Mensch & Arbeit

Führungsverhalten

Emotionale Führung ohne Machtspielchen

Macht und Führung gehören zusammen, können aber unterschiedlich ausgelebt werden. Gerade wenn Führungskräfte gestresst und überfordert sind, verfallen sie in einen autoritären Befehlston, oft mit negativen Folgen. Denn wie ein Chef mit seiner Macht umgeht, hat grossen Einfluss auf die Teamstimmung, die Leistungsbereitschaft und die Ergebnisse.

Menschen in Führungspositionen tun gut daran, sich intensiv mit dem eigenen Machtverständnis auseinanderzusetzen. Leider geschieht das viel zu selten, allen Führungsseminaren zum Trotz. Es gibt viele Chefs, die auf ihrem Erste-Reihe-Parkplatz bestehen und jeden Tag aufs Neue durch Boss-Gehabe ihr Revier markieren. Sie geniessen die Macht und achten mit Designermode mehr auf ihre Aussenwirkung als auf ihr Unternehmen. Sie fördern Jasager und verwenden viel Energie darauf, ihre Dominanz zu verteidigen.

Harte und weiche Führung

Im Extremfall werden Talente und High Performer als Rivalen identifiziert und deren Erfolge und Ideen als eigene ausgegeben. Wer das einmal erlebt hat, weiss, wie sich das anfühlt. Es fragt sich allerdings: Kann eine solche Führung Mitarbeiter zur Top Leistung bewegen? Kann ein derartiger Chef sich noch reflektieren und weiterentwickeln, wenn er jedes Feedback im Keim erstickt?

Es gibt aber auch das andere Extrem. Diese Führungskräfte weichen Macht und Autorität aus. Sie wollen gemocht werden, ohne jemandem auf die Zehen zu treten. Sie zaudern bei Entscheidungen, geben lasche Anweisungen und tun sich schwer, damit Ziele einzufordern. Aus Angst vor Liebesentzug setzen sie sich nicht durch. Doch wer jedermanns Freund sein will, schafft es nicht auf den «psychologischen Chefsessel». Das tun dann dominantere Mitarbeiter, die sich als heimliche Chefs aufspielen.

Dieser zweite Typ wird kritisch als zu weich beäugt und soll in aufgedrückten Coachings lernen, endlich die Zügel in die Hand zu nehmen. Der revierstarke Platzhirsch hingegen geniesst den Ruf des Machers. Sein Spürsinn und seine Lust an der Macht helfen ihm, sich selbst im besten Lichte dastehen zu lassen und Beförderungen zu ergattern.

Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich beide Extreme als je automatisierte und unflexible Führungsweisen, die meist völlig unbewusst ablaufen. Das Fatale daran: Beide glauben, ihr Bestes zu geben, und bemerken nicht, wie sehr sie in ihrem Verhalten gefangen sind.

Die innere Haltung zählt

Im Umgang mit Macht geht es stark um die innere Haltung zu ihr, und diese ist immer eine Folge der Erfahrungen, die jemand mit Macht «gemacht» hat. Hier spielt die eigene Erziehung und wie man sie bewertet eine wichtige Rolle. Denn gerade Erziehung ist eng mit Machtausübung verknüpft – scheinbar ein Tabuthema, das man in den rein therapeutischen Kontext verbannt. Doch muss das so sein?

Als Chef die eigene Elternbeziehung zu reflektieren ist ein wirkungsvoller Reifefaktor im Entwicklungsprozess. Wer etwa als Mann den Vater wegen dessen Verhalten ablehnt, wird dominiert davon, «nur nicht so zu werden wie der».

Wer seinen Vater häufig als übergriffig empfunden hat, wird dominant empfundenes Handeln im Führungskontext ablehnen, auch wenn es situativ angemessen ist. Dieser mangelnde Zugriff auf Verhaltensweisen, die an die Kindheit erinnern, schränkt das Handlungsspektrum sehr ein. Coachs finden diese Muster oft bei Führungskräften, die keine Autorität ausüben wollen.

Anders verhält es sich bei Menschen, die hauptsächlich wegen äusserer Merkmale, Leistungen und Erfolge im Elternhaus Beachtung fanden, die kaum um ihrer selbst willen geliebt wurden und mitunter nur Gleichgültigkeit für ihren eigenen Charakter erlebten. Auch dies bildet sich im Führungsverhalten ab, wenn es unreflektiert bleibt.

Um die wesentlichen vier Fragen in diesem Prozess zu bewältigen, braucht es keinen Psychologen:

  1. Wie habe ich Macht und Autorität in meiner Kindheit erlebt?
  2. Unabhängig von meiner heutigen Beziehung: Was waren die Stärken und Schwächen meiner Eltern?
  3. Welche elterlichen Verhaltensweisen empfand ich negativ, und in welchem Kontext könnten sie mir dennoch in der Führung helfen?
  4. Welches Verhalten nahm ich positiv wahr, und in welchem Zusammenhang könnte es mich in meinem Führungsjob behindern?

Es ist nur natürlich, dass manche diese Fragen als unangenehm, inadäquat oder in Seminaren als zu gewagt empfinden. Doch es existieren auch andere Möglichkeiten, sich diesen Fragen zu nähern. So bieten etwa Techniken des Improvisationstheaters eine gangbare und spielerische Möglichkeit zur intensiven Beschäftigung und Reflexion mit dem eigenen Macht- und Ego-Verhalten.

Das Modell «Status»

In der Praxis ist die Rolle des Chefs vor allem eine Frage des Status. Im Modell «Status» des Improtheaters etwa geht man davon aus, dass sich bei jeder Begegnung zwischen Menschen bereits zu Beginn der Kommunikation ein Gefälle einstellt: Einer ist der Stärkere (Hochstatus), der andere der Schwächere (Tiefstatus). Dieses Gefälle wird durch subtile nonverbale (Blick, Körperhaltung, Mimik, Gestik, Intonation) wie verbale Signale (Fachsprache, Umgangssprache, Demonstration errungener Bildung) vermittelt – unbewusst aufgenommen sowie gespiegelt.

Unterschieden wird zwischen innerem und äusserem Status. Die Wirkung dieser Positionen basiert dabei auf den beiden Variablen Respekt und Sympathie. Hochstatus-Spieler wollen vor allem Respekt erzeugen, Tiefstatus-Spieler wollen vor allem gemocht werden.

Folgende Kombinationen in ganz verschiedenen Mischungsverhältnissen sind möglich.

  • Innerlich Tiefstatus, äusserlich Tiefstatus: demonstriert Unterlegenheit, gibt Kontrolle ab. Es gilt Sympathie um jeden Preis.
  • Innerlich Tiefstatus, äusserlich Hochstatus: demonstriert Überlegenheit, ist aber innerlich unsicher und bei möglichem drohendem Statusverlust nervös bis fahrig.
  • Innerlich Hochstatus, äusserlich Hochstatus: demonstriert Überlegenheit, nimmt Kontrolle. Hier gilt gewinnen um jeden Preis. Sympathie ist belanglos.
  • Innerlich Hochstatus, äusserlich flexibler Status: Ist innerlich in sich gefestigt und sicher, kann nach aussen hin spielerisch mit der Situation umgehen. Das Ziel zählt, nicht das Scharmützel. Balance zwischen Respekt und auch Sympathie.

Wer sich mit diesem Modell auseinandersetzt, entwickelt zunächst ein Bewusstsein für die subtilen und offensichtlichen Merkmale der verschiedenen Statuspositionen von Macht und Ohnmacht. Im nächsten Schritt wird erkannt, dass Status eine Folge des eigenen emotionalen Zustands und Verhaltens ist. Gleichzeitig lernt man viel über sein bevorzugtes Statusverhalten und dessen Auswirkungen. Das Ziel dabei ist es, bewusst zu reflektieren, innerlich zu innerer Stärke zu finden und äusserlich verhaltensflexibel zu werden – weg von automatisierten Handlungsweisen.

Der innere Kompass

Der eigentliche Held auf der Bühne bleibt die reflektierte, sich selbst bewusste Persönlichkeit. Dabei wirkt die eigene Einstellung zur Macht, zu Menschen und zu sich selbst wie ein innerer Kompass. Wo jedoch die Kompassnadel durch Unwissenheit und alten emotionalen Ballast blockiert wird, ist überall Westen.

Ein funktionierender Kompass ist unabdinglich, um wirkungsvoll führen zu können. Auf dem Weg dahin braucht die Führungskraft einerseits die Bereitschaft für diesen Prozess der Selbstentdeckung und andererseits die Bewusstheit über das eigene Verhalten, um wirkungsvoll handeln zu können. Die Methode, die man wählt, ist letztlich egal. Ob Biografie-Arbeit, Improtheater oder die innere Einkehr in der Stille eines Klosters: Es muss nur passen und angenommen werden. Das Ziel: Handeln zum Wohle des Unternehmens, der Mitarbeiter und seiner selbst, ganz im Sinne Euripides’: «Du hast die Macht, so üb auch Tugend!»

Porträt