Mensch & Arbeit

Arbeitspsychologie

Die Auswirkungen von Unzufriedenheit am Arbeitsplatz

Mehr als jeder dritte Arbeitstätige fühlt sich gestresst, fast jeder fünfte hat Probleme mit Erholungszeiten und der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, das hat letztlich auch wirtschaftliche Folgen: Rund 27 Prozent der Erwerbstätigen weisen mehr Belastungen als Ressourcen auf. Der Beitrag beleuchtet die Problematik und zeigt Gegenmassnahmen.
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Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 von Travail Suisse zeigt auf, dass sich 41 Prozent der Arbeitstätigen häufig gestresst fühlen; knapp 30 Prozent leiden unter stark belastendem Stress. Die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten beurteilen sie als eher schlecht. Die Förderung der Aus- und Weiterbildung durch den Arbeit­geber wertet beinahe die Hälfte der Arbeitnehmer als ungenügend. Der Durchschnitt der Zufriedenheit liegt auf einer Skala von 10 (sehr zufrieden) bis 1 (sehr unzufrieden) bei 7,5, die Zufriedenheit mit der Gesundheit wird mit 7,8 bewertet. Allerdings haben 15 bis 20 Prozent der Ar­beitnehmer Probleme mit der Er­holungszeit und der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Rund 25 Prozent fühlen sich vom Vorgesetzten nicht genügend gestützt.


Krise und Zufriedenheit

Wesentlich ist der optimale Einsatz der persönlichen Ressourcen. Die richtige Arbeitsstelle lässt den Sinn in der Tätigkeit erkennen – das fördert die allgemeine Zufriedenheit. Die Innopark Schweiz AG ist darauf spezialisiert, die Karrierechancen von Fach- und Führungskräften zielorientiert und individuell zu entwickeln. Das passiert mit punktuellen Weiter­bildungen und individuellen Coachings. CEO Denise Fessler gibt Auskunft darüber, wie sich die Vereinbarkeit von Person, Aufgabe und Lebensumständen positiv auf die Zufriedenheit generell und im Beruf auswirkt und dadurch stressbedingte Ausfälle vermieden werden können.

Frau Dr. Fessler, wie entsteht Zufriedenheit am Arbeitsplatz?

Es müssen mehrere Komponenten er­füllt sein. Es zählt nicht nur, jeden Monat seine Rechnungen bezahlen zu können. Vielmehr geht es im Leben darum, Zeit, Kraft und Fähigkeiten für etwas indivi­duell Sinnvolles einsetzen zu dürfen. Die eige­ne Arbeit soll am Abend die Welt etwas besser gemacht haben. Haben Mitarbeitende den Eindruck, dass ihre Arbeit keinen Sinn stiftet, entsteht eine Leere, die sich über die Zeit zur persönlichen Krise entwickeln kann.

Was raten Sie den Menschen, die mehr Arbeitszufriedenheit wünschen?

Die Suche nach mehr Sinn und Freude bei der Arbeit ist keine Luxus-Thematik. Gerade Fach- und Führungskräfte sind darauf angewiesen, dass sie in ein privates und berufliches Umfeld eingebettet sind, das am selben Strick zieht. Eine inhalt­liche Unter- oder Überforderung kann nicht durch ein gutes Salär ersetzt werden. Geld ist wesentlich, aber goldene Fesseln können den für uns wesentlichen Inhalt und die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln, nicht ersetzen. Hat ein Mitarbeitender das Gefühl, dass sein Potenzial nicht genutzt wird, löst das einen zu hohen Druck mit negativen gesundheitlichen Folgen aus. Arbeiten ohne Freude an seinem Beruf geht auf Dauer nicht auf.

Wie wirkt sich das Thema «Angst um den Arbeitsplatz» aus?

Die Angst vor Arbeitsplatzverlust ist bei vielen Arbeitnehmern Realität. Auch sie setzt einen enormen Druck auf die Betroffenen auf. Früher lief eine Karriere beinahe von alleine, qualifizierte Fach- und Führungskräfte brauchten sich nicht gross zu bewerben, da sie für attraktive Stellen angefragt wurden. Heute sieht es anders aus, der Wettbewerb ist gross. Die Angst, dass jemand am Stuhl sägt, ist vorhanden. Dann treten Fragen in den Vordergrund wie: Bin ich an der richtigen Stelle? Macht das alles Sinn? Muss ich mir diese Unsicherheit und diesen Druck antun? Jeder Arbeitnehmer kann davon betroffen sein.

Was kann man gegen Angst am Arbeitsplatz und das Gefühl der Sinnlosigkeit unternehmen?

Ein guter Schritt ist es, in einem kurzen persönlichen Coaching die Situation mit einem Experten auf Augenhöhe zu dis­kutieren, Möglichkeiten abzuwägen und neue Lösungen zu erarbeiten. Wer seine Situation und die passenden Alternativen dazu kennt, hat weniger Druck. Für diejenigen, die Berührungsängste haben, auf einen Coach zuzugehen, haben wir einen Test entwickelt, der einen grundsätz­lichen Überblick über die eigene beruf­liche Lage verschafft und prüft, ob Handlungsbedarf existiert.

Was bringt dieser Test?

Der «Inno-Future-Test», den Interessenten kostenlos unter www.innopark.ch durchführen können, ist für Fach- und Führungskräfte konzipiert. Er basiert auf dem japanischen Ikigai-Prinzip. Dieses Prinzip berücksichtigt vier Dimensionen: 

  • Was mache ich gerne? 
  • Worin bin ich gut? 
  • Was braucht die Welt? 
  • Wofür werde ich bezahlt?

Nach 22 Fragen wird eine grafische Auswertung angezeigt: eine solide erste Standortbestimmung. Idealerweise bestätigt es sich, dass die bisherige Stelle perfekt passt. Falls nicht, kann man in ein Coaching einsteigen und die Aus­­­wer­t­ung dann als zielorientierte Gesprächsgrundlage nutzen. 

Wir stellen ein individuelles Programm zusammen, das auf Entwicklungsziele, persönliche Ressourcen, individuelle Stärken, die eigenen Bedürfnisse und diejenigen des beruflichen Umfeldes ausgerichtet ist. In solchen Situationen geht es darum, eine optimale Übereinstimmung von Person, Aufgabe und Lebensumständen – den beruflichen «Perfect Match» – herbeizuführen. Ein solches Coaching richtet sich darauf aus, sich  innerhalb des Unternehmens weiterzu­entwickeln, denselben Job in einem an­­de­ren Unternehmen oder einem anderen Umfeld zu machen oder ein ganz an­­-deres Tätig­keitsfeld zu suchen. Auch dazu gehört die Wahl der richtigen Aus- oder Weiterbildung.

Wie wirkt sich die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz auf die Gesundheit aus?

Die Resultate können Stress oder sogar ein Burnout sein. Auf jeden Fall hat andauernde Unzufriedenheit negative physische und psychische Auswirkungen. Wir arbeiten intensiv mit höher qualifizierten Menschen zusammen und erleben die Auswirkungen dieser Drucksi­tuationen. Wir wünschen uns sehr, dass sich Menschen ihrer Gesundheit zuliebe vermehrt mit ihrer Situation auseinander­setzen und eine Standortbestimmung durchführen. Davon profitieren die eigene Gesundheit und die gesamte Gesellschaft. Wieso nicht das Hobby zum Be­ruf machen, ein eigenes Start-up-Unternehmen gründen oder sich auch mit 50 Jahren noch einmal neu erfinden? Ich bin überzeugt, dass Offenheit und Unvor­eingenommenheit in dieser Frage zentral sind.

Psychische Aspekte

Auf die medizinischen und psychischen Aspekte geht Dr. med. Christian Imboden ein, ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinik­leitung der Privatklinik Wyss AG in Münchenbuchsee.

Herr Dr. Imboden, welches sind Alarmzeichen für Geschäftsführer und Führungsverantwortliche? 

Wenn vorgängig motivierte Mitarbeiter sich zurückziehen, Fehlzeiten aufweisen, immer mehr Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten haben, über Schlaf­probleme oder körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchprobleme et cetera klagen, sind das oft Hinweise darauf, dass die Belastungen höher sind als die Ressourcen. 

Welches sind aus gesundheitsökonomischer, medizinischer und krankheitstechnischer Sicht die Ursachen für die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz?

  • Fehlende Unterstützung durch Vor­gesetzte
  • Mangelnde Wertschätzung der Arbeitsleistungen
  • Übertragen von Aufgaben ohne die
  • zugehörigen Kompetenzen
  • Zunahme der Ökonomisierung der
  • Arbeit mit immer mehr Kontrolle
  • Dadurch verursacht Messen an der
  • eigenen Leistung, auch im Quervergleich mit anderen Mitarbeitenden
  • Organisatorische Punkte wie Grossraumbüros, dauernde Unterbrechungen bei der Arbeit, Schichtarbeit und angeordnete Überzeit

Können Sie Ihre Aussagen mit Zahlen stützen?

Gemäss dem Job-Stress-Index 2018, einer Erhebung bei Erwerbstätigen durch die Gesundheitsförderung Schweiz, weisen 27,1 Prozent der Erwerbstätigen mehr Belastungen als Ressourcen auf. Daten der grössten deutschen Gesundheitskasse AOK zeigen zwischen 2004 und 2011 eine Verzehnfachung der Diagnose Burnout, was nicht primär durch eine Zunahme dieser Problematik, sondern vielmehr durch eine Änderung in der Benennung von arbeitsbezogener Erschöpfung zu erklären ist.

Wie wirkt sich die Unzufriedenheit auf die psychische Verfassung aus?

Wenn Arbeitsbelastungen überwiegen und Ressourcen abnehmen, sich eine chronische Stressbelastung entwickelt, können Zeichen eines Burnout-Prozesses auftreten. Neben emotionaler und körperlicher Erschöpfung entsteht eine Distanzierung von den Arbeitsinhalten und das Gefühl, weniger zu leisten. Erholen sich die Betroffenen nicht, kann sich aus diesem Risikozustand eine psychiatrische Erkrankung wie eine Depression oder Angsterkrankung entwickeln.

Wer ist betroffen: Männer oder Frauen, Jüngere oder Ältere? 

Männer reagieren stärker auf berufliche Schwierigkeiten als Frauen. Bezüglich Erschöpfungsdepressionen gibt es keine grossen Unterschiede – ausser in Bezug auf die individuellen Risikofaktoren. Frauen sind oftmals durch ihre Engagements in der Arbeit, der Kinderbetreuung und im Haushalt belastet. Männer reagieren stärker auf Trennungen und berufliche Zurückstufungen. Beim erwähnten Job-Stress-Index sind Geschlechter­un­terschiede aber marginal. Eine höhere Schulbildung hat eher einen protektiven Charakter. Ältere Mitarbeitende berichten tendenziell über vorteilhaftere Arbeitsbedingungen als jüngere. Es kommt immer auf die individuelle Situation an. Eine psychiatrische Erkrankung, die durch schwierige Arbeitsbedingungen (mit-)verursacht ist, kann grundsätzlich jeden Menschen treffen.

Mit welchen präventiven Massnahmen können Führungspersonen Friktionen am Arbeitsplatz verhindern?

Es ist wichtig, dass sich Vorgesetzte für das Befinden ihrer Mitarbeitenden interessieren. Das Fördern von mehr individuellem Handlungsspielraum, Wertschätzung und Anerkennung der geleisteten Arbeit und das Anbieten von Unterstützung bei hohen Belastungsspitzen helfen, Unzufriedenheit deutlich zu verbessern. Andauernde Unterbrechungen sind einer der Hauptstressoren schlechthin. Deshalb ist es wichtig, dass Mitarbeitende störungsfrei arbeiten können – gerade bei Aufgaben, die ein hohes Mass an Konzentration erfordern. Auch organisatorische Faktoren sind gute Ansatzpunkte für Massnahmen: zum Beispiel der Einbe­zug von Mitarbeitenden in übergeordnete Entscheidungen, das Fördern von Ressourcen, die Möglichkeit zum Rückzug in Pausen- und Ruheräumen, das Fördern von sportlichen Aktivitäten und gesunder Ernährung, das Ermöglichen von Home Office und flexiblen Arbeitszeitmodellen sind hilfreich. All diese Massnahmen geben Zeit und Raum für den Ausgleich, um Belastungen besser standzuhalten. Arbeitsfremde Faktoren wie Beziehungsprobleme, körperliche Erkrankungen bei sich selbst oder im unmittelbaren Umfeld können die Belastbarkeit wesentlich herabsetzen. Es ist wichtig, dass Führungspersonen mit den Mitarbeitenden gute und vertrauensvolle Kontakte pflegen. Eine offene Kommunikation fördert das Verständnis entscheidend.

Gibt es eine Checkliste aus medizinischer und präventiver Sicht?

Gute Ansätze finden sich bei den durch die Gesundheitsförderung Schweiz unterstützten Initiativen «Stressnostress» und «Job-Stress-Analysis», bei denen Unternehmen via Online-Befragung eine Art Stress-Barometer erstellen können.

An wen wenden sich Geschäftsführer am besten?

Idealerweise an den Hausarzt oder direkt an eine Beratungsstelle, an Psychotherapeuten oder einen Coach für arbeitsbezogene Probleme. Je stärker die Problematik ist, desto schneller sollte professionelle Hilfe durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einen entsprechend ausgebildeten Hausarzt beigezogen werden.

Was sollte eine wirkungsvolle Prävention bewirken?

Prävention soll primär die Balance zwischen Belastung und Ausgleich ermöglichen. So können sich Arbeitnehmer voll auf die Arbeitsinhalte konzentrieren und haben genügend Freiraum zur Erholung.

Wie kann sich eine berufliche Neuorientierung auf die psychische Verfassung auswirken?

Falls nach einer Erschöpfungsdepression die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist oder schon vor dem Entwickeln schwerer Symptome eine Umorientierung beschlossen wird, kann ein Glücken derselben in entscheidendem Masse zu mehr psychischer und körperlicher Gesundheit und mehr Lebenszufriedenheit führen. Der Weg dahin ist aber oft alles andere als einfach, da eigene Werte und Karrierevorstellungen hinterfragt und teilweise auch eine Lohneinbusse in Kauf genommen werden müssen. Eine externe Begleitung durch Fachpersonen ist empfehlenswert.

Wie können solche Situationen vermieden werden?

Man kann belastende Arbeitssituationen nicht komplett vermeiden. Die Thematik ist zu komplex und wird durch viele Faktoren beeinflusst. Die oben genannten Massnahmen und ein vertrauensvolles Klima mit klaren Werten und Orientierungspunkten helfen Mitarbeitenden, Schwierigkeiten zu vermeiden und sie deutlich früher zu erkennen.

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