeder seinen eigenen Reim darauf und die Organisation hat kein gemeinsames Grundverständnis zu dem Thema. Darüber hinaus sollten die Mitarbeiter eines Unternehmens aber auch verstehen, warum Integrität wichtig ist und wie Entscheidungen unter der Berücksichtigung von Integritätsaspekten zu fällen sind.
Prinzipien als Orientierung
Um mit einer gewissen Durchdringung dafür zu sorgen, dass Integrität verstanden wird, kann ein Unternehmen etwa Workshops pro Unternehmensbereich aufsetzen. Auch Informationskampagnen sind denkbar, ebenso wie Integritätsbotschaften im Intranet und bei den Welcome-Veranstaltungen für neue Mitarbeiter.
Eine weitere wichtige konkrete Massnahme wäre, dass der Vorstand oder die Geschäftsführung bei kommunikativen Anlässen Integrität nicht ausspart, sondern bewusst immer wieder erwähnt und auch erklärt, welche Risiken damit verbunden sind, wenn ein Unternehmen nicht integer handelt.
Sinnvoll ist es zudem, Prinzipien auf oberster Unternehmensebene zu formulieren, die ethische Normen des gesamten Unternehmens sind. Damit es eine Orientierungshilfe nach innen gibt: Welches Verhalten ist integer? Welche Entscheidungen sind integer? Es reicht nicht, der Belegschaft zu erklären, warum Integrität wichtig ist, sondern es muss auch klargestellt werden, was Integrität für das Unternehmen sein soll, wie es gemeint ist.
Als Massnahme bietet sich an, in Arbeitskreisen für unterschiedliche Fachbereiche zu erörtern, was konkrete Entscheidungssituationen des Bereiches wären, in denen sich integre von nicht-integren Entscheidungen unterscheiden. Idealerweise macht das auch nicht eine Integritätsabteilung im stillen Kämmerlein, sondern Arbeitsgruppen mit Meinungsführern, Abteilungsleitern und High Potentials, die dadurch während der Diskussion bereits für sich dazulernen und auch selbst am Ende davon überzeugt sind.
Integrität als Chefsache
Auf Top-Managementebene sollte zudem eine Position eingerichtet werden, die Integrität und Compliance verantwortet. Etwa als Vorstands- oder Geschäftsführungsressort. Damit es eine oberste Instanz im Unternehmen gibt, die dem Thema Bedeutung verleiht. Somit gibt es einen Verantwortlichen, bei dem die Fäden aller Bemühungen im Unternehmen zusammenlaufen, der das Thema treibt, mit einem Budget ausgestattet ist und regelmässig in den Vorstand oder in die Geschäftsführung hineinberichtet.
Die entsprechenden Mitarbeiter für diese Abteilung werden rekrutiert und entwickeln für das Unternehmen Know-how rund um Möglichkeiten und Grenzen von Integrität. Sie beobachten diesbezüglich das Verhalten der Wettbewerber, entwickeln Messkriterien für den Erfolg und wenden sie an, skizzieren Fahrpläne zur Veränderung und sind – kurz gesagt – der Nukleus der Integrität im Unternehmen. Und natürlich leben sie geradezu automatisch mit ihrem Verhalten auch Integrität vor, sind Mitstreiter zu diesem Thema an vorderster Front und im Austausch und Dialog mit Abteilungen und Standorten, um abgestimmt und gemeinsam die gesteckten Ziele rund um eine starke Integritätskultur zu entwickeln.
Wenn in kleineren Kreisen erste Integritätserkenntnisse gewachsen sind und die eigene Haltung, der eigene Anspruch eines Unternehmens definiert worden ist, dann braucht es Breitenwirkung. Die gesamte Organisation muss verstehen, was Integrität ist, warum sie so wichtig ist und wie sie gelebt werden kann. Denn natürlich denkt fast jeder Mitarbeiter erst mal: «Mache ich doch eh schon, mir muss das keiner erzählen.» Insofern sind Kommunikationskampagnen denkbar, aber auch die Nutzung aller kommunikativen Medien des Unternehmens, um das Thema zu platzieren, gegebenenfalls auch mit Botschaftern, Beispielen und Darstellung der Konsequenzen bei anderen Unternehmen oder im eigenen Unternehmen bei mangelhafter Integrität. So verstehen die Mitarbeiter besser die geschäftsschädigende bis existenzbedrohende Wirkung unzureichender Integrität im Unternehmen.