Jedes Jahr kommt es in der Schweiz zu mehr als 270 000 Arbeitsunfällen, mehr als 700 täglich. Etwas mehr als jeder vierte Verunfallte im Beruf gleitet aus oder ab beim Unfall. Nach dem Aus- und Abgleiten von Personen ist das Getroffenwerden durch allerlei Gegenstände der zweithäufigste Berufsunfallhergang. 20 Prozent der Unfälle betreffen Stich-, Schnitt- oder Kratzwunden. Im besten Fall genügt ein Pflaster zur Wundversorgung, doch zuweilen sind lebensrettende Massnahmen nötig.
Wo gearbeitet wird, geschehen immer wieder Unfälle, und Mitarbeitende können auch während der Arbeitszeit akut erkranken. Erste Hilfe zu gewährleisten, liegt in der Verantwortung jedes Arbeitgebers. Deshalb gilt es für jedes Unternehmen, entsprechende Erste-Hilfe-Massnahmen und Vorkehrungen zu treffen. Das nötige Know-how und eine gut ausgerüstete Betriebsapotheke sind dabei entscheidend.
Gesetzliche Regelungen
Jeder Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die notwendigen Massnahmen des Gesundheitsschutzes getroffen und in ihrer Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werden. Die Details sind in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArG) definiert, in welchem der Bundesrat bereits 1993 den Artikel 36 zum Thema Erste Hilfe formuliert hat. In erster Linie werden somit dem Arbeitgeber Pflichten auferlegt. Die Mitarbeitenden sind jedoch verpflichtet, den Arbeitgeber dabei zu unterstützen. Zudem verlangt das Arbeitsgesetz, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen sowie belastende Einflüsse am Arbeitsplatz so weit wie möglich zu verhindern sind.
Entsprechend den Betriebsgefahren, der Grösse und der örtlichen Lage des Betriebs müssen deshalb die erforderlichen Mittel für die Erste Hilfe stets verfügbar und erreichbar sein. Nötigenfalls müssen auch eingerichtete Sanitätsräume und professionell ausgebildetes Personal – sogenannte Betriebssanitäter – zur Verfügung stehen. Die Sanitätsräume und Aufbewahrungsstellen für die Erste-Hilfe-Ausstattung müssen zudem gut sichtbar gekennzeichnet werden.
Mögliche Konsequenzen
Die Anweisungen geben oft Anstoss für breite Interpretationen und wilde Spekulationen. Was heisst, die Vorkehrungen für die Erste Hilfe müssen «entsprechend den Betriebsgefahren» getroffen werden? Welches sind die erforderlichen Mittel? Reicht eine Betriebsapotheke mit Pflaster und Verband zur Wunderversorgung? Wie gut ausgebildet muss das Personal sein? Und braucht auch ein Unternehmen mit fünf Mitarbeitenden eine eigene Betriebssanitäterin?
Um die Interpretationsmöglichkeiten der Verordnung zu reduzieren, veröffentlicht das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Wegleitung zur Verordnung 3 des Arbeitsgesetzes, die stets aktualisiert wird, um mit den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Die Wegleitung des Seco bietet eine Orientierungshilfe, wie die Erste Hilfe in den unterschiedlichen Betrieben zu gestalten ist.
Häufig verstehen die Unternehmen diese Wegleitung als eine unverbindliche Empfehlung. Doch was viele nicht wissen, ist, dass die jeweils gültige Ausgabe durchaus Weisungscharakter hat und demzufolge von Gerichten als rechtliche Grundlage beigezogen werden kann. Daraus folgt, dass ein Richter die Wegleitung bei einem folgenschweren Arbeitsunfall überprüft, um das Verschulden auf Seiten des Unternehmens zu bestimmen. Und wenn das Unternehmen dabei keine – dem Stand der Technik entsprechenden – Erste-Hilfe-Massnahmen umsetzt, muss es mit einer Strafe rechnen.
Hatte der Betrieb zwar eine Betriebsapotheke, aber nach dem letzten Notfall die aufgebrauchten Produkte nicht ersetzt, weshalb es zu einer Infektion mit langwierigen Folgen kam, dann ist das auch ein Verschulden des Unternehmens – wenn auch kleiner, als wenn gar keine Betriebs-apotheke vorhanden gewesen wäre. Das bedeutet, dass man sich an die jeweils gültige Wegleitung des Seco halten und allenfalls externe Berater beiziehen muss, welche zur richtigen Umsetzung verhelfen.