
Vier wesentliche Ursachen
Welche Entwicklungen führen zu mehr Stress und zur zunehmenden emotionalen Erschöpfung? Grundsätzlich sind vier Ursachen dafür verantwortlich: Zunehmende Komplexität, fehlende Grenzen, hoher Leistungsdruck und mangelhafter Purpose. Im Folgenden beschreibe ich diese wesentlichen Einflüsse:
Zunehmende Komplexität
Mit der technologisch-digitalen Entwicklung ist die Welt komplexer und schneller geworden. Unternehmerische Problemstellungen sind vielschichtiger geworden wie zum Beispiel Auswirkungen von Lieferengpässen aufgrund von temporären, Covid-bedingten Werkschliessungen.
Aufgrund der schnellen Entwicklungen erweitern sich Berufsfelder und neue Fachgebiete entstehen. Für tiefergehende Fragestellungen sind wir auf Experten angewiesen. Lineares Problemlösen im eigenen Verantwortungsbereich löst sich mehr und mehr durch interdisziplinäres Zusammenspiel im Team ab. Dafür benötigen wir entsprechende Problemlöse- sowie Teamkompetenzen. Wer diese nicht schon trainiert hat, kommt unter Druck und erfährt Stress.
Fehlende Grenzen
Aufgrund der Homeoffice-Möglichkeiten verweben sich geschäftliche und private Bereiche. Auch wenn das Remote-Arbeiten viele Vorteile mit sich bringt und wir an fast allen Orten der Welt erreichbar sind, hat dies auch beträchtliche Schattenseiten: Es fehlen natürliche Grenzen zwischen geschäftlicher Aktivität und klar definierten Erholungsräumen. E-Mails, SMS und Telefonate erreichen uns im Fitnessstudio, am Familientisch oder gar im Schlafzimmer.
Erreichbarkeit zu kanalisieren und den Alltag zu strukturieren, liegt an uns selbst. Dazu benötigen wir innere Klarheit und Stärke. In vielen Führungscoachings zeigt sich jedoch, dass es genau an diesen Fähigkeiten fehlt: Viele Leader, aber auch viele Mitarbeitende bekunden Mühe, klare Grenzen zu ziehen und zielführend für sich einzustehen. Unabhängig davon, ob von anderen erwartet oder aus einem überhöhten Selbstanspruch: Wir wollen für andere erreichbar sein, Antwortzeiten kurzhalten und möglichst keine relevanten Informationen verpassen. Dies erzeugt inneren Druck, wodurch wir Gefahr laufen, kontinuierlich «dran zu sein» und Regenerationszeiten zu minimieren oder gar ganz ausfallen zu lassen.
Massloser Leistungsdruck
Eine vollgepackte Agenda mit Back-to-back-Sitzungen, Wochenend-Arbeiten et cetera verweisen darauf, dass jemand aktiv und leistungsbereit ist. Wir leben in einer Gesellschaft, die Überflieger verehrt (Triathleten, Ärzte mit 70 Stunden-Wochen und viele andere). Wer viel Aktivität entwickelt und intensive Arbeitswochen ausweist, steigt in Ansehen und Status. In Konsequenz verknüpfen wir Geschäftigkeit mit Erfolg. Je mehr E-Mails eingehen und je öfter unser Telefon am Tag klingelt, umso mehr entsteht das Gefühl, dass wir gebraucht werden und auf dem Pfad des Erfolgs vorankommen.
Wenn die Kultur im Unternehmen auch noch kurze Antwortzeiten fordert und längere Absenzen argwöhnisch kommentiert werden, befeuert dies unseren Fokus auf Dringlichkeiten und auf unverhältnismässigen Aktivismus. Dies ist der Nährboden für emotionale Erschöpfung und damit für Burn-out.
Mangelhafter Purpose
Ein Harvard-Business-Review-Artikel aus dem Jahre 2019 zeigt auf, dass nur 28 Prozent von Mitarbeitenden sich dem Purpose einer Unternehmung verschrieben fühlen. So fehlt dem Grossteil der Führungskräfte als auch der Belegschaft das grössere Bild und das Wissen darum, wie der eigene Beitrag auf den Unternehmenserfolg einzahlt. Dies schlägt sich negativ auf die Motivation wie auch auf die Identifikation mit der Firma nieder. In Konsequenz kommt der Sinn der Arbeit abhanden, was Erschöpfung und Burn-out Vorschub leistet. Vorzeige-Beispiele, welche den Purpose konsequent ins Zentrum ihrer Aktivitäten und ihrer Kultur stellen, sind selten, dafür umso inspirierender.
Merkmale eines Burn-outs
Das Stressniveau hat derart zugenommen, dass sich die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahre 2019 gezwungen sah, Burn-out als arbeitsbedingte Krankheit zu klassifizieren. Burn-out wird darin als arbeitsbedingtes Phänomen mit folgenden drei Merkmalen charakterisiert:
- Gefühl von Energielosigkeit oder von Erschöpfung
- Innere Distanzierung zur Arbeit oder Gefühle von Negativität und Zynismus
- Rückgang der professionellen Effizienz
Damit liegen die Fakten auf dem Tisch, die Unternehmer und Leader aufrütteln sollten, das Möglichste für einen gesunden Umgang mit Stress am Arbeitsplatz zu tun.
Risiken minimieren
Wie können Unternehmer und Führungskräfte das Burn-out-Risiko im Unternehmen mindern? Aus der Praxis haben sich folgende drei Ansatzpunkte bewährt: Ursachen mit einer Unternehmensevaluation klären, der Chef geht als Vorbild voran sowie Stressoren frühzeitig erkennen und Prävention stärken.
Unternehmensevaluation: Verlässliche Faktenbasis schaffen
Ein ganzheitlicher Blick auf das eigene Unternehmen, der die zentralen Erfolgs- sowie die Risikofaktoren für Burn-out ausweist, bildet eine wichtige Grundlage. Eine Unternehmensevaluation (s. Box) kann mit einem gezielten Fragenkatalog fürs Gesamtunternehmen oder auch nur für eine kritische Business Unit erstellt werden.
Der Mehrwert eines solchen Unternehmens-Checks entsteht dort, wo Massnahmen bestimmt und umgesetzt werden: Auf Basis der ausgewiesenen Daten werden konkrete Vorgehensweisen empfohlen, welche sowohl Quick Wins (Prozess-/Strukturanpassungen) als auch umfassendere Verhaltensveränderungen (Kultur- oder Führungsentwicklung) ausweisen. Es ist offensichtlich, dass Verbesserungen wie geklärte Schnittstellen, etablierte Feedback-Schlaufen etc. weit über Burn-out-Prävention hinausgehen: Prozesse werden effektiver und Motivation sowie Mitarbeiterzufriedenheit steigen. Die Unternehmensevaluation bildet somit den Ausgangspunkt für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung.