Mensch & Arbeit

Führungskräfteentwicklung

Die besten Leistungsträger im Unternehmen halten

Konzepte zur Bindung der Leistungsträger mit Führungsverantwortung gibt es in vielen Unternehmen ent­weder gar nicht oder die Top-Performer werden mit 08/15-Programmen abgespeist. Langfristig effektiv ist diese Strategie nicht. Die Unternehmenssäulen sind Individualisten und sehnen sich nach mehr Nach­haltigkeit.
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In den meisten Unternehmen wird viel getan, damit Low-Performer zu High-Performern werden, viel in Konzepte investiert, um gute Leute für das Unternehmen zu gewinnen, aber: Die Besten im Unternehmen werden häufig vergessen. Oder es wird mit rein materiellen Belohnungsverfahren gearbeitet – Firmenwagen, Gehaltserhöhung und Ähnliches … Man weiss mittlerweile, dass diese nur oberflächlich und kurzzeitig wirken und daher ineffizient sind. Wer für Geld bleibt, geht auch für Geld!

Die Abwanderung der besten Leistungsträger – das sind in der Personalstruktur eines Unternehmens etwa drei bis fünf Prozent – ist leider kein unwahrscheinliches Szenario. Nahezu täglich werden neue Studien veröffentlicht, die Mehrzahl der Führungskräfte ist frustriert. Sie fühlen sich oft nicht genug wertgeschätzt oder lavieren am Rande des Burnouts. Die Bindung zum Unternehmen scheint immer mehr abzunehmen.

Analysen zeigen, dass der Verlust eines Leistungsträgers im Schnitt das Dreifache seines Jahresbruttogehalts kostet – exklusive Einarbeitung und Ähnlichem. Ganz zu schweigen vom Know-how.

Da sich hoch qualifizierte Fach- und Führungskräfte immer mehr zur Rarität entwickeln, wird das Finden und Binden der besten Mitarbeiter immer mehr zum entscheidenden Wett­bewerbsfaktor.

Leader kennenlernen

Was also tun? Der erste wichtige Schritt besteht darin, die Säulen des Unternehmens besser kennenzulernen. Erst wenn wir ihre inneren Antreiber, ihre Wünsche und Ängste kennen, wissen wir, wie wir sie an unsere Unternehmen binden können. Der «war for talents» kann nur dann gewonnen werden, wenn Arbeitgeber die Wünsche ihrer besten Leistungsträger kennen.

In einer anonymen Umfrage des ‹Galileo. Institut für Human Excellence› haben wir deshalb Führungskräfte und Experten in Schlüsselpositionen gefragt: «Was wünschen Sie sich für Ihren Führungsalltag 2012?» Die Ergebnisse lassen interessante Schlussfolgerungen zu.

Was Leader wünschen

So fällt auf, dass die Umfrageteilnehmer für ihren Führungsalltag 2012 sehr individuelle Wünsche formulierten und «weiche» Faktoren für die Mehrheit der Befragten entscheidend sind. Die starke Tendenz geht dabei in Richtung mehr Offenheit und Werte. Ein Drittel (31,2 %) wünscht sich, dass der Umgang im Führungsalltag in diesem Jahr mehr von Respekt, Wertschätzung und Transparenz geprägt ist. In der eigenen Führungsrolle wünscht sich rund die Hälfte der Befragten (53 %) mehr Zeit für die Mitarbeiter, diese zu fördern und zu stärken. Der Wunsch nach mehr Zeit etwa zum Aufbau des Teams und mehr Freiraum für Führung wurde immer wieder genannt. 37, 5 Prozent planen 2012 an ihrer Führungskompetenz zu arbeiten und für mehr Selbstbestimmtheit und Entscheidungsspielräume zu kämpfen. Ihre Ziele und Wünsche haben 40 Prozent der Umfrageteilnehmer Anfang des Jahres schriftlich fixiert. Die grosse Mehrheit (94,2 %) hält Wünsche und Visionen in der eigenen Karriereplanung für unverzichtbar.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus dieser Umfrage: Die Wünsche von Leistungsträgern lassen sich nicht verallgemeinern. Mit pauschalen Massnahmen werden Unternehmen sie also kaum binden können. Zudem scheint das Streben nach mehr Nachhaltigkeit weit mehr als ein Lippenbekenntnis zu sein – Nachhaltigkeit und mehr Weitsicht sind bei den befragten Führungskräften ganz entscheidende Antreiber. Dies deckt sich mit den Ergebnissen weiterer aktueller Umfragen. In einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, der Stiftung Neue Verantwortung und der Unternehmensberatung Egon Zehnder International etwa klagen deutsche Spitzenführungskräfte darüber, dass sie in der vernetzten Welt immer schneller Entscheidungen treffen müssten. Die Befragten wünschen sich einen neuen Führungsstil, der sich an nachhaltigen Werten orientiert. Aber sie formulieren zugleich, dass sie nicht so recht wissen, wie dieser entstehen kann.

Umsetzung in der Praxis

Wie kann man diese Ergebnisse in der Praxis umsetzen, was hat sich hier bewährt? Unternehmen sollten mit ihren besten Leistungsträgern regelmässig – lange bevor sich Unzufriedenheit breitmacht – Entwicklungsbeschleunigungsprozesse durchlaufen, um deren wahre Leidenschaften, Kompetenzen, Bedürfnisse zu identifizieren. Grundfrage: Ist der Leistungsträger auf seiner Traumposition? Wohin will er sich die nächsten 15 Jahre entwickeln? Ein solcher Prozess macht nur Sinn, wenn er völlig offen geführt wird, das heisst das Unternehmen auch ein ungünstiges Ergebnis in Kauf nimmt. Tatsächlich zeigt aber die Praxis, dass die Mehrzahl der Leistungsträger, selbst wenn sie auf dem Absprung waren, das Unternehmen gar nicht verlassen will. Oft sitzen sie auf einer falschen Position, die ihren wahren Stärken gar nicht entspricht. Gibt es eine entsprechende Stelle im Unternehmen nicht, dann besteht auch die Möglichkeit, sie im Organigramm neu zu schaffen.

So viel Aufwand für eine Führungskraft? Lohnt sich das? Die Antwort ist ein deutliches und klares Ja. Die Kosten für ein solches Vorgehen sind verschwindend gering im Vergleich zu dem Nutzen, den das Ergebnis für alle Beteiligten hat. Das Unternehmen vergewissert sich der langfristigen Loyalität des Leistungsträgers – oder kann sich in Einzelfällen rechtzeitig auf seinen Weggang einstellen – und weiss, unter welchen Bedingungen er sein volles Potenzial abrufen kann. Die Burnout-Rate sinkt, weil der Leistungsträger das tut und kann, was er wirklich will. Als wichtiger Aspekt eines attraktiven Employer Branding haben solche individuellen Förderprogramme Sogeffekte auf weitere Leistungsträger. Es entwickelt sich eine Unternehmenskultur, die gekennzeichnet ist von einem vertrauensvollen Miteinander, statt einem kontrollierten Gegeneinander, von Selbstorganisation, Selbstmanagement, Verantwortung und Mitdenken.

Best-Practice-Beispiele

Und ein solches Vorgehen ist keineswegs Zukunftsmusik. Kluge Unternehmen praktizieren eine solche nachhaltige Führungskräfteentwicklung bereits. Nicht, weil sie besonders altruistisch sind. Sondern aus knallhartem ökonomischem Kalkül und dem Wunsch nach planbaren Grössen. Sie wissen, dass sie auf jene Kräfte, die etwa 30 Prozent mehr als der Durchschnitt leisten, nur schwerlich verzichten können.

Vor Kurzem kam der Vorgesetze einer Führungskraft in einem internationalen, börsennotierten Familienunternehmen mit der Bitte auf mich zu, herauszufinden, was denn die Wunschposition seines Mitarbeiters wäre. «Finden Sie heraus: Was ist seine Identität? Seine Kernkompetenz? Wo will er in den nächsten 15 Jahren hin?» Der Vorgesetzte machte klar, dass der Prozess vollkommen losgelöst von Unternehmensinteressen ablaufen solle. Das Ergebnis: Der Leistungsträger identi­fiziert sich mit «seinem Unternehmen» und sitzt auf der richtigen Position, kennt die nächsten Entwicklungsstufen, entwickelt Strategien, um seine nächsten Ziele zu erreichen. Sein Vorgesetzter kann sich nun seiner langfristigen Loyalität gewiss sein und er kennt die perfekten Rahmenbedingungen, die sein Leistungsträger braucht. Und diese Rahmenbedingungen sind sehr wichtig. Wie bei Pflanzen, die ein gewisses «Setting» zum Erblühen benötigen, kann schon das Fehlen eines Faktors dazu führen, dass der Leistungsträger zum Leistungswegträger wird. Ein solches Defizit kann auch kein tolles Gehalt aufwiegen. Dieses «Setting» gilt es bei Leistungsträgern zu identifizieren. Bei etwaigen weiteren Fördermassnahmen weiss man dann genau, an welchem Hebel bei dieser Führungskraft angesetzt werden sollte. Innovationskraft, Leidenschaft und Engagement sind die Folge.

Noch ein weiteres wunderbares Beispiel für gelungene Führungskräfteentwicklung und Nachhaltigkeit: Ziel der Auftraggeber – zwei Manager eines erfolgreichen Markenartikelherstellers – war es, dass sich ihr Mitarbeiter unter anderem im Bereich authentische Führung deutlich entwickelt. Nach nur wenigen Coaching-Terminen erhielt der aber ein sehr attraktives Angebot vom Wettbewerber und beschloss dieses anzunehmen. Die Führungskräfte entschieden nun, dass der Coaching-Prozess trotzdem bis zum Weggang des Mitarbeiters fortgesetzt wird. Es wurde also in ihn investiert, obwohl er eigentlich bereits weg war! Schliesslich handle es sich um einen wichtigen Punkt in der individuellen Entwicklung des Leistungsträgers, so die Begründung, und es sei gut, wenn er daran arbeite – egal bei welchem Auftraggeber.

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