Mensch & Arbeit

Mitarbeiterentwicklung

Emotionale Barrieren beseitigen und mit Nicht-Wissen clever umgehen

Fallende Preise, Kosten- und Budgetdruck, härterer Wettbewerb: Der Druck auf Unternehmen und deren Mitarbeitende wächst. Eine Antwort auf diese Herausforderungen liegt in der Entwicklung individueller und unternehmerischer Kompetenzen. Nachfolgender Beitrag zeigt Lösungsansätze.
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Es ist einfacher, in einer Hochkonjunktur Mitarbeiter zu führen als in schwierigen Zeiten. Denn zu guten Zeiten verzeichnen die Unternehmen Erfolge, die sie mit den Mitarbeitern feiern. Es darf gelobt werden und die Beteiligungsprogramme schütten genügend Geld aus.

Nicht so bei stagnierender oder gar schrumpfender Wirtschaft. Hier wächst der Druck auf Unternehmen und deren Mitarbeitende. Viele Firmen verzeichnen Fehlzeiten und Krankschreibungen aufgrund von Mitarbeiter-Unzufriedenheit. Unzufriedenheit, weil immer mehr geleistet werden muss für gleich viel oder weniger Geld. Und genauso schlimm: Lob und Anerkennung bleiben aus.

So bekommen unschöne Taktiken Aufschwung. Taktiken, welche dem Mitarbeiter wenigstens etwas zurückgeben, was er gefühlt verdient hat. Er kopiert private Dokumente, er rechnet private Autokilometer ab oder er «macht blau» nach einem ausserordentlichen Einsatz. Unter Umständen weiten sich die Grenzen nach und nach aus, es kommt zu Fälschungen, Hinterziehungen, Korruption, um dem Druck standzuhalten und um weiterhin zu Anerkennung zu kommen. Die Unternehmungen reagieren mit noch mehr Regelwerken, noch mehr Kontrolle, noch mehr Überwachungen und Bürokratismus. Ohne Erfolg.

Fragen der Sinngebung und Sehnsucht nach Zufriedenheit häufen sich. Sinnerfüllende Tätigkeit ist eine Weiterentwicklung aus dem beschriebenen Machtumfeld. Sinn hilft, gemäss Definition, den Menschen komplexe Umgebungen überschaubar zu machen und handlungsfähig zu bleiben. Dazu müssen individuelle und unternehmerische Kompetenzen entwickelt werden.

Wie stark diese Negativspirale im Unternehmen bereits ist, können Führungskräfte mit der Beantwortung einiger weniger Fragen feststellen (siehe «Checkliste: Einschätzung des Handlungsbedarfs»).

Um in der heutigen komplexen beruflichen Umgebung wirkungsvoll und erfolgreich agieren zu können, muss man sich seines Weges sicher, und widerstandsfähig gegenüber wechselnden Anforderungen und Störungen sein. Folgende Handlungskompetenzen unterstützen dabei:

Navigationskompetenz (wer mit wem und wie)

Neben den internen und externen Netzwerken sollten auch informelle Netzwerke mit wichtigen Meinungsbildnern und Leadern definiert werden. Wenn die Entscheidungsträger definiert werden, unabhängig von der Funktion und organisatorischen Struktur, wird es leichter fallen, Anliegen erfolgreich zu lancieren. So ist es nicht ungewöhnlich, dass die Assistentin die Kompetenz der Entscheidung geniesst und auch wahrnimmt. Weiten des Blickes auf die vergessene Beta-Position im Team bewährt sich da.

Carla Fiori, ehemalige und erfolgreiche Chefin von Hewlett Packard, hat die horizontale Kooperation, mit Menschen in gleichen Funktionen aus verschiedenen Branchen, als besten Fundus für die Förderung der eigenen wertvollen Mitarbeitern, und als Garant für motivierte Fachkräfte und kreativen Fortschritt formuliert. Mit der Möglichkeit, sich mit fremden Erfolgsrezepten zu beschäf­tigen, wird über den eigenen Tellerrand geschaut und es können neue kreative und auch notwendige Ansätze entstehen.

Nachdem die Stakeholder und deren Bedürfnisse berücksichtigt worden sind, muss neben den sachlichen Argumentationen vermehrt Wert auf die emotionalen Barrieren gelegt werden. Die Widerstände gründen oft nicht in den sachlichen Argumenten, welche laut und energisch kundgetan werden, sondern in Befürchtungen, kleinen Rückschlägen und Verletzungen des Alltags.

Kein Burnout-Patient brennt wegen einer grossen «Störung» aus, sondern die vielen kleinen Verletzungen bringen das Fass zum Überlaufen. Tag für Tag ernten wir Verletzungen, meinen jedoch immer, dass wir darüber stehen und stark sein müssen. Denn alle anderen verziehen ja auch keine Miene.

Es ist keine Schwäche, im Vier-Augen-Gespräch mit dem Vorgesetzten, Kunden oder sonstigen Geschäftspartnern Befürchtungen und mentale Bilder zu benennen, sondern schlussendlich die einzige Chance, gesund und mit klarem Blick wirkungsvoll durch die beruflichen Herausforderungen zu manövrieren und einen Weg aus der Negativspirale zu finden. Betroffene schildern überzeugt, wie viel Energie, Motivation und Fortschritt wieder möglich ist, sobald emotionale Barrieren beseitigt werden.

Wachstums- und Beziehungskompetenz (ich bin ok – du bist ok)

Bereits in den neun Monaten Schwangerschaft haben wir zwei wichtige Dinge gelernt: zu wachsen und eine Bindung einzugehen, sagt Hirnforscher Prof. Hüther aus Göttingen. Sobald wir auf der Welt sind, wollen wir weiterwachsen und weitere Bindungen zu Menschen eingehen. Abhängig von unserer Biografie haben wir bessere Erfahrungen im einen oder anderen Bereich. Dort bauen wir dann selbstverständlich Vertrauen und Zuversicht auf.

Wenn ein Kind beispielsweise in Musik oder Sport gefördert wird und auch erste Erfolge feiern darf, wird es Vertrauen in sein Wachstum entwickeln und im späteren Berufsleben auch vor keiner höheren Position und Herausforderung abgeschreckt. Denn es weiss, dass es sich auf seine Fähigkeiten verlassen kann und auch diese Herausforderung erfolgreich packen wird. Wenn es aber überbehütet wird und seine Erfahrungen in der gros­sen weiten und gefährlichen Welt nicht machen darf, so wird es auch entsprechende Fähigkeiten und Selbstsicherheit nicht entwickeln können.

Mit der Beziehungskompetenz ist es das Gleiche. Wenn ich gute Erfahrungen in der Beziehung zu den Eltern und Umgebung machen darf, werde ich mit einer Selbstverständlichkeit und voller Zuversicht und Vertrauen in Beziehungen treten, auch in berufliche Partnerschaften. Wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück. Wenn Menschen also ohne Misstrauen, aber voller Zuversicht in Gespräche mit Geschäftspartnern gehen, erleichtert das eine offene, glaubhafte und aktive Kommunikation. Wenn man dann noch achtsam mit Macht-Ressourcen umgeht und die Abhängigkeiten mitkalkuliert, ist das ein weiterer Erfolgsgarant für wirkungsvolles Handeln.

Innovationskompetenz (Wissen und Nichtwissen – die Quelle des Fortschritts)

In Geschäftsleitungsgremien wird regelmässig über Innovation und deren Wichtigkeit für den Fortbestand des Unternehmens gesprochen. Aber mal ehrlich: Wann und wo durfte man das letzte Mal innovativ handeln? Wann und wo wurde Zeit und Geld für Experimente gewährt? Wer nicht gerade in einer Forschung & Entwicklungsabteilung arbeitet, wird wohl länger danach suchen müssen. Führungspersönlichkeiten sind oft nur noch ein Verwalter in genormten Bahnen. Ein Verwalter von Wissen und Konzepten. Von der Führungspersönlichkeit wird erwartet, dass sie im notwendigen Moment das passende Wissen und Konzept zücken kann. Mit Innovation hat das nichts zu tun.

Die Autorin hat 15 Jahre Grundlagenforschung an der ETH und verschiedenen Unis gemacht. Dort kann man gut mit Nicht-Wissen umgehen. Die Forscher wissen im Verhältnis zu den offenen Fragen nur einen kleinen Bruchteil und trotz­­­-dem wird regelmässig an Kongresse mit Gleichgesinnten (horizontale Kooperation) gereist, um ohne Scham Vorträge zu halten mit Fragen, welche man beantwortet haben will. Es ist eine Selbstverständlichkeit, vieles nicht zu wissen, aber auch Geld dafür zu bekommen, um Fragestellungen systematisch und engagiert anzugehen. In der Wirtschaft ist die Erfahrung eine andere. Die Führungspersönlichkeiten bringen zwar viel Wissen mit. Oft ist jedoch die Kultur so, dass eine Antwort von den gut bezahlten Fachkräften erwartet wird und ein Nicht-Wissen nicht geduldet wird.

Die Autorin ist überzeugt, dass in der jetzigen Business-Herausforderung eben nicht Wissen und Konzepte wie eh und je gelernt und angewendet helfen, aus der Misere zu kommen. Es sind neue Ansätze, Innovationen, Kreatives gefragt und dafür muss in den Entscheidungsgremien der Umgang mit Nicht-Wissen etabliert werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die altbewährten Konzepte aus u.a. Finanzen, Marketing, Verkauf, Logistik und Kommunikation nur bedingt Antworten auf die jetzigen Herausforderungen geliefert haben. Der globale und transparente Handel mit den entsprechenden Herausforderungen stellt neue Fragen und braucht auch neue Antworten, und die entstehen durch den cleveren Umgang mit Nicht-Wissen. Hier gibt es viel zu tun. Dies ist der Erfolgsfaktor der Zukunft.

Die grossen Augen von kleinen Kindern kennt jeder, Tag für Tag, wenn sie die Welt entdecken? Staunen, wenn die Sonne untergeht und rot wird. Staunen, wenn es schneit und die Flocken in der Hand schmelzen. Staunen über Blitz und Donner. Wie oft staunen Führungspersönlichkeiten? Wie oft werden Wirtschaftskapitäne noch überrascht? Noch einmal pro Jahr, wenn die Wirtschaftsbosse der Schweiz gemeinsam einen Berg besteigen. Dann stehen sie auf dem Gipfel und staunen. Dieser Moment ist absolut notwendig für Fortschritt.

Diesen Moment nennt man «Teachable Moment» und diesen müssen wir wieder kultivieren in unserer Wirtschaft, um flexibel und offen zu bleiben. Es ist ein Muss, dass jeder Mitarbeiter bis hin zum CEO lernfähig bleibt, dass die Offenheit zum Lernen nicht nur nach Misserfolgen und bei Beförderungen stattfinden kann, sondern tagtäglich und spielerisch.

Improvisationskompetenz (das richtige Timing)

Be- und Entschleunigen sind hier die Zauberwörter. Was sagen erfahrene Alpinisten? «Geh langsam, wenn du den Gipfel erklimmen willst.» Das ist ein Paradox, welches man ebenso mutig in der Wirtschaft pflegen sollte. Viele Coaching-Kunden kaufen sich die Zeit, wieder einmal «stillzustehen» und zu überprüfen, ob die eigene Agenda wirklich noch die Wichtigkeit und Dringlichkeit, basierend auf den Kernkompetenzen, widerspiegelt oder nur noch die Dringlichkeit und Abhängigkeit dominiert. «

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