Mensch & Arbeit

Arbeitsmodelle

Die «Mobil-Flex-Arbeit» vorteilhaft nutzen

Autonomie und Freiheit sind Motivationsfaktoren für Mitarbeitende. Unternehmen etablieren daher Arbeitsmodelle, die beides fördern. Werden Chancen und Risiken der «Mobil-Flex-Arbeit» in Einklang gebracht, wird die Work-Life-Balance und die Gesundheit gefördert.
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Die Themen Flexibilität und Mobilität gewinnen für Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende immer mehr an Be­deutung. Die mit der sogenannten «Mobil-Flex-Arbeit» verbundene zeitliche und örtliche Souveränität bringt für beide Seiten Vorteile. Gleichzeitig verändert sie die Unternehmens- und Arbeitskultur. Eine Anpassung des Führungsstils ist meist ebenso notwendig wie die Förderung der Eigenverantwortung für die Gesundheit. Letzteres ist für beide Seiten von Interesse, denn Freiheiten bei der Wahl von Arbeitsort und -zeit führen nicht zwingend zu gesundheitsförderlichem Verhalten.


Markterwartungen


Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnet neue Möglichkeiten für mobiles und flexibles Arbeiten. Doch diese Technologien unterstützen diese Arbeitsform lediglich. Auf Seiten der Arbeitgebenden sind die Überlegungen für angepasste Arbeitsbedingungen durch die globale Konkurrenz, technische Beschleunigung und veränderte Kundenerwartungen getrieben. In der Folge setzen sie ihre Arbeitskräfte zeitlich und räumlich so ein, dass die vielseitigen Bedürfnisse optimal erfüllt werden können. Eine grosse Mehrheit von Unternehmen sieht entsprechend in einer Flexibilitätssteigerung den Vorteil flexi­bler Arbeitsmodelle und nur eine geringe Anzahl nennt Produktivitäts- und Qualitätsvorteile.


Bei den Erwerbstätigen besteht der Wunsch nach mehr Flexibilität, um etwa Familie, Freizeit und Beruf in Einklang zu bringen. Die Schweiz bringt hierfür gute Voraussetzungen mit. Laut dem European Working Conditions Survey wird hierzulande europaweit der höchste Anteil an Erwerbstätigen verzeichnet, die ihre Arbeit vollständig individuell festlegen können.

Unternehmen müssen und Arbeitnehmende wollen – so lautet das Fazit der Hintergründe für den Aufschwung des mobil-flexiblen Arbeitens. Der Weg von einer ortsgebundenen Arbeitskultur hin zum Netzwerkunternehmen ist jedoch mit Spannungsfeldern verbunden.

Spannungsfelder


Können Chancen und Risiken nicht in Einklang gebracht werden, kann Mobil-Flex-Arbeit mehr Schaden als Nutzen bringen. Zum Beispiel tendieren Erwerbstätige, die Mobil-Flex-Arbeit verrichten, zu mehr Überstunden als Mit­arbeitende, die einen stationären Ar­beitsplatz im Unternehmen haben. Zudem arbeiten sie häufiger bis in die späteren Arbeitsstunden oder am Samstag und verzichten vermehrt auf Pausen.

Bei der Betrachtung der Risiken ist zu unterscheiden, ob Mobil-Flex-Arbeit eingefordert wird oder von den Mitarbeit­en­den gesteuert werden kann. Eine vom Unternehmen geforderte Flexibilität führt meist zu weniger planbaren und unregelmässigeren Arbeitszeiten. Dies kann zu negativen Beanspruchungsfolgen wie Erschöpfung und Stress führen. Zwar gibt die individuell beeinflussbare Flexibilität dem Arbeitnehmenden die Freiheit, seine Arbeit selbst zu gestalten und besser mit seinem Privatleben  zu vereinbaren. Diese Flexibilität führt jedoch nicht zwingend zu gesundheitsförderlichen Arbeitszeiten. Viele Unternehmen setzen heute auf Praktiken, die fördern, dass Mitarbeitende und Teams mehr Verantwortung für den nachzuweisenden Erfolg ihrer Arbeit übernehmen. Die Arbeits- und Präsenzzeit wird so weniger relevant als die Zielerreichung.

Diese indirekte Steuerung führt vermehrt dazu, dass Mitarbeitende von sich aus an ihre Leistungsgrenzen gehen, um Miss­erfolg zu vermeiden. Diese sogenannte interessierte Selbstgefährdung tritt dann auf, wenn Personen auf Kosten ihrer eigenen Regeneration und Gesundheit ver­suchen, arbeitsbezogene Anforderungen zu bewältigen.

Gemeinsam experimentieren


Wie können die Rahmenbedingungen von Mobil-Flex-Arbeit in der Organisation so gestaltet werden, dass die positiven Folgen greifen? Der Schlüssel liegt in der Beachtung der für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit relevanten Spannungsfelder. Eine vorteilhafte Ausgestaltung ist zum Beispiel gekennzeichnet durch individuelle Gestaltbarkeit, klare schriftliche Regelungen und realistische Zielsetzungen. Kombiniert mit dem Aufbau der nötigen Kompetenzen für die Selbstsorge kann Mobil-Flex-Arbeit die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Erwerbstätigen positiv beeinflussen.

Wer sich in seinem Unternehmen auf die neue Arbeitsweise einstellt, sollte sich bewusst sein, dass es kein Universal konzept gibt. Der Weg zum flexiblen Arbeiten bedeutet auch, gemeinsam zu experimentieren. Wer im Team gestaltet, ausprobiert, hinterfragt und bei Bedarf anpasst, kann die neue Arbeitswelt aktiv mitentwickeln. Für einen solchen Aufbau eignen sich zum Beispiel Schulungen für Mitarbeitende, die die Selbstkompetenz im Bereich Abgrenzung zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen (Boundary Crafting) fördern. Zu dieser Selbstkompetenz gehört auch Wissen über die Gestaltung von Er­holung in der Freizeit (Recovery Crafting). Mit Mobil-Flex-Arbeit und der grösseren Selbstverantwortung der Mitarbeitenden geht aber auch ein verändertes Führungsverhalten einher. Statt Top-Down finden Abstimmungs- und Zielsetzungsprozesse wesentlich partizipativer statt. Zudem widerspiegelt die Besprechung der Zielerreichung einmal jährlich nicht die Dynamik des agilen Arbeitens.  Ziele und Arbeitspakete sollten daher in kürzeren Abständen immer wieder neu verhandelt werden.

Neben der Selbstkompetenz der Mitarbeitenden gilt es auch, die Kompetenzen der Führungskräfte weiterzuentwickeln. Mittels Coaching oder kollegialer Beratung können sie überprüfen, ob sie innerhalb ihrer Teams die Rahmenbedingungen schaffen, um Selbstorganisation und störungsfreies Arbeiten in dezentral arbeitenden Teams zu gewährleisten.

Regeln schriftlich festlegen


Viele Unternehmen vernachlässigen es, auf Organisationsebene gute Rahmen­bedingungen zu schaffen. Ein erster Schritt hierzu sind schriftlich festgehaltene Regelungen und Richtlinien. Gemeinsam zwischen Führungs- und Mitarbeiterebene ausgehandelt, legen solche «Policies» den Umgang und die Erwartungen mit der Mobil-Flex-Arbeit fest.

Als Kernpunkte umfasst ein solches Dokument die Haltung der Organisation zu dieser Arbeitsform, den Genehmigungsprozess, Vereinbarungen zur Erreichbarkeit, Reaktionszeiten, Dokumentation der Arbeitszeit sowie die Regelung des Datenschutzes.

Dabei sollten sich alle Beteiligten klar sein, dass die aufgestellten Regeln der Gesamtheit der im Arbeitsalltag auftretenden Sachverhalte nicht vollgeständig gerecht werden können. In frühen Phasen einer Veränderung Richtung Mobil-Flex-Arbeit helfen schriftliche Leitsätze jedoch, ein einheitliches Verständnis zu schaffen. Wer die positiven Aspekte der Mobil-Flex-Arbeit unterstützen möchte, sollte auf Selbstregulation, Eigenverantwortung sowie Entscheidungs- und Planungskompetenzen setzen. Dafür müssen Führungskräfte befähigt werden, die Selbststeuerung ihrer Mitarbeitenden zu fördern. Die Mitarbeitenden dagegen benötigen die Kompetenz, Arbeitsziele unter Berücksichtigung persön­licher Bedürfnisse zu erreichen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben einzuhalten.

Das Aufstellen von Richtlinien und die Befähigung der Arbeitnehmenden schützen aber nicht vor Fehlentwicklungen. Daher ist die Etablierung eines Frühwarnsystems sinnvoll, um gesundheitskri­­tische Verhaltensweisen rechtzeitig zu ent­decken. Wichtig dabei: Mitarbeitende dürfen aus der Offenlegung von negativen Entwicklungen keine unmittelbaren Sanktionen fürchten müssen.


Hoher Anpassungsbedarf


Im Mittelpunkt eines Veränderungsprozesses hin zu einer flexiblen Arbeitsweise steht der Bruch mit der physischen Präsenz am Arbeitsplatz. Dieser Bruch löst Anpassungsbedarf in diversen Bereichen aus, die alle miteinander verknüpft sind. Im Rahmen des Change-Management-Prozesses sollte beachtet werden, dass das Umrüsten der IT-Infrastruktur oder der Umbau der Büroflächen hin zum Kommunikations- und Begegnungsort Mobil-Flex-Arbeit lediglich unterstützt. Mehr Beachtung sollte den Kompetenzen geschenkt werden, die Arbeitnehmende und Führungskräfte befähigen, den Wandel mit zu vollziehen. Diese Kompetenzen sorgen dafür, dass die Vorteile der Mobil-Flex-Arbeit zum Tragen kommen und die individuelle Gesundheit nicht beeinträchtigt wird.

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag von Prof. Dr. Andreas Krause (FHNW), Prof. Dr. phil. Hartmut Schulze (FHNW) und Prof. Dr. Lukas Windlinger (ZHAW) «BGM – Grundlagen und Trends: Fokus auf psychische Gesundheit» von Gesundheitsförderung Schweiz. Den gesamten Bericht finden Sie unter www.gesundheitsfoerderung.ch/bericht-7.